r.roo
(Electronic Circus-Festival, Hamm - 09.09.2023)


     

Zum ersten Mal beim Electronic Circus-Festival tritt ein Künstler aus der Ukraine auf. Andrii Symonovych, der als r.roo firmiert. Da mir der Musiker bisher unbekannt ist, hier zunächst einige Infos aus dem Pressetext:

    

Der aus Kiew (Ukraine) stammende Musiker Andrii Symonovych (= r.roo) hat seit 2011 nahezu 40 Alben eingespielt. Nach acht Jahren formaler musikalischer Ausbildung widmete sich r.roo ganz dem Komponieren komplizierter Klaviermelodien und folgte somit seinem Wunsch, seine Begabung mit Zuhörern zu teilen. Sein erstes Projekt `Lie Collectors´ war eine Widerspiegelung seiner eigenen Gedanken über die Welt und den Platz des Menschen darin. Im Mai 2010, durch gestiegenes Interesse an elektronischer Musik, war er Mitbegründer des Ambient/IDM-Projektes `Sound Wave Pressure´. Er verfeinerte seine Fähigkeiten im Melodieschreiben und Drum-Sampling und veröffentlichte 2011 als Mitbegründer des Labels seine ersten Alben. Mit dem gleichen Fokus auf Atmosphäre und Beats kreiert r.roo seinen definitiven Sound, der den Zuhörer packt und in seinen Bann zieht. Sein Stil bewegt sich zwischen gefühlvollen Klavierpassagen, perfekt akzentuierte Beats und eine sorgfältige Zusammenführung von glitchigen Aussetzern, gepaart mit zufälligen statischen und seltsamen Radiostimmen überschattet. So liest sich eine Beschreibung des 2012er Albums „Mgnovenie“.

     

Nach dem Abschied aus seinem Heimatland veröffentlichte er Im Oktober 2022, auf Idee seines langjährigen Freundes Ecki Stieg (Grenzwellen), eine Compilation unter dem Titel „Notch“.

    

Andrii schrieb einst über sich: „Ich habe gelernt, Gefühle zu empfinden, wenn ich in die Unwirklichkeit eintauche. Hier sind es leere Welten. Sie sind nichts und ein Fluss von Farben, Klängen und Empfindungen. Dieses Chaos nimmt erst dann Gestalt an, wenn ich anfange zu fühlen. Daraus werden mit Sinn gefüllte Formen. Ich definiere Unendlichkeit. Durch meine Anwesenheit wird aus nichts etwas. Es macht mich glücklich und ruhig. Musik war schon immer mein Zufluchtsort. Der Prozess des Musizierens ist ein ekstatischer Prozess. Man lässt sich auf eine Welt ein, in der es keine Grenzen gibt und man öffnet sich dafür. Es gibt jede Gelegenheit, alles in vollen Zügen zu erleben. Deshalb war Musik immer schon so wichtig für mich. Es ist wie intime Dinge, wie Gebete, deren Antworten man im Spiegelbild des Wassers sieht, wie ein 4-Augen-Gespräch mit der Natur. Ich fühle es wie eine seltsame Welt, in der es Hoffnung gibt. Dafür bin ich dankbar, auch wenn es im Namen von Lügen in der realen Welt unzähligen Tod gibt. Ich weiß, dass es am Ende immer Trost geben wird“.

    

Ecki Stieg kündigte Andrii an, den er schon längere Zeit kennt. Er erzählte einiges über den Musiker, der nach Ausbruch des Krieges nach Deutschland gekommen war. Ecki, dessen Eltern kurz zuvor verstorben waren und dessen Haus er verkaufen wollte, reagierte dann aber auf einen Facebook-Aufruf von Andrii. Ecki entschloss sich das Haus zu behalten und gab Andrii und seiner Familie eine Unterkunft. Mittlerweile hat sich zwischen ihnen auch eine persönliche Freundschaft entwickelt.

    

Andrii präsentierte ein langes Set, das aus mehreren ineinander gehenden Tracks bestand. Bis auf das Stück „incantant“ sind bisher alle unveröffentlicht. Dabei variierte er Ambientklänge mit rhythmischen Elementen (teilweise Dub), Dronesounds. Er wechselte immer wieder zwischen sehr harmonischen und recht düsteren Passagen, die teilweise auch recht ungewöhnliche neue Soundstrukturen aufwies. Die Musik war allerdings über die volle Strecke nicht ganz einfach zu konsumieren, da Melodien nur spärlich in den Tracks auszumachen waren.

     

Über weite Strecken sorgte ein Grundrhythmus für den Unterboden, auf den Andrii seine Sounds legte. Einiges dabei wirkte auch sehr futuristisch. Es entwickelte sich aber eine hypnotische Atmosphäre die in einem letzten Part mit einem tollen Rhythmus mündete.

    

Andrii hatte bei seinem Gig ziemlich mit der Hitze in der Location zu kämpfen und musste seinen Rechner mit einem externen Ventilator kühlen. Der Rechner hielt zwar durch, hatte aber einige Male kleine Aussetzer, die sich durch ein Knacken oder Knistern bemerkbar machten. Andrii ließ sich davon aber nicht beeindrucken und führte sein Set souverän zu Ende. Auch wenn es der anspruchsvollste Gig des Festivals war, so zeigte sich doch ein Großteil des Publikums von dem Auftritt begeistert. Es ist dem Team des Electronic Circus zu verdanken, dass auch immer wieder außergewöhnliche Musiker eine Plattform für Livedarbietungen bekommen. Das macht die musikalische Vielfalt des Genres aus.

       

Setlist

outside
herr weird
casual ritualism
icantant
nach
signal

Stephan Schelle, September 2023


 

     

Wellenfeld

James Knights