Das meiste Material davon ist letztendlich im Probestadium verebbt. Bei
Auftrag gebenden Firmen bewerben sich immer viele Agenturen und jeder muss etwas
Originelles vorweisen. Die Sachen wurden immer bezahlt; Tracks sind entstanden, die aber
nicht bei Kampagnen verwendet wurden. Und so kam eben eine erkleckliche Anzahl von Tracks
zusammen, von denen ich eigentlich immer dachte, herausbringen wirst du sie wahrscheinlich
nicht. Aber beim öfteren Zuhören habe ich festgestellt, dass ich sie eigentlich ganz
gerne mag, speziell beim Autofahren, wo man eben Sachen, die melodisch sind, die so ein
bisschen, naja leichter zu verfolgen sind, gut hören kann. Das ist ganz angenehm so beim
Fahren. Und so habe ich meine eigenen 20.000 Tracks immer mal wieder angehört und habe
mir so gedacht, eigentlich wollen die doch irgendwie an die Öffentlichkeit. Naja, aber
ich wusste immer noch nicht wie...
Bei der Dreierbox "Elevator to Heaven" wollten wir ja
ursprünglich eine Live-CD machen, weil das Material vom Konzert in Berlin nach meiner
Meinung recht gut geworden war. Der ganze Flow und alles stimmte einfach, was ja Live
nicht immer der Fall ist bzw. wenn es mal der Fall ist, dann ist bestimmt gerade
kein Aufnahmegerät dabei, so dass das Live-Event im Äther verpufft. Aber in dem Fall
stimmte alles, es war ein Aufnahmegerät da, die Aufnahme war gut und ich war auch
zufrieden mit dem, was ich gespielt hatte. Also: Lass uns eine Live-CD machen! Nun ist
aber eine Live-CD alleine doch ein bisschen wenig, um es als neues Release
herauszubringen und es ergibt sich ja dann auch wieder die Frage, ob die Leute das auch
wirklich kaufen wollen. Und da Schönwälder und Manikin-Records für ihre Boxen bekannt
sind, haben wir uns eben spontan entschlossen, gleich eine Dreierbox daraus zu machen.
Eben nicht nur die Liveaufnahmen sondern auch Studiomaterial, was sich im Laufe der
Jahre angesammelt hatte. Es ist sogar ein Stück dabei aus dem Jahr 1995 oder 1996, ich
kann es jetzt nicht genau sagen, ich glaube es war 1996. Dann war da noch ein Stück von
der Kroatientour dabei, welches ich noch mit einem orchestralen Arrangement überarbeitet
habe.
Ja, und dann als drittes eben diese Motion Picture Music, was sich
natürlich vom Titel her auf Picture Music bezieht, obwohl die Musik in dem Fall nicht
unmittelbar etwas damit zu tun hat, zumindest nicht bezogen auf die allseits bekannte
"Picture Music" von Klaus.
Stephan: Zu dem Titel "Tea House" mit dem indischen
Text musst unbedingt noch etwas erzählen. Wie kam der zustande?
Wolfram: "Hai re hai", das war ursprünglich gedacht
für eine Kampagne von der Deutschen Teekampagne, so heißen die, glaube ich. Und das
sollte auch so eine Werbung sein, die in Hamburg in einem Schaufenster, beim Kaufhof oder
so, gespielt werden sollte. Von der Idee her sollte das Exotische des Tee-Trinkens
rüberkommen, in diesem Falle etwas indisches. Die Botschaft "Tee relaxt" sollte
kommuniziert werden und dafür brauchten wir eine Musik. Dann habe ich versucht, diese
Musik zu machen. Ich ging in ein indisches Restaurant und habe gefragt: "Wer kann
hier gut singen?". Erst hat sich keiner getraut und der einzige der das dann gemacht
hat, war dann der Koch. Ich hab dann gesagt: "Es gibt auch ein wenig Kohle". So
kam der Koch dann eben mit. Ich konnte ja kein indisch und daher auch nicht überprüfen,
was er sagte. Ich bat ihn dann irgend etwas zu sagen, was mit Tee zusammenhängt. Dann
sagte er "Hai re hai.", das heißt übrigens "Hurra". Und der Satz den
er jetzt letztendlich sagt, heißt "Hurra, aus frischem Wasser macht man guten
Tee". Er hat das zunächst gesprochen und dann haben wir es später mit Gesang
versucht. Der ursprüngliche Rhythmus des Gesanges ist ganz anders als auf der CD, das
muss ich dir mal vorspielen. Es klang eher wie eine Gebetsmühle. Ich hab das dann so
geschnitten, dass es in dem Groove doch shuffle-mäßiger klang.
