Ron:
Frank hatte ja vorher schon zwei CDs bei uns (Anmerkung: bei Groove
Unlimited) herausgebracht. Er hatte für seine damalige CD drei Stücke,
mit denen er zwar zufrieden war, er aber zu mir meinte, dass es toll
wäre, wenn ich noch etwas dazu spielen könnte. Es gab den Raum in den
Stücken, wo man am Anfang, im Mittelteil oder am Ende noch etwas
ergänzen konnte. Ich hab mir dann die drei Stücke angehört und die Musik
auf mich einwirken lassen. Drei bis fünf Mal hörte ich mir die Stücke an
und hab dann locker aus dem Handgelenk die Partien dazugespielt, die ich
wollte. Ich fand es im Endeffekt auch sehr gelungen. Ich hab ihm dann
die Aufnahmen geschickt und er fand sie auch ganz gut. So ist das
entstanden.
Stephan:
Was hast du denn zwischendurch noch gemacht? War das zwischen „Movement
Area“ und „Acoustic Shadows“ deine einzige musikalische Arbeit und hast
du dich mehr um Groove und das E-Live-Festival gekümmert?
Ron:
Ich hab in der Zeit zwei große Musikbörsen organisiert. Das waren zwei
große Börsen in Form von DJ-Börsen. Das hat nichts mit Musikmachen zu
tun, sondern mit den Geräten, also mit dem Werkzeug der Musiker. Da sind
dann jeweils 2.500 bis 3.000 Leute gekommen. Letztendlich habe ich aber
immer an der CD „Acoustic Shadows“ gearbeitet, weil das Thema so
persönlich für mich war.
Stephan:
Du bezeichnest „Acoustic Shadows“ nach der CD „Detachment Of Worldly
Affairs“ als Dein persönlichstes Album. Erzähl doch ein bisschen etwas
zu den Hintergründen.
Ron:
Das Thema ist ja
nicht fröhlich. Es ist ja kein Thema wo man sagt „Da setz ich mich mal
schön hin und spiel mal was“. Am Anfang war die Musik auch düsterer, als
sie dann schließlich auf der CD geworden ist. Als ich die ersten
Aufnahmen durchgehört habe, hab ich gedacht: „Das Thema ist ja schon
nicht fröhlich, da darf man das auch nicht so düster angehen, weil das
Album ja auch noch ein bisschen Hoffnung ausstrahlen sollte.“ Obwohl es
all diese schlechten Sachen gibt, über die die Musik handelt, können
schließlich aus diesen schlechten Sachen auch einige positiven Dinge
entstehen. Die Sinnlosigkeit vom Beginn eines Krieges und das
letztendlich ein Krieg, nachdem er beendet ist, doch noch positive
Seiten haben kann, das war eigentlich das Thema der CD. Als Beispiel
hatte ich da schon den amerikanischen Bürgerkrieg angesprochen. Der
Grund für den Krieg war völlig unsinnig, weil sich die Südstaaten von
der Union ablösen wollten. Letztendlich hat dieser Krieg aber dazu
geführt, dass die Sklaverei in Amerika aufgehoben wurde. Unter diesem
Gesichtspunkt muss man die CD sehen.
Der erste Weltkrieg war ein Streit zwischen drei, vier,
fünf Neffen, die zufälliger Weise Könige von Ländern waren. Und da
sterben dann 20 Millionen Leute, das ist unfassbar. Der erste Weltkrieg
ist ein sehr befremdlicher Weltkrieg für mich, wo eine Ursache die
nächste ergibt und so weiter und letztendlich sind dann 20 Millionen
Leute tot. Und das Ganze hatte gar keinen Sinn. Der erste Weltkrieg hat
gar nichts gelöst, hat keine Hoffnung gebracht sondern nur zerstört. Und
da sage ich dann „Das ist wirklich ein sinnloser Krieg“.
Stephan:
Deswegen zeigt das
Cover auch einen sehr düsteres und bedrückendes Kriegsbild?
Ron:
Ja genau, das ist der erste Weltkrieg. Das ist für mich auch ein
unfassbares Etwas. Das war der erste richtig moderne Krieg den es
gegeben hat, also mit Flugzeugen, mit Gasangriffen, mit Flammenwerfern
und diesen Grabenkämpfen, wo um hundert Meter zu erobern, eine halbe
Millionen Leute fallen. Ich habe die CD aber so angelegt, dass ich keine
Beschuldigungen ausspreche.

Stephan:
Das merkt man auch.
Ron:
Da will ich auch weit von entfernt sein, jemanden zu beschuldigen. Nur
die Ursache dieses Krieges ist so undurchsichtig und dumm, dass junge
Leute mit Verstand da mitgemacht haben. Im Anfang des 19. Jahrhunderts
gingen doch alle zur Schule und hatten eine Ausbildung bekommen. Und
trotzdem haben sie sich alle zur Schlachtbank führen lassen. Das hat
mich immer fasziniert. Ich glaube auch nicht, dass das in der heutigen
Zeit noch passieren würde. Hier in Westeuropa glaube ich das nicht mehr,
dafür sind wir mittlerweile zu friedlