Stephan:
Hast du die Instrumente gelernt oder bist du Autodidakt?
Thorsten:
Einige Instrumente habe ich studiert. Nur die Gitarre habe ich mir aus
Büchern beigebracht.
Stephan:
Was mich und wahrscheinlich viele andere auch interessiert, ist
natürlich, wie man Bandmitglied bei Tangerine Dream wird.
Thorsten:
Die suchten einen Techniker und Keyboarder, der auch gewisse
Anforderungen, was die Kenntnisse von verschiedenen Programmen
beinhaltete, erfüllen musste. Dann war ich beim Vorspielen …
Stephan:
Und schon ist man drin.
Thorsten:
Eine absurde Antwort wäre durchaus: Übt euer Leben lang Klavier und
interessiert Euch für das Ungewöhnliche(lacht).
Stephan:
Worüber haben Tangerine Dream die Suche gestellt, über eine
Zeitungsanzeige?
Thorsten:
Nein, der Kontakt kam damals über Martin Kaspersak, der die
Auslandskorrespondenz von eastgate bzw. damals noch TDI gemacht hat,
zustande. Der macht auch selber Musik, allerdings in der Gothrock und
Indipendent-Ecke. Eine Zeit lang habe ich in Berlin recht viele
Metal-Alben für andere Leute in Studios eingespielt und daher kannte er
mich.
Stephan:
Das ist ja was ganz anderes zu deiner sonstigen Musik. Was heißt denn in
diesem Zusammenhang eingespielt?
Thorsten:
Ich hab halt als Job für andere Bands einige Sachen eingespielt. Das ist
aber nicht meine Musik. Metal ist recht einfach einzuspielen, man ist
nach einem Tag bereits mit einem Album fertig. Zum Teil weiß ich nicht
mal wie die Bands heißen. Da war immer derselbe Tontechniker im Studio
und ich kam dann hin und habe einige Chöre- oder Geigenklänge
eingespielt.
Stephan:
Seit 2005 gehörst du zum Lineup von Tangerine Dream. Auf deiner
Internetseite ist zu lesen, dass du bereits seit 1994 Musik machst.
Erzähl doch bitte etwas zu deinem musikalischen Werdegang. Du hast ja
vorhin schon kurz angedeutet, dass du Musik studiert hast.
Thorsten:
Ja, ich habe Komposition und Klavier studiert. Seit 1994 mache ich auch
Musik mit Bands. Angefangen habe ich in einer Band mit Christian Hausl,
der zum Beispiel auch die „Madcaps Flaming Duty“ eingesungen hat. Mit
dem mache ich also seit 14 Jahren mit einigen Unterbrechungen und in
verschiedenen Besetzungen Musik. Ich fing als Geiger an und habe mit
einem Jugendorchester Musik gemacht. Dann ging es mit Bands in Richtung
New Model Army, The Mission und The Cure weiter. Ich hab in der Zeit in
Berlin und Umgebung in sehr vielen Bands live und im Studio gespielt.
Dann ist Tangerine Dream gekommen und mein Projekt PicturePalace music
wurde realisiert.
Stephan:
Der Kontakt zwischen Tangerine Dream und dem Sänger Christian Hausl ist
also über dich gekommen?
Thorsten:
Genau.
Stephan:
Was macht Christian sonst? Singt er noch in anderen Bands?
Thorsten:
Ja, der singt bei Foreshadowing. Die machen so eine Art Prog-Metal.
Thorsten live mit Tangerine Dream
Stephan:
Nach der 2007’er Veröffentlichung der PicturePalace music CD „Sonambulistic
Tunes“, bei der neben dir lediglich Susanna Maria Selin und Thorsten
Spiller mitwirken, sind auf dem aktuellen Album „Symphony For Vampires“
neun Musiker mit dabei, von denen auch einige bei der Komposition der
Stücke mitgewirkt haben. Die Cover zieren allerdings nur dich als
Musiker. Wie ist das Projekt PicturePalace music zu verstehen? Ist es
dein Soloprojekt mit Gastmusikern oder ist es doch schon eher ein
Bandprojekt?
