Michael
Rother und Dieter Moebius gaben am Sonntag, den 11.06.2006 im Fanpark West
in Dortmund ein Konzert. In dieser recht kleinen Location - ich hatte aufgrund
der Fernsehübertragungen zur WM einen großen Platz mit Leinwand
und mehreren Hallen erwartet - die etwas von einer Kleingärtneranlage
hatte, spielten sie in einer Art Jugendheim in das ca. 300 - 400 Leute
Platz finden. Ich hatte das Gefühl, dass der Raum max. 200 Leuten
Platz bietet.
Ich
hatte Gelegenheit mit Michael und Dieter vor ihrem Konzert einige Worte
zu sprechen, in denen ich sie nach ihrem Auftritt, den Red Hot Chilli Peppers,
die am gleichen Abend in der Westfalenhalle auftraten sowie natürlich
dem, was das Land derzeit am meisten bewegt, nämlich der Fußball-WM
gefragt habe.
Leider
konnte ich aus beruflichen Gründen das abendliche Konzert, das aufgrund
des Pepper’s-Auftritts erst gegen 23.00 Uhr starten sollte, nicht mehr
miterleben. Daher kann ich auch zum Konzert selbst nichts sagen. Aber auch
so sind die Antworten der beiden sehr interessant.
Stephan:
Ihr tretet im Rahmen des WM-Programms im Fanpark West von Dortmund auf.
Wie kam es dazu?
Dieter:
Also mit der WM hat das nichts zu tun.
Michael:
Der Hintergrund ist der, dass ein Agent in Köln, jtc, daran interessiert
ist, mit uns Konzerte zu organisieren. Er hat dann ein Gespräch mit
den Veranstaltern hier geführt. Der Umstand, dass am heutigen Abend
und morgen die Red Hot Chilli Peppers in Dortmund spielen, hat für
die Veranstalter, glaube ich, den Ausschlag gegeben, da zuzuschlagen. In
der Hoffnung, dass die Verbindung zwischen dem Gitarristen John Frusciante
von den Peppers und mir ein besonderes Interesse weckt. Das ist die Kurzfassung.
John hat beispielsweise auch die Platten von Moebius. Ich hab die Band
vor ein paar Wochen in Hamburg getroffen, als die ihr so genanntes Geheimkonzert
zur Präsentation ihres neuen Albums gaben. Alle Bandmitglieder waren
Feuer und Flamme, Dieter und mich heute zum ersten Mal live zu erleben.
Mal sehen, vielleicht kommen sie nachher auch wirklich noch vorbei.
Stephan:
Das wäre auch gleich noch eine Frage von mir gewesen, ob sie bei euch
vorbeischauen. Ich hatte nämlich von dieser Freundschaft gelesen.
Da liegt das natürlich nahe. Aber ihr geht jetzt nicht gleich zu ihrem
Konzert?
Michael:
Das schaffe ich nicht. Die spielen auch morgen noch. Eventuell bleibe ich
noch und schaue es mir morgen an. Aber ich hab sie ja auch in Hamburg gesehen.
Ich muss mich hier auf mein eigenes Konzert konzentrieren. Das ist eine
professionelle Einstellung (lacht).
Stephan:
Seid ihr denn selbst schon vom Fußballfieber infiziert? Im Moment
ist ja ziemlich viel los im Land.
Dieter:
Ach ja. Ich guck mir gerne Fußball an. Aber so fanatisch bin ich
persönlich nicht.
Michael:
Ich hab mir das Eröffnungspiel mit ungefähr 3.000 anderen im
Weserbergland in einer Brauerei angesehen, wo eine große Leinwand
aufgestellt war. Ich sehe gerade, die hier ist noch besser (Anm. die Leinwand
im Fanpark West ist gemeint). Es waren zwar grauenhafte Bedingungen, bei
Hitze in einem geschlossenen Saal mit so vielen Leuten zusammengepfercht
zu sein, aber es hat auch Spaß gemacht. Ich bin dann allerdings zur
zweiten Halbzeit rausgegangen. Ich denke die besseren Spiele, bei denen
Mannschaften mitspielen, die mich interessieren, die gucke ich mir in jedem
Fall an. Ich bin hin- und hergerissen zwischen Fußball und Tennis
(lacht).
Stephan:
Zusammen habt ihr bereits in den 70’ern unter dem Projektnamen Harmonia
zusammen Musik gemacht. Dann Michael kam bei dir der Durchbruch mit deinen
Soloalben „Flammende Herzen“, „Sterntaler“ und „Katzenmusik“. Jetzt tretet
ihr heute Abend wieder zusammen auf. Seit wann arbeitet ihr wieder zusammen?
Dieter:
Ja, es ist gemischt. Von mir sind halt die meisten Stücke neuer. Wir
treten ja so auf, dass jeder abwechselnd seine Stücke spielt und der
andere, wenn er Lust hat, was dazu macht. Es hat sich so entwickelt, dass
wir auch gerne ein bisschen touren.