Wolfram singt das kurz an.
Aber nichts desto trotz, er hat eine tolle, leicht kehlige Stimme
gehabt. Und das letztendlich kuriose an der Geschichte war folgendes: Ein paar Wochen oder
Monate später, ich hatte den Track fertig, bin ich mal wieder in das Restaurant gegangen.
Der Koch war nicht mehr da oder er hat da nicht mehr gearbeitet, ich weiß nicht, also
habe ich dem Besitzer des Restaurants, das war ein Inder, das dann vorgespielt. Und der
meinte, "Was ist denn das? Was sagt der denn da? Das kann man ja gar nicht
verstehen." Das war auch kein Wunder, denn der Koch war eben kein Inder, sondern ein
Pakistani. Und wie man halt eben weiß, können sich ja Inder und Pakistani leider nicht
so wirklich gut verstehen.
Bei dem Stück Ethnoo spielt ein Freund von mir, der Ali Kuru, der in
Köln wohnt, Saz (Anmerkung: türkische Langhalslaute). Der kann dieses Instrument
fantastisch spielen, der kann darauf sogar Mozart spielen oder Bach. Und bei diesem Stück
sind auch noch weitere Samples aus dieser Aufnahmesession von dem Koch verwurstet worden.
Da weiß ich jetzt aber nicht mehr was der da eigentlich sagt. Das hat auch irgendwas mit
Tee zu tun.
Stephan: Gestern Abend hast du neues Material gespielt. Hast du
das auch schon zum größten Teil vor einigen Wochen auf dem Alpha Centauri Festival in
Bussum (Holland) gespielt? Auch diesen schönen Titel, der sich wieder sehr orientalisch
anhört?
Wolfram: Genau. Das ist eigentlich ein Background-Tape, das habe
ich zwischendurch mal gemacht bei einer Vernissage von Zaki al Maboren, einem Freund von
mir aus dem Sudan. Er hat in Stuttgart bei der Boston Consulting Bilder ausgestellt. Das
war echt nobel. Mit ihm zusammen hatte ich zuerst eine Trommel-Session aufgenommen. Die
unterschiedlichen Tracks wurden dann auf CD aufgenommen, wobei der linke und der rechte
Kanal unterschiedliches Material enthielten. Das heißt bei einem Stück kommt links nur
Perkussion und auf der rechten Seite der Grundrhythmus, oder dann auch später der Bass.
Das heißt, wenn ich weiß, was in dem Stück auf dem jeweiligen Kanal
ist, kann ich auch zwischendurch, während der Track läuft, etwas auf die Perkussion
machen, die auf der linken Seite ist. Die sind natürlich nicht auf dem linken und rechten
Kanal am Mischpult angeschlossen, sondern beide in der Stereomitte. Also sind die Stücke
vom Grundbeat her prinzipiell Mono. Aber ich kann zum Beispiel auf dem linken Kanal mit
der Perkussion zum Beispiel Echo hinzumischen, während ich den rechten mute. Oder am
rechten Kanal drehe ich dann die Höhen ab und am linken Kanal drehe ich die Höhen auf.
So kann ich eigentlich immer, während der Track läuft, auch den Sound verändern.
Im Grunde genommen ist es ja immer die alte Geschichte bei
Liveauftritten, schleppst du viel Equipment durch die Gegend, kannst du auch viel live
machen. Schleppst du wenig durch die Gegend, musst du viel vom Tape kommen lassen, was mir
in vielen Fällen zu langweilig ist. Aber das ist eine Kompromisslösung, wenn man mal
irgendwo auf die Schnelle spielt und hat keinen Bock, das ganze Studio auseinander zu
reißen, was ja immer die Folge davon ist, wenn man alles dabei haben möchte. Das
bedeutet dann zwei Tage Abbau, zwei Tage Aufbau... dann sind solche Sachen wie die
Double-Mono-CD natürlich ganz gut. Und dieses Stück mit den arabischen Melodielinien
habe ich schon oft gespielt. Ich fand es auch toll, dass der Chris (Anmerkung: gemeint ist
Chris Lang, der mit ihm den Auftritt bestritt) da voll drauf eingestiegen ist. Er hat auch
sehr schönes Material dazu gespielt.
Stephan: Das ist ein Stichwort. Wie viel hat Chris denn
musikalisch zu dem Auftritt beigetragen? Welchen Part hat er bei dem Auftritt übernommen?
Wolfram: Improvisation! Er kannte das Stück vorher nicht.
Stephan: Ich meine beim gesamten Konzert.
Wolfram: Das kann man schlecht sagen. Von der Prozentzahl kann
man es nicht ausdrücken. Die Grundmuster kamen von mir, und er hat drauf reagiert und
jetzt wird es umgekehrt sein. Wir haben ja auch ein paar Parts komplett improvisatorisch
gespielt, ohne dass eine Sequenz oder irgendwas lief. Also beim ersten Stück war die
Grundsequenz dieses Holland- bzw Berlin-Stück. Dann war dieser orientalische Track da und
schließlich hatte ich noch ein Stück vorbereitet, wo er darauf reagiert hat. Und
zwischendurch gab es wieder Umbaupausen, sozusagen, wenn man auf den Rechner die neuen
Sachen laden musste. In denen hat er dann frei gespielt und ich habe drauf reagiert. In
der Art haben wir auch schon ein Konzert gemacht, was allerdings jetzt vom Stil her so
war, wie das, was wir jetzt gleich spielen werden. Bei dem, was wir jetzt spielen, kommen
die Grundsequenzenin mehreren Spuren von seiner Akai-12-Spur-Maschine. Wir sehen zu, dass
wir uns gut abwechseln mit Melodielinien, Stahlcello und so eher flächigen Geschichten.
Natürlich könnten wir auch eine Stunde nur String-Flächen spielen, aber das ist für
die Leute, die hier im Wasser rumdümpeln doch letztendlich ein bisschen uninteressant.
Stephan: Du bist ja nicht das erst Mal live in der Toskana
Therme. Wie sahen deine vorherigen Auftritte hier aus?
Wolfram: Ich bin eigentlich schon mehr oder minder - ich weiß
es jetzt nicht ganz genau seit der Eröffnung der Therme hier regelmäßig am
Spielen. Gerade letzte Woche war ich auch hier und hab mit der Bliss Sound Experience
gespielt, BSE abgekürzt. Das ist auch ein wahnsinniges Projekt, bei dem der Berliner
Cellist Thilo Krigar, Micky Rehmann (Anmerkung: Verantwortlicher von Liquid Sound), der
Schamane Axel Brück und natürlich meine Wenigkeit zusammen spielen. Mickey Rehmann hat
getrommelt und Texte verlesen, die wiederum im Zusammenhang mit einem anderen Projekt
entstanden sind. Er kann auch Violine spielen. Axel Brück spielt normalerweise Trommeln,
er hat auch extrem große Rahmentrommeln gebaut. Dieses Mal konnte er leider nicht
trommeln, weil er sich den Arm verrenkt hat, deshalb hat er sich auf Dordspielen
beschränkt. Dord ist eine Art keltisches Didgeridoo.
Stephan: Das klingt sehr interessant.
Wolfram: Mit der Gruppe habe ich auch schon mal hier gespielt
und oftmals habe ich auch aufgelegt. Ich habe beispielsweise auch schon einen reinen Klaus
Schulze-Abend hier gemacht, wo halt nur Musik von Schulze gelaufen ist.
Stephan: Man kann also sagen, dass die Leute die Musik hier
schon kennen.
Wolfram: Ja, das würde ich sagen, auf jeden Fall. Früher lief
die Musik von einem 200-CD-Wechsler, und jetzt läuft das mittlerweile über mp3. Ich habe
ja auch den Kontakt zwischen Schönwälder und der Toskana Therme hergestellt, weil ich
der Meinung war, je mehr CDs mit guter Musik hier sind, desto weniger schlechte sind
dabei. Schlecht und gut muss man ja nicht gerade sagen, auch weil ja die Geschmäcker der
Leute hier verschieden sind. Es gibt hier halt eben auch das Panflötendesaster und das
ist ja auch okay, wenn ältere Leute hier herkommen, die jetzt vielleicht nicht gerade auf
experimentelles Zeug stehen. Die sollen ja auch auf ihre Kosten kommen. Und wenn man im
Wasser schwimmt und es ist schön entspannend, find ich das ja auch völlig okay. Aber so
gesehen war es mein Bestreben, den Anteil von EM zu vergrößern, daher habe ich Mario
angerufen und ihm gesagt "Schick hier dem Mickey mal die Klaus Schulze 10-CD-Box und
schick auch gleich Dein Material mit", das dann, wenn es hier gut ankommt - es gibt
natürlich auch eine Vorauswahl - eben auch mit in den mp3-Pool einfließen kann. Somit
vergrößert sich prozentual die Chance, dass wenn ich oder andere Freunde der EM in die
Therme kommen, eine Musik zu hören sein wird, die mir und ihnen gut gefällt.
Stephan: Welche Resonanz habt ihr schon auf diese Veranstaltung
bekommen? Wie gefällt es den Leuten?
Wolfram: Jetzt heute?
Stephan: Ja.
Wolfram: Klar: gut, denn wir haben ja den positiven Zustand,
dass nur die Leute, die es toll finden, sich nach der Performance an den Bühnenrand
stellen und sagen: "Hast Du gut gemacht" und "War prima" und dann
sogar noch unsere Platten kaufen. Demgegenüber stehen die Leute, die das richtig ätzend
finden und die sich denken "Hoffentlich hören die bald auf". Die kommen
natürlich nicht nach oben um sich zu beschweren... also in sofern würde ich sagen, die
Resonanz war gut (lacht dabei).
Stephan: Ich denke das aber auch sicherlich Leute zu euch
gekommen sind, die man sonst nicht bei derartigen Konzerten sieht.
Wolfram: Leute, von denen ich gedacht hätte, dass sie kämen,
also Fans die üblicherweise auf solche Events gehen, waren jetzt nicht da. Aber es waren
einige Leute da, die ich heute erst kennen gelernt habe. Die entferntesten Gäste kamen
aus den Staaten. Aus Atlanta und Florida waren zwei angereist, die stehen allerdings im
Zusammenhang mit AirSculpture. Du solltest die vielleicht auch mal interviewen. Die machen
ziemlich interessante Projekte, irgendetwas in einem Sumpf in Florida.
Stephan: Waren das die beiden, mit denen Ihr euch vorhin unten
in der Cafeteria unterhalten habt?
Wolfram: Genau die.
Stephan: Wann kommt deine nächste CD raus?
Wolfram: Ja, das ist eine gute Frage. In diesem Sommer läuft
vom 31.05. bis zum 04.08.2002 in Kassel meine Ausstellung "Little garden of
sounds", auch Gärten der Klänge genannt, wo viele ziemlich witzige technische Spielereien
und Klanginstallationen zu erleben sein werden, die allesamt irgend etwas mit Musik, Kunst
und Hören zu tun haben. Sie läuft im Kasseler Stadtprogramm parallel zu der über 100
Tage stattfindenden Documenta. Und deshalb komme ich nicht wirklich dazu, eine neue Platte
zu machen. Es gibt aber einiges neues Material, das kann ich schon sagen.
Ich hab vor ziemlich genau einem Jahr in Köln zwei Gitarrentracks
aufgenommen, die eigentlich den Inhalt einer neuen Platte darstellen sollten. Aber seitdem
bin ich noch nicht wirklich dazu gekommen, an den Tracks weiterzuarbeiten. Es wird
wahrscheinlich so sein, dass noch bevor die neue Spyra-Solo-CD herauskommt, eine weitere
Namlook/Spyra, also eine "Virtual Vices 4" rauskommt. Das Cover der
"Sferics" zeigt ja ne Antenne und die "Etherlands" hat auch
eine. Die eine ist gelb, die andere ist rot, was fehlt ist also eine mit ner blauen
Antenne. Vielleicht nehme ich auch eine grüne...wegen dem Bezug auf den Garten. Dafür
hätte ich bereits einen Track fertig, der sehr gut passen würde. Der stammt aus dem Jahr
1992 oder 1993, als ich den Kasseler Kulturförderpreis bekommen habe. Dazu habe ich ein
Stück namens "BATH" komponiert. Das war für eine Installation, die aus
Antennen bestand, die ich in einem aus den 50er Jahren stammenden Schwimmbad
installiert hatte. Von unten wurden die Antennen beleuchtet, die dann Schatten an die
Decke warfen. Dazu gab es dann das 23minütige Stück, das eher aus abstrakten Klängen
besteht, aber auch aus melodischen Passagen. Das würde ich, obwohl es schon von 1993 ist,
gerne auf einer neuen Platte veröffentlichen. Bisher dachte ich, es sei vielleicht ein
wenig zu experimentell, aber eigentlich gefällt es mir sehr gut. Wenn ich das jetzt vom
Sound ein bisschen verbessere und noch etwas bearbeite, kann man das glaube ich den Leuten
schon zumuten. Und es ist ja auch das Schöne, wenn man schon so viele Platten gemacht
hat, kann man sich auch "mehr Sachen erlauben". Man kann den Leuten auch mal
Sachen aufs Butterbrot schmieren, mit denen sie nicht unbedingt rechnen würden.