Thorsten:
Ich sehe mich eher als musikalischer Leiter. Die größten Teile der Musik
werden von mir komponiert - vieles auch von Sascha Beator. Ich bin der
Meinung, dass ein Soloalbum nicht wirklich funktioniert. Auf einer
Spielzeit von fast 80 Minuten ist es einfach schön, andere Leute
mitschreiben zu lassen. Auch bei den Tracks, die von anderen komponiert
wurden, spiele ich Gitarre oder Keyboard drüber, je nachdem, um was für
einen Musiker es sich handelt. Bei einem Gitarristen spiele ich
beispielsweise Keyboard und bei einem Keyboarder Gitarre. Es ist mit
anderen Musikern eben interessanter.
Ich bin die Konstante bei
PicturePalace music und für den Stil, das Mixing und die
Qualitätskontrolle zuständig. Je nach Projekt ist es auch interessant,
verschiedene Musiker einzubinden. Ich brauch nicht bei jedem Projekt ein
Saxophon oder eine Klarinette. Beim letzten Projekt, der Vertonung von „Nosferatu“,
hatten wir eine irische Bouzouki, um diesen folkloristischen, also
diesen transsilvanischen Touch rein zu bekommen. Wir haben ein recht
großes Team von 15 bis 16 Leuten, aus dem ich die entsprechenden Musiker
aussuchen kann.
Stephan:
Was heißt Team? Sind das alles Musiker die du kennst?
Thorsten:
Musiker, die hier und da auch live zur Verfügung stehen und die man für
verschiedene Projekte zusammenstellen kann. Aber wir haben schon einen
festen PPm-Kern: Sascha Beator (Synthesizer), Thorsten Spiller (FX,Gitarre)
und die beiden Schlagzeuger Kai Hanuschka und Vincent Nowak.
Stephan:
Ist das speziell auf den Raum Berlin bezogen?
Thorsten:
Nein. Das geht recht weit, bis nach Österreich, USA und England.
Stephan:
Beide CDs sind von Stummfilmen („Das Cabinet des Dr. Caligari“ und „Nosferatu
– eine Symphony des Grauens“) inspiriert. Welche Faszination üben
Stummfilme bzw. Filme generell auf dich aus?
Thorsten:
Stummfilme haben einen gewissen Charme. Damit meine ich aber nicht
Laurel und Hardy oder Buster Keaton. Ich komme ja eher so aus einem
düsteren musikalischen Bereich und in sofern finde ich, dass die stummen
Horrorfilme großartig funktionieren. „Dr. Caligari“ war ja an sich der
erste Horrorfilm. Der war ja noch wie ein Theaterstück aufgebaut.
„Faust“, „Nosferatu“ und “Metropolis“ bestechen ja vor allem durch die
Bilder.
Stephan:
Wie bist du bzw. seid ihr an die Kompositionen herangegangen? Habt ihr
euch die Filme angesehen und die Musik dann komponiert oder ist die
Musik direkt zu den Bildern entstanden, quasi Bildsynchron?
Thorsten:
Wir komponieren die Musik direkt auf den Stummfilm und führen das auch
in verschiedenen Kinos auf. „Caligari“ ist eins zu eins übernommen. Die
Musik der CD „Somnambulistic Tunes“ würde, wenn man es darauf anlegt,
von vorne bis hinten genau auf den Film passen, da der Film 75 Minuten
lang ist. Bei „Symphony For Vampires“ fehlen aufgrund der CD-Kapazität
20 Minuten zur Spielfilmlänge von „Nosferatu“. Die sind aber auf der „Walpurgisnacht“-EP
drauf. Bei „Metropolis“ wird die Gesamtlaufzeit 123 Minuten bzw. 145
Minuten betragen, wenn die Teile, die noch gefunden wurden, in den Film
eingefügt werden. In Argentinien wurden ja noch 20 Minuten des Films
gefunden. Das passt natürlich nicht auf eine CD, da schneiden wir dann
einige Stücke raus. Die Stücke, die auf einer CD am sinnvollsten hörbar
sind, werden dann veröffentlicht. Wir schneiden die Musik periodisch,
was - glaube ich - auch richtig ist. Bei einem Film macht es durchaus
Sinn, einen 7/4-Takt einzubauen, der auf einer CD doch eher Fragen
aufwirft, warum an dieser Stelle jetzt auf einmal ein Schlag fehlt.
Wir komponieren gerade an „Faust“. Das
Werk wird am 19.09.2008 in der Kulturbrauerei Cinestar Berlin
uraufgeführt. Es handelt sich dabei um den letzten Film von Friedrich
Wilhelm Murnau, bevor er nach Hollywood ging. Der Film zeigt super
Bilder. Meines Wissens ist es der erste Film mit bewegten Kameras und
Bild in Bild-Effekten, was für einen Stummfilm schon sehr beachtlich
ist.
Stephan:
Du sagtest vorhin, dass die Musik auf den Film geschnitten ist. Ihr
schaut euch den Film dann im Studio an und spielt dazu die Musik, oder
wie muss man sich das vorstellen?
Thorsten:
Wir sehen uns natürlich den Film mehrmals an und dann gehe ich halt so
vor, dass ich erst einmal gewisse Schlüsselszenen, die mich selbst
reizen, vertone. Ich komponiere also den Film nicht von links nach
rechts durch, sondern suche mir prägnante Szenen, die vom Bild
funktionieren und die ich von der Handlung her toll finde. Nach und nach
füllt sich dann das Werk. Danach kommen noch einige Überleitungen. Wir
spielen das nicht durch und nehmen das dabei auf, dazu ist die Musik zu
sehr durchkomponiert. Wir arbeiten vielmehr hier und da mit Themen, aber
eher mit Personen bezogenen Sounds, weil in Stummfilmen einfach zu wenig
unterschiedliche Personen vorkommen. Das heißt, dass man sonst nur mit
vier Melodien würde auskommen müssen. Wir komponieren das halt wie bei
einer normalen Filmmusik auf den Film. Aufgeführt wird das dann auch in
Dolby Surround live in Kinos, zumal wir auch hier und da Geräusche
vertonen. Wenn man beispielsweise bei „Metropolis“ in der zehnten
Minuten diesen Springbrunnen sieht, hört man den auch. Das ist für einen
ambitionierten Stummfilm-Gänger schon ein ungewohntes Erlebnis, keinen
Pianospieler Vorort zu sehen. Die Stummfilmpuristen stehen dem eher
kritisch gegenüber, die meisten bleiben dann aber (lacht).
Stephan:
Was für Leute kommen denn dann zu den Aufführungen? Sind das eher Leute,
die die Filme sehen wollen oder solche, die deine Musik kennen?
Thorsten:
Das ist eine seltsame Mischung. Obgleich sich das Publikum auch
untereinander seltsam beäugt (lacht). Der übliche Elektronik- bzw.
Post-Rock-Hörer und der Stummfilmliebhaber würden sich sonst sicherlich
nicht unbedingt im gleichen Club begegnen.
Stephan:
Im März 2008 fanden im Stummfilmkino Babylon drei Aufführungen von
Stummfilmen statt, die du vertont hast. Waren das drei unterschiedliche
Filme?
Thorsten:
Ja, das war „Das Cabinet des Dr. Caligari“ dessen Musik wir auf „Somnambulistic
Tunes“ herausgebracht haben, dann „Nosferatu“ (ist auf Symphony For
Vampires“ herausgekommen) und „Metropolis“. Das ganze fand um Ostern
herum innerhalb von drei Nächten statt. Das war im Rahmen eines
Stummfilmfestivals mit dem Namen „Die langen Schatten des deutschen
Filmexpressionismus“. Im Rahmen dieses einmonatigen Festivals haben wir
die letzten drei Abende bestritten. Gerade in diesem Stummfilmkino wird
mit Super-Filmprojektoren gearbeitet um die Stummfilme, die variable
Geschwindigkeiten haben, abspielen zu können, was in normalen Kinos
nicht möglich ist. Während es Stummfilme mit 17 bis 19 Bilder pro Minute
gibt, läuft heute ein normaler Film mit 25 Bildern die Minute.
Stephan:
Das heißt, das alle, die an der Studioproduktion beteiligt waren, auch
bei der Liveaufführung dabei waren?
Thorsten:
Wir waren bis zu zehn Musiker auf der Bühne.
Stephan:
Bei allen drei Aufführungen?
Thorsten:
Nein, bei „Caligari“ waren wir nur zu fünft, „Nosferatu“ hat die größte
Besetzung. Meist sind es die, die auch im Studio dabei waren.
Stephan:
Am 30.04.2008 gab es dann noch mit PicturePalace music im Ballhaus in
Berlin einen Liveauftritt. War das etwas ganz anderes? War das eher ein
normales Livekonzert?
