Frage: Man liest, während der Produktion von „Psychoanorexia“ warst du 2
Jahre im Keller allein... fühlst du dich als Nerd?
Antwort: So wie du das sagst, müsste ich ja sagen... Aber nein, ich bin,
glaube ich, zwar echt besessen von Musik und Klang, aber ich bin ja kein
hauptamtlicher Kellerhocker: Da gibt es eine Familie, die sehr viel
Liebe, Zeit und Gedankenschmalz braucht, meinen „echten“ Job, der mir
sehr viel bedeutet, eine ähnliche Besessenheit von Sport und
Literatur... Nein, ich glaube, ich bin kein Nerd. Wobei ich
wahrscheinlich durchaus so einige Charakteristika mit Sheldon Cooper
gemeinsam habe - allerdings kenne ich Sheldon Cooper, was für Sheldon
Cooper selbst wohl sehr unwahrscheinlich wäre.
Frage: „Psychoanorexia“ gilt als schwere Kost, wie eigentlich alle
Konzeptalben. Kannst du uns ein bisschen erleuchten, was den Inhalt
angeht?

Antwort: Eigentlich würde ich lieber nicht so viel darüber sprechen. Die
Texte liegen immerhin bei, und ich habe mir 2 Jahre lang größte Mühe
gegeben, das alles so auszudrücken, wie ich es für angemessen halte...
das möchte ich jetzt nicht in den paar Minuten des Interviews kaputt
machen. Grundsätzlich sollte auch jeder Hörer selbst ins Album finden.
Mir geht es ja selbst oft so, dass sogar meine eigene Musik mir nach ein
paar Jahren ganz andere Schwerpunkte zu haben scheint als die, die ich
mal reinlegen wollte. Merkwürdiges Gefühl, übrigens.
Frage: Vielleicht trotzdem eine kurze „Einführung“..?
Antwort: Ich würde sagen, es geht um „Achtsamkeit“. „Psychoanorexia“
bezeichnet die geistige Magersucht, in die uns unsere Überflutung mit
Trash und allzu vorgekauter Kost (leicht ist gar kein Ausdruck mehr!)
führt. Es schmeckt immer gleich, und somit nach nichts. Zum Beispiel
wird Musik inzwischen im Mainstream praktisch gar nicht mehr als
Selbstzweck komponiert, sondern praktisch nur noch als Verkaufsitem: für
Handyklingeltöne, für Clubs, für Werbejingles, zur Imagepflege und -konstitution...
Nicht dass das früher gar nicht so gewesen wäre - ich bin beileibe kein
Kulturromantiker! -, aber das Maß dieser rein monetären Perspektive ist
doch erschreckend momentan. Wenn z.B. Lady Gaga-Songs inzwischen von 3-4
„Komponisten“ gleichzeitig geschrieben werden, dann ist das ein
skurriles Phänomen: Es gibt in diesen Bereichen Komponisten, die sich
auf das Herstellen von „Intros“ spezialisieren, ebenso von Strophen,
Refrains, Bridges... Man wählt dann als Produzent die verschiedenen
Komponenten aus einer Art Datenbank aus und stöpselt sich so den
verbrieft massentauglichen Hit zusammen. Die Frage des musikalischen
Sinngehalts oder Anspruchs stellt sich da gar nicht mehr, nur noch die
der garantierten ökonomischen Profitabilität. Darauf will ich hinaus:
Auch früher wurde viel kommerzielles Zeug produziert - aber nicht
dermaßen musik- und kulturverachtend von reinen BWL- und
Zeitgeist-Experten.
Frage: Du spielst alle Instrumente, singst, mixt, produzierst,
arrangierst... Woher kannst du das alles?
Antwort: Das ist ein klassisches Autodidaktengeschichtchen. „Können“ ist
ein großes Wort, und z.B. mein Schlagzeugspiel ist alles andere als
Hi-End. Ebenso bin ich auch als Gitarrist ganz gut darin, das zu
spielen, was ich für meine Musik brauche - aber der Rest..? Fingerbrüche
und Schürfwunden! In die Tontechnik bin ich immer mehr reingewachsen,
sowohl was mein Studio als auch mein Knowhow angeht. Ich denke, wenn man
die Alben so durchhört, merkt man deutlich, was sich von wo nach wo
verändert - hoffentlich verbessert! - hat. Insgesamt muss ich aber
sagen, dass ich mit dieser totalen Kontrolle über meine Musik sehr
glücklich bin. Vielleicht sollte sich das ein Psychologe mal genauer
anschauen...