Stephan: Was ist denn mit dem Material aus dem Konzert vom
99er Festival in Nijmwegen, bei dem Du gespielt hast? Du hattest mir mal gesagt,
dass es auch herauskommen könnte.
Wolfram: Ja, da hab ich auch Sachen aufgenommen - es sollte ja
auch damals bereits eine Live-CD ergeben - aber dann fand ich die Sachen aus Berlin noch
besser. Daher habe ich mich dafür entschieden, das Berlin-Konzert zu veröffentlichen.
Von der Nijmwegen-Performance hatte ich das erste längere Stück und ein kürzeres
16-Minuten-Stück ausgewählt und bereits soundtechnisch bearbeitet. Aber ich hatte ja
vier Stücke gespielt, glaube ich, oder waren es drei...?
Stephan: Ja, vier.
Wolfram: Und die fand ich eigentlich auch so passabel, dass man
sie auch gut hören kann. Das hauptsächliche Auswahlkriterium für mich, bevor ich
ne Platte mache ist, dass ich der Meinung sein muss, dass man diese Platte auch
mindestens 500 mal hören kann. Ich sag jetzt mal mindestens 500 mal. Bis ne Platte
rauskommt, also vom Entstehen bis die Platte wirklich da ist, weiß ich nicht immer, wie
oft habe ich das Stück eigentlich gehört...? Ist das 100 mal oder vielleicht nur 50 mal.
Ich meine, wenn ein neues Stück entsteht, hört man es als Musiker natürlich zunächst
fragmentarisch. Letztendlich kann ich ja ab einem bestimmten Zeitpunkt, wenn das, was das
Stück dann im Kern ausmacht vorliegt, sagen: "Jetzt ist es da!" Dann mixe ich
daran noch herum, spiele es ein paar Leuten vor. Eigentlich müsste man mal so einen
Zähler bauen, der aufzeichnet, wie oft man einen Track hört, bevor er herauskommt, bei
mir käme da wahrscheinlich eine große Zahl heraus... aber ich bin da wahrscheinlich auch
krasser als andere Leute.
Ich kenne ja viele Musiker und manche sagen: "Wenn die CD erst mal
raus ist, dann höre ich das Zeug gar nicht mehr an und konzentriere mich schon auf etwas
Neues". Bei mir ist das ganz anders. Ich höre mir
gerade dann das Zeug immer
wieder an, um festzustellen, wie viel Anhören die Platte aushält, nachdem ich sie
rausgebracht habe, sozusagen als Verschleißtest unter verschärften Bedingungen. Ohne
jetzt eine Zahl nennen zu können, bin ich der Meinung, dass man das Zeug verdammt oft
hören können sollte. Die meisten meiner Platten, glaube ich, entsprechen diesem
Kriterium zumindest halbwegs.
Zum Beispiel ein Stück, welches ich zwischendurch gar nicht gut hören
mochte, war auf der "Sferic": Das vorletzte, "Vinyl v. Cards, das mit dem
Radiokrams da, mit den Schallplatten auf der See... Mit Schallplatten gibt es viel
Probleme, und so... - Das Stück hatte ich auch nur so aus Spaß gemacht. Und ich war
damals noch der Meinung, ne Platte müsste unbedingt 74 Minuten enthalten. Meine
Platten machen das ja auch jetzt noch irgendwie, aber nicht zwangsläufig. Ich glaub die
nächste werde ich einfach mal bewusst nur 60 Minuten machen um nicht immer die maximal
mögliche Spielzeit zu füllen. Jedenfalls habe ich das Stück dann da hinten dran
gehängt, obwohl die Platte auch ohne das Stück schon fertig war. Zwischendurch habe ich
mich drüber geärgert, dass ich das drauf genommen habe. Ich hab die CD dann immer vorher
ausgeschaltet. Mittlerweile gefällt es mir aber doch sehr gut und ich bin wiederum froh,
dass ich es gemacht habe. Und so hält sich der Vorgang der überkritischen Auslese und
dem Blindflug dann doch immer in der Waage.