Michael:
Deine Frage ging ja dahin, seit wann.
Dieter:
Ist schon ne Weile her.
Michael:
Genau seit 1998. Ich habe ja, nachdem Harmonia 1976 aufgehört hatte
zu existieren, für viele Jahre nur noch im Studio musiziert und überhaupt
keine Konzerte mehr gegeben. Das hatte technische Gründe, denn es
gab in den 70’er und 80’er Jahren noch keine bzw. keine geeigneten Computer,
mit denen man wie heutzutage live arbeiten konnte. Es erschien mir ausserdem
nicht besonders verlockend, meine Musik mit einer Band zu einzustudieren.
Also habe ich mich auf das Veröffentlichen von Solo-Alben konzentriert.
1997 haben wir dann das Projekt Harmonia 76 herausgebracht. Das waren Aufnahmen
mit Brian Eno aus dem Jahre 1976, die lange als verschollen gegolten hatten.
1998 fragte mich ein Freund aus Düsseldorf, ob ich Lust hätte,
auf der Multimediameile am Rheinufer im Rahmen der Komm98 aufzutreten.
Dieter und ich haben darüber gesprochen, und die Herausforderung hat
mich gereizt. Der erste Auftritt nach 22jähriger Bühnenabstinenz
hat reibungslos geklappt und viel Spaß gemacht. Im selben Jahr waren
wir dann noch in Nordamerika auf Tournee, ein Jahr später in Japan
und anschliessend in Deutschland. Im letzten Jahr hatten wir ganz viele
Konzerte im europäischen Ausland von Italien bis Norwegen. Es macht
mir sehr viel Spaß, Länder mit Musik im Gepäck kennenzulernen.
Es ist sehr ökonomisch, zu zweit zu arbeiten. Man kann die Musik,
die man zu Hause im Studio entwickelt, heutzutage live weitgehend reproduzieren.
Wir arbeiten mit vorbereiteten Materialien, die wir dann an Ort und Stelle
variieren und ergänzen, z.B. ich mit der live gespielten Gitarre.
Das ist ein wichtiger Aspekt, auch für den eigenen Spaß, dass
man sich immer wieder überraschen und die Musik verändern kann.
Auf jeden Fall bin ich sehr froh, dass es mir heutzutage möglich ist
– im Gegensatz zu den 70’ern oder 80’ern, als Live-Auftritte nur mit Band
oder einem riesigen Aufwand zu schaffen waren -, ein komplexes Klanggebilde
auf die Bühne zu bringen. Und so kann ich mit der Musik um die Welt
reisen.
Stephan:
Auf der Internetseite habe ich gelesen, dass euch der nächste Weg
im Juli nach England zu sechs Konzerten führen wird. Ist das richtig?
Dieter:
Ja, bis hoch nach Schottland.
Stephan:
Deutschland ist dann im Moment nicht angesagt?
Michael:
Hierzulande ist es traditionell für uns ein bisschen schwierig. Wenn
ich an die Deutschlandtournee im Jahr 2000 zurückdenke und die damaligen
Reaktionen mit der Aufmerksamkeit vergleiche, die uns in anderen Ländern
entgegengebracht wird: ein himmelweiter Unterschied! Im Ausland erleben
wir oft eine Begeisterung, treffen Leute, die darauf fiebern und
von sonst woher anreisen, lange Fahrten in Kauf nehmen, um uns endlich
mal live zu hören. Vielleicht wird es jetzt auch in Deutschland besser
für uns, ich weiß es nicht, aber grundsätzlich ist es immer
noch so, dass in England, Italien oder in Amerika und Japan die Deutsche
Musik aus den frühen 70’ern - und damit auch wir - einen wesentlich
höheren Stellenwert geniesst. Das ist auch bei den Musikern so. In
Deutschland höre ich kaum von bekannten Musikern, dass sich jemand
mit unserer Musik aus den 70ern beschäftigt hat. Wenn man das mit
amerikanischen oder englischen Künstlern vergleicht, unter denen seit
15 Jahren ein „namedropping“ praktiziert wird, das manchmal ja schon ein
bisschen penetrant wird. Aber es ist natürlich schön, weil die
Musik von vielen tatsächlich geliebt wird, auch wenn man die Zusammenhänge
auf Anhieb gar nicht versteht. Wieso mag jemand wie John Frusciante, dessen
Arbeiten mit den Chili Peppers so ganz anders klingen, unsere Musik? Ich
hab mit John vor zwei Jahren zwei Konzerte gespielt…. bzw. er hat mich
begleitet, so war ja die Idee, weil er unbedingt meine alten Stücke
spielen wollte. Für die Konzerte in Los Angeles und San Francisco
haben wir noch einen Schlagzeuger hinzugenommen, seinen Freund und Mitmusiker
Josh Klinghofer. Beide sind Musikbegeisterte, echte Fans, haben einen grossen
Musikhorizont und kennen alle Alben von NEU!, Harmonia, Cluster und unsere
Solo-Sachen… auch Flea von den Chilli Peppers zum Beispiel, der obendrein
Jazz hört. Der steht dann vor ein paar Wochen bei Stefan Raab in der
Sendung und fragt „Kennst du Neu!?“. Es war recht komisch, weil Stefan
Raab offensichtlich NEU! nicht kannte und überfordert war. So musste
er sich von Jungs aus den USA etwas über deutsche Musik anhören.