Thorsten:
Ja, das war ohne Film. Das war im Grunde die Releaseparty zur
Veröffentlichung von „Symphony For Vampires“ und gleichzeitig war am
30.04. Walpurgisnacht. Das war halt auch von der Thematik auf die
Walpurgisnacht und Goethes Faust ausgelegt. Wir haben also unsere Lieder
zu diesem Event zusammengestellt.
Stephan:
Wie war das für dich? Ist es auf der einen Seite etwas anderes bei
Tangerine Dream als „Mitspieler“ auf der Bühne zu stehen und
andererseits als Hauptverantwortlicher ein Konzert zu bestreiten?
Thorsten:
Von der Vorbereitung und von dem Herzblut macht es in dem Sinne keinen
Unterschied. Ich bereite mich nicht für das ein oder andere weniger oder
mehr vor. Veranstalter bin ich selbst nie. Im Ballhaus waren es eben
Manikin Records, im anderen Fall war es das Kino an sich, plus die
Kulturstiftung. Vom Aufwand nimmt sich das auch kaum etwas, denn
Transport ist Transport. Es ist kein großer Unterschied, obwohl ich bei
PicturePalace music dran schuld bin, wenn es nicht läuft. Aber auch wenn
es gut läuft, geht das dann auf meine Kappe. Das ist etwas, an das man
sich durchaus gewöhnen kann und gewöhnen muss.
Stephan:
Du hast vorhin schon angedeutet, dass die kompletten Kompositionen
länger als eine CD-Laufzeit betragen. Hättest du da nicht eine DoppelCD
herausbringen können? Oder anders gefragt, hast du die Liveaufführungen
in voller Länge absolviert?
Thorsten:
Ja. Wir führen die Filme komplett auf. Zwei bis zweieinhalb Stunden, je
nachdem um welchen Film es sich handelt.
Stephan:
Das heißt, dass - wie du schon erwähnt hast - mehr als auf den CDs
komponiert wurde.
Thorsten:
Ja, die restlichen Sachen bringen wir auf EP’s raus. DoppelCD’s sind
halt so eine Sache. Meiner Meinung nach ist das mehr so ein 70’er Jahre
Ding. Die meisten Leute haben heute ein Problem CDs zu hören, die länger
als 40 Minuten laufen. Wenn man so etwas wie The Strokes hört, die
denken eine Longplay-CD wäre nach 35 Minuten vorbei. Auch System of a
Down bringen zwei CDs, die zusammen gehören und zusammen 80 Minuten
Laufzeit haben, heraus - was ich an sich unmoralisch empfinde. Jedoch
glaube ich auch, dass Leute mit 160 Minuten durchaus überfordert würden.
Thorsten beim Tangerine Dream Konzert
auf der Loreley 2008 (Night Of The Progs III)
Stephan:
Na gut, jetzt gibt es in der Elektronikszene schon ganz andere
Beispiele.
Thorsten:
Wir sehen uns ja nicht so, das wir herkömmliche elektronische Musik
machen. Wir haben durchaus Postrock orientierte Ansätze, was ein großer
Unterschied zum Rock ist, da wir klassischere Strukturen in unserer
Musik haben, als sie in der Elektronikmusik vorkommen. Wir haben keinen
Fluss auf 60 Minuten, sondern wir haben verschiedene durchkomponierte
Stücke mit teilweise Überleitungen, die aufeinander folgen. 160 Minuten
wären daher zu viel.
Stephan:
Da möchte ich aber noch mal nachhaken. Wenn du sagst, ihr unterscheidet
euch von der Elektronikmusik, finde ich aber, dass beim Hören der CDs
doch auch eine Spur Tangerine Dream durchscheint. Da taucht natürlich
die Frage auf, wie sehr du bei deinen Soloaktivitäten von deiner Arbeit
bei Tangerine Dream beeinflusst wirst, auch wenn du ja schon seit 2003
mit PicturePalace music Musik machst? Nutzt man da automatisch auch
Sounds und Songstrukturen, die man bei Tangerine Dream spielt?
Thorsten:
Ich arbeite schon seit fünf Jahren mit bzw. für Edgar Froese. Sicherlich
beeinflussen einen auch die Entwicklung, Arbeitsprozeduren und Musik die
man macht und hört. Gerade Tangerine Dream ist ja sehr Bassbetont.