Frage: Woher beziehst du deine Ideen? Deine Songs sind ja nicht gerade
auf dem normalen Popniveau, sondern erheben sich immer in etwas
komplexere, poetischere und auch philosophischere Gefilde.
Antwort: Danke... Naja, ich habe auch immer das Gefühl, dass Musik nur
die Ausdrucksform für die „Geschichte“ auf dem Album ist. Bisher habe
ich eigentlich nur bei „Naive“ mal in der Kleinform „Song“ gedacht,
spätestens seit „Voices“ erzählt eigentlich jedes Album ein gewisses
Thema, eine Stimmung, eine Atmosphäre oder auch einfach - wenn auch
kryptisch - eine Geschichte. „Psychoanorexia“ z.B. beschäftigt sich mit
der Frage, was mit zwei Liebenden passiert, wenn sie von dieser
geistigen Magersucht erfasst werden - wie sie einander immer weniger zu
sagen haben, sich immer weniger attraktiv und immer austauschbarer
finden, wie ihre Intimität totgefacebookt wird... usw.
Ich
habe schon immer politische Agitatoren mit Vorsicht betrachtet, selbst
wenn sie für einen so genannten „guten Zweck“ agitierten. Bono z.B.: Der
stellt sich auf die Bühne und ruft „No more apartheid!“ und 10.000 Leute
brüllen ihm das nach. Nun ist, glaube ich, niemand wirklich anderer
Ansicht, aber mein Problem mit so was ist: Wie viele von den 10.000
wissen denn *wirklich* Bescheid über Nelson Mandela, die Realitäten der
Unterdrückung usw.? Ist dieses Massenphänomen des Chorgesangs - hier mal
nicht ein Liedrefrain, sondern ein politischer Slogan - dadurch nicht
ein wenig arg orwell-kafka-esque? Nochmal: Natürlich nutzt Bono seine
Bekanntheit hier zu einem Zweck, den ich für gut halte - aber wollen wir
diese Art von Unterstützung für diesen Zweck tatsächlich? Aus diesem
Grund habe ich versucht, dem Album weniger sozialkritische Aussagen zu
verpassen, sondern eher über die Auswirkungen des eben erwähnten
Prozesses zu sprechen - in diesem Fall auf ein Liebespaar. Möge jeder
draus machen, was er will.
Aber du fragtest nach den Quellen für die Ideen... Die kommen in der Tat
eher aus meiner Leseerfahrung, vor allem momentan aus dem Bereich der
modernen und postmodernen englischsprachigen Poesie, die ich gerade
wieder sehr stark schätze. Auf „Psychoanorexia“ lege ich das auch an 1-2
Stellen offen! Wer E.E. Cummings oder auch W.H. Auden und W.B. Yeats
schätzt, wird das schon gemerkt haben.

Frage: Wie kommt man eigentlich dazu, gerade im Progressive Rock tätig
zu werden? Du warst ja noch gar nicht geboren, als dieses Genre seine
Hochphase hatte, und auch für die Neoprogphase bist du eigentlich zu
jung?
Antwort: Ich habe den Progressiven Rock ca. 1989 bei einer Klassenfahrt
kennengelernt. Damals war ich gerade hochpubertierend und hatte Hesses
Steppenwolf geradezu inhaliert: Ich war Harry Haller, keiner verstand
mich, alle gezähmt. Auch wenn ich vielleicht gar nicht 100% falsch
gelegen habe, ist das natürlich eine Pose, die vor allem einsam macht.
Und genau da traf mich „The Thieving Magpie“ von Marillion mitten ins
Herz. Durch meine ablehnende, betont introvertierte (und somit
eigentlich komplett extrovertierte...) Art hatte ich mich während der
Fahrt komplett ins Abseits gestellt, und damit ich mich nicht lächerlich
machte, musste ich diese Pose schließlich auch durchhalten! Also
schnappte ich mir auf der Busfahrt nach Hause den Walkman eines
Klassenkameraden, setzte ihn auf, machte ihn an... und es ertönte Steve
Rotherys Solo in „Sugar Mice“. Ich konnte es nicht fassen! So viel
Intensität hatte ich noch nie erlebt. Als dann noch „Script for a
Jester’s Tear“ und „White Russian“ gelaufen waren, wusste ich gar nicht
mehr, wo mir der Kopf stand... Und die live-Version von „Misplaced
Childhood“ im dunklen Bus auf der Autobahn machte mich dann zum Junkie:
Innerhalb von 3 Tagen hatte ich alle Marillion-Platten (naja,
Kassetten!) rauf und runter gehört und war mir sicher: Ein neues,
besseres Leben hatte begonnen. Es folgten Genesis’ „Selling England by
the Pound“ und ein bisschen IQ, ein bisschen King Crimson noch und auch
ein paar Takte Yes („Relayer“, „Close to the Edge“). Das wars eigentlich
- viel mehr hat mich am Progressive Rock kaum mal wirklich berührt. Die
Großform zu denken, das aber erschien mir eine großartige Möglichkeit,
meine Vorstellung von Musik in die Tat umzusetzen.
Frage: Du hast also jetzt 3 Konzeptalben gemacht... kommt jetzt ein
viertes?
Antwort: Puh, wenn ich das wüsste. Ich würde mich ja eigentlich freuen,
mal ein Album mit 12 kurzen Stücken zu schreiben, die alle disparat
nebeneinander stehen können. Aber ich weiß gar nicht mehr, ob ich das
kann... Es gibt bereits ein Intro für den Nachfolger, das - ich atme
auf! - in eine ganz andere Richtung als „Psychoanorexia“ weist. Eher so,
als hätten Radiohead bei „Kid A“ Richard Barbieri und Robert Smith dabei
gehabt. Mal sehen, ob das so bleibt. Ich kann es einfach nicht
voraussagen! Musik überwältigt einen meistens einfach und geht ihren
eigenen Weg.
Frage: Wie sieht es mit Livepräsentationen Deiner Musik aus, gibt es da
Planungen Dich auch mal „live in concert“ auf der Bühne erleben zu
können?

Antwort: Oh ja, da ist eine Menge schon sehr konkret! Als nächstes werde
ich am 11.04.2013 in Rüsselsheim mit Le Orme auf die Bühne treten. Das
wird sehr interessant, hoffe ich: All diese 200-250 Spuren pro Track
werde ich versuchen, nur mit Klavier und Stimme einzufangen. Mir hat das
bisher immer einen Riesenspaß gemacht, und eigentlich den Zuhörern auch.
Also: t live ist immer sowas wie eine unplugged-Geschichte. Ich versuche
da, die Seele der Stücke rauszuarbeiten und sie abzuschminken. Das geht
natürlich nicht mit allen Experimenten bzw. es verändert die Stücke
immens, aber Livebands, die genau so klingen wie auf CD, fand ich
sowieso immer lahm.
Frage: Fühlst Du Dich wirklich so, wie sich die Texte lesen und die
Musik anfühlt? Und wenn ja, wie integrierst Du das in Dein „normales“
Leben, z.B. als Vater und Ehemann?
Antwort: Das ist eine schwierige Frage. Ja, ich fühle mich so, aber
nicht immer. Insgesamt bin ich wohl wirklich ein recht mürrischer und
skeptischer Mensch, aber eben nicht nur und bestimmt auch nicht auf der
Außenseite. Aber ich bin selbst immer wieder erstaunt, dass sich
praktisch mein gesamter musikalischer Output in Moll oder gut getarntem
Dur bewegt. Mir lag es aber noch nie, Party und „Hölle-hölle-hölle“ zu
veranstalten. Ich bin da zwar kein Totalausfall, aber eher etwas
schüchtern, und ich bin auch nicht als Party-Smalltalker geeignet: Ich
hab schon oft beobachtet, dass ich innerhalb einer solchen Gruppe dann
eher versuche, 2er oder 3er-Grüppchen zu extrahieren und dann doch
wieder in der Ecke sitze...Wie dem auch sei: Die Skepsis und die
zwanghafte Analyse, auch der Weltschmerz, all das scheint schon echt zu
sein. Aber es beherrscht mich nicht, nein, und es ist insofern auch
keine Kunst, mit dieser Art von Musik an der Backe ein „normales“ Leben
zu führen. Im Gegenteil: Durch das Ventil in meinem Studio kann ich all
das im Alltag noch besser einordnen und den Anforderungen, die eine 2
1/2-jährige an einen Papa stellt, z.B. entsprechen.
Frage: Wie und wo siehst Du die Zukunft der Musikbranche allgemein?

Antwort: Das interessiert mich eigentlich echt nur sehr marginal. Für
mich geht es eigentlich immer nur darum, möglichst so erfolgreich zu
sein, dass ich auch das nächste Album wieder professionell rausbringen
kann. Wer mir das nicht glaubt, kann ja mal selbst ausprobieren, mit so
einer Musik reich zu werden...
Frage: Wo siehst Du Dich in 10 Jahren mit Deiner Musik? (Hoffnung und
Realität mal miteinander verglichen)
Antwort: Hoffentlich an derselben Stelle vor etwas besserem Equipment,
genau so überfordert von der Ideenfülle, mit einem gerüttelt Maß mehr an
Zeit für die Musik, immer noch glücklich wie ein kleines Kind, wenn ich
bis nachts um 4 an 10 Sekunden einer Filterfahrt durch Samples und
Soundscapes rumbastele... Ja, das würde mir gefallen.
Vielen Dank Thomas „t“!
Interview geführt von Bernd Schulte