Flea und John Frusciante rühren dauernd die Werbetrommel für
uns, so auch in Hamburg vor drei Jahren bei ihrem Konzert in der Color
Line Arena, als wir zusammen gejammt haben. Auch auf der Popkomm forderten
sie das Publikum auf: „Kauft Neu, Harmonia“.
Stephan:
Das muss ich auch sagen. Wenn man das heute im Fernsehen sieht … Vor einigen
Wochen, als Schiller (Christopher von Deylen) mit Thomas D. bei Stefan
Raab im Studio war und der Raab sich nur mit dem Thomas D. unterhalten
hat, das konnte ich gar nicht nachvollziehen (Anmerkung: Thomas D singt
zwar auf der Single, aber nur ein Stück auf dem Schiller-Album). Jetzt
ist die Location hier heute ziemlich klein, spielt ihr sonst – vor allem
im Ausland – in größeren Hallen, oder kommt bei euren Konzerten
mehr Clubatmosphäre auf?
Michael:
Wenn hier also tatsächlich 400 Leute reinpassen, dann ist das schon
eine ganz gute Größe.
Dieter:
Wir haben auch schon öfter Mal in kleineren Clubs gespielt. Manche
große Halle war dann sogar zu groß, das passiert auch.
Michael:
Ja, wir spielen in der Regel vor so zwischen 150 und 500 Leuten. Bei den
größeren Veranstaltungen und Festivals im Ausland kommen die
Leute natürlich nicht nur unseretwegen. Aber wenn man das in Proportion
setzt, so bleibt das Interesse in Deutschland dahinter deutlich zurück.
Daran habe ich mich zwar mittlerweile etwas gewöhnt, denn man kennt
diesen Mechanismus: alles was exotisch ist und von weit weg kommt, ist
erst mal interessanter. Aber im Grunde ist es schon ärgerlich.
Stephan:
Dieter, du kommst ja gebürtig aus der Schweiz. Wo wohnst du heute
und wie habt ihr euch auf das heutige Konzert vorbereitet?
Dieter:
Wir wohnen auseinander, aber auch zusammen.
Michael:
Ich bin 1973 ins Weserbergland gekommen.
Dieter:
Da war ich schon da.
Michael:
Cluster wohnte schon seit anderthalb Jahren dort. Ich bin Pfingsten 1973
hingezogen, und wir haben Harmonia gegründet. Zunächst waren
wir auch ein Wohngemeinschaft, aber nach dem Ende von Harmonia in 1976
hat jeder seinen eigenen Bereich ausgebaut. Möbi und ich haben dort
immer noch einen Wohnsitz. Wobei Moebius jetzt auch noch woanders lebt,
und ich mich im Winter meist in Hamburg aufhalte. Aber der „Alte Weserhof“
ist sozusagen immer noch eine gemeinsame Basis.
Dieter:
Und da üben wir dann auch wie verrückt (beide lachen).
Stephan:
Wie sieht das Programm heute aus? Was wird die Besucher bei dem Konzert
erwarten? Also wie ihr vorhin schon sagtet, von jedem Solostücke und
der jeweils andere spielt dann dazu? Also auch ein Trip durch die ganze
Schaffensphase, auch die alten Sachen?
Michael:
Mhm. Es wird eine Mischung aus alten und unveröffentlichten Stücken.
Fast die Hälfte der Stücke habe ich bisher noch nicht auf LP
veröffentlicht. LP … (lacht) … auf einem Album. Die Materialien sind
in den letzten Jahren entstanden und live in unterschiedlichen Fassungen
aufgeführt worden, so z.B. im Dezember bei einem Konzert auf dem Festival
„All Tomorrow´s Parties“ in England, zu dem mich die Band „Mars Volta“
als Kuratoren des Festivals eingeladen hatten. Dort habe ich meine Stücke
mit Josh Klinghofer am Schlagzeug und Benjamin Curtis an der zweiten Gitarre
gespielt. Das war sehr aufregend. Ben ist Mitglied der Secret Machines,
einer Band aus New York, junge Musiker aus dem Prog-Bereich. Die haben
kürzlich ein neues Album, ihr zweites, rausgebracht und vorher eine
Coverversion des Harmonia-Stücks „Deluxe / Immer wieder“ veröffentlicht.
Mit den beiden Musikern habe ich im März noch ein Konzert in New York
gemacht, das live aufgenommen wurde. Das Material – und was noch daraus
wird – kommt vielleicht schon 2007 – ob unter dem Dach Neu! oder
Michael Rother, das entscheide ich noch – heraus.
|