Vorher spielte ich immer nur mit E-Bassisten zusammen, von daher habe
ich im Prinzip bei Tangerine Dream gelernt, wie man einen elektronischen
Bass programmiert. Und ich denke, da klingt man dann immer ein bisschen
nach seinem Lehrer.
Stephan:
Du sagst gerade, es hängt davon ab, welche Musik man hört. Welche Musik
hörst du denn selber gerne? Etwas aus dem Bereich Elektronik oder eher
aus einem anderen Bereich?
Thorsten:
Ich höre verschiedene Sachen. Es gibt da Abstufungen, nämlich CDs, die
ich bei Leuten höre, CDs die ich höre, wenn ich weg gehe und CDs, die
ich zu Hause höre. Zu Hause höre ich nur ca. 10 verschiedene Gruppen.
Momentan liebe ich Sigur Ros und die Gruppe Godspeed You! Black Emperor
…. Von den älteren Sachen finde ich King Crimson unglaublich gut.
Genesis 1972 bis 1977, was durchaus auch zwei Gabriel-Alben noch
ausschließt, also es war mehr die Steve Hackett Zeit. Aus der
Elektronikszene höre ich eher wenig. Dort höre ich eher recht Flächen
deckend, was mich interessiert, was andere machen. Es ist aber nicht so,
dass ich eine Gruppe als Lieblingsgruppe nennen würde, höchsten The
Prodigy und Nine inch Nails.
Stephan:
Das ist eine etwas andere Elektronik.
Thorsten:
Genau.
Stephan:
Wie erlebst du Musik, wenn du sie hörst? Ich hab mal mit einem anderen
Musiker gesprochen, der beim Musikhören weniger auf die Melodien,
sondern mehr auf die Sounds und eingesetzten Geräte achtet und wie der
Track gemacht ist. Ist das bei dir ähnlich? Kann man diese Gedanken
ausschalten?
Thorsten:
Die musikalische Qualität würde ich nicht von der Aufnahmequalität
abhängig machen. Jedoch kann ich als Musiker - Musik nicht
gesamtheitlich hören. Das habe ich von einem Professor im Fach
Dirigieren gelernt. Wenn man anfängt sich mit Musik extrem zu
beschäftigen, lernt man das irgendwann. - die verschiedenen Momente, die
man automatisch analysiert, also die Geschwindigkeit der Abtastung der
einzelnen Elemente, ob man ein guter Musiker wird oder nicht. Man kann
sich nicht entscheiden, höre ich jetzt wie ein normaler Musikhörer, dann
nimmt man die Sachen als gesamtes Musikstück wahr, oder gehe ich als
Musiker an die Sache. Als Musiker nimmt man die einzelnen Instrumente,
die einzelnen Spuren wahr, man zerlegt das Stück.
Stephan:
Ist das nicht störend, wenn man selbst die Musik konsumiert?
Thorsten:
Es ist nichts, was ich ändern kann. Man könnte jetzt sagen, früher war
es besser, aber ich kann ja auch Musik genießen, wenn ich zum Beispiel
Bands höre, deren Sänger ich fürchterlich finde, ich mich aber sehr an
der Musik dahinter erfreuen kann. Ich kann da durchaus Sachen
ausblenden.
Stephan:
Wie viel Zeit bleibt dir neben der Arbeit bei Tangerine Dream für deine
Soloprojekte?
Thorsten:
(lacht) Tangerine Dream ist durchaus ein Vollzeitjob, das kann ich
sagen. Zwischendurch muss man sich Zeit für eigene Sachen nehmen, um
auch in andere Richtungen gehen zu können. Alles was in Richtung
Industrial geht, also ein bisschen noisiger ist. Es gibt bei Tangerine
Dream schon ein recht festes Konzept, wie man dort komponiert. Edgar’s
Solo-Sachen klingen ja auch durchaus anders, zum Beispiel wäre die
„Ypsilon In Malaysian Pale“ nie ein Tangerine Dream-Album gewesen. Das
sind Sachen, die man außerhalb von Tangerine Dream ausleben kann, um
sich dann wieder auf die Sachen zu konzentrieren. Auch gerade die Art
von Gitarren, die wir bei PicturePalace music benutzen, würde einfach
nicht zu Tangerine Dream passen. Die finde ich aber trotzdem toll, daher
nehme ich mir die Zeit auch diese Sachen produzieren zu können. Die
müssen zum Teil auch einfach raus.
Stephan:
Und mit Tangerine Dream zu arbeiten heißt dann ja auch nicht nur in
Berlin zu sein. Du hast mir vor ein paar Tagen schon gesagt, dass in
Wien geprobt wurde und Tangerine Dream ist ja auch einige Male im Jahr
in den USA. Bist du dann immer mit unterwegs, oder wie sieht dein
Arbeitsalltag aus?
Thorsten:
Ich bin häufig im Studio in Wien. Dort arbeiten wir oft zusammen und
auch in Berlin arbeiten wir. Ich fahre in Berlin länger zum Flughafen,
als ich dann im Flugzeug von Berlin nach Wien unterwegs bin.
Stephan:
Sind die beiden PicturePalace music-Alben deine ersten
Soloveröffentlichungen? Du hast zwar vorhin schon davon gesprochen, dass
du in Bands gespielt hast, aber sind das deine ersten Soloproduktionen?
Thorsten:
Wenn es Solo wäre, stünde mein Name drauf (lacht). 1995 oder 1996 war
ich auf dem Tribute-Album „The Dark Side Of David Bowie“ zusammen mit
Timothy Moldrey vertreten (mit dem Titel „Moonage Daydream“). Das war
Goth oder Avantgarde. Dann habe ich mit Minory, wo auch der Christian
Hausel sang und später dann auch Frank Stoppel als Sänger dabei war,
einige Alben in Selbstregie veröffentlicht. Wir haben auch bei
PicturePalace music verschiedene Sänger, Frank singt den letzten Titel
auf dem „Symphony for Vampires“ Album. Es sind quasi vier Leute von
Minory zu PicturePalace music rüber gekommen. Mit denen habe ich einige
Sachen veröffentlicht. Und dann halt die ganzen Metal-Sachen, deren
Namen ich zum Teil nicht kenne.
Stephan:
Wie du es schon gesagt hast, war das eine Arbeit, die ich nicht als
Soloprojekt bezeichnen würde.
Thorsten:
Das ist wohl wahr. Eigene Produktionen waren dann wohl eher Minory und
PicturePalace music.
Stephan:
Wie sehen deine weiteren Solopläne aus?
Thorsten:
Da wir „Metropolis“ schon aufgeführt haben, haben wir noch 125 Minuten
fertige Musik, die noch veröffentlicht werden mag. Es wird Ende des
Jahres passieren. Als viertes Album werden wir kein Stummfilmalbum
rausbringen.
Stephan:
Sondern?
Thorsten:
Wir sind derzeit noch mit der Konzeption beschäftigt. Wir bereiten uns
derzeit auf etwas anderes vor. Als fünftes Album ist dann wiederum
„Faust“ geplant.
Stephan:
Wie sieht es ansonsten live bei dir aus – außerhalb von Tangerine Dream?
Thorsten:
Am 19.09.2008 die Aufführung im Kino. Drumherum wird ein fröhliches
„Picture Palace music“-Wochenende stattfinden mit einem reinen
Elektroset und einem richtigen Livekonzert am zweiten Tag. Dann ist
eventuell mit der Musik zu „Faust“ eine Tour durch verschiedene Kinos in
Deutschland geplant.
Stephan:
Das ist dann auch für viele andere Interessierte gut zu wissen, denn
Berlin ist für viele nicht um die Ecke.
Thorsten:
Das Problem ist halt, das wir 15 Leute sind.
Stephan:
Wie ist denn bisher so die Resonanz?
Thorsten:
Die Kinos sind immer voll, aber in einen Kinosaal, wie in Berlin, passen
gut 500 Leute rein. Gehen wir nach Lübeck, dann fasst das Kino nur gut
120 Leute. Wenn wir nicht 60 Euro für ein Ticket nehmen wollen, ist das
so eine Sache.
Stephan:
Gibt es denn schon Interessenten, also Kinobesitzer, die das schon
gesehen haben?
Thorsten:
Ja, zum einen ist da die Stiftung und Cinestar ist ja eine Kinokette,
ähnlich wie UCI, die durchaus interessiert wären. Da arbeiten wir noch
an der Finanzierung und der Umsetzung.
Stephan:
Vielen Dank für das sehr angenehme Gespräch. Mir hat es viel Spaß
gemacht.
Thorsten:
gern , und ich habe zu danken ...
Stephan Schelle, 22.08.2008