Stephan: Kommen wir doch noch einmal zur CD "Elevator To
Heaven". Im Cover sieht man Dich auf einem Gebilde sitzen, das an einen elektrischen
Stuhl erinnert. Was hat es damit auf sich?
Wolfram: Ja genau: Das ist der Elektroakustische Stuhl, den ich
1991 gebaut habe, der quasi als Gedankenexperiment eine Analogie schafft zwischen dem
Leiden unter der zu lauten Umwelt und dem Delinquenten, der auf einem elektrischen Stuhl
sitzt. Das heißt, es wird wirklich analog die Lautstärke der Außengeräusche in eine
hohe elektrische Spannung umgesetzt, die sich dann zwischen Bodenplatte und Rückenplatte
des Stuhls entfalten kann.
Stephan: Und das funktioniert?
Wolfram: Ja, das funktioniert. Da kommen bis zu 400 Volt raus.
Ich hab schon einen Voltmeter damit zerstört... Bei Ausstellungen stelle ich das
natürlich nicht so stark ein, aber immerhin so, dass wenn du mit dem Daumen und dem
kleinen Finger die Boden- und die Rückenplatte berührst und etwas sagst, so ein leichtes
Kribbeln entsteht. Aber im Prinzip geht es eher um den Gedankengang, der dieses Prinzip
verstehend, sich fragt, was soll das, warum ist das so und was kann das heißen. Aber
letztendlich ist es bei den Installationen, die ich mache schon wichtig, dass auch rein
technisch gesehen die Ausführung Hand und Fuß hat. Alleine die Behauptung aufzustellen,
dass die Benutzung des Stuhls gefährlich sei und "Bitte nicht berühren" oder
so was dranzuschreiben, das reichte mir in diesem Falle nicht.
Ich hatte auch mal eine Ausstellung, die hieß "Strom", da
drehte sich alles um elektrischen Strom. Ich baute zehn Podeste auf, wo Steckdosen drauf
waren und jede Steckdose machte etwas anderes. Die Säulen standen auf Galeriepodesten in
einem Meter Abstand von der Wand und zu denen gingen dann elektrische Leitungen mit
Fußtasten drauf. Da konnte man dann draufdrücken. Da war unter anderem ein Exponat
dabei, bei dem zwei Stricknadeln in der Steckdose steckten. Wie man ja als Kind schon
weiß, soll man ja um Gottes Willen mit Stricknadeln einen Sicherheitsabstand zu
Steckdosen halten. Wenn du das siehst, denkst du erst mal drüber nach "Hhm?".
Es kam auch mal eine Gruppe von Blinden, die haben das auch gleich ertastet. Erstmal war
ja auch kein Strom drauf, aber dann hab ich ihnen erzählt, dass da unten auch ein
Schalter sei, und ein Schalter hat ja zumeist zwei Schaltzustände...also: was folgt
daraus?
Wenn man darüber nachdenkt, kommt man zu dem Ergebnis: "Ja, na
gut. Es ist eine Ausstellung, da wird das höchstwahrscheinlich nicht unter Strom stehen.
Aber andererseits ist da hinten der Schalter dran. Ist der jetzt an? Ist der aus? Aber
andererseits, naja, packste das deshalbauch an?" Man überwindet sich und tut
es, denn es kann ja nicht sein, dass die hier Leute vom Leben zum Tode befördern. Jetzt
ist man erst einmal erleichtert, denn es ist ja nichts passiert. Aber der Schalter... ?
Nur Mut ! "Reicht mir das schon? Also komm: drückste mal drauf." ZZZZP!
Ich habe halt die Gemeinheit begangen und DOCH Strom angeschlossen... Es waren zwar nicht
230 Volt, aber es befand sich eine Elektrisiermaschine daran, so dass man zumindest einen
gehörigen Schrecken bekam, wenn man denn so wagemutig war, nicht nur die Stricknadeln
anzufassen, sondern dann noch den Schalter zu betätigen...
Alle lachen.
Das waren natürlich Hochspannungsimpulse, die aber so eine geringe
Stromstärke hatten, dass es natürlich ungefährlich war.
Stephan: Dein Konzert beginnt gleich. Vielen dank für das
informative Gespräch. Es hat wieder viel Spaß gemacht, sich mit Dir zu unterhalten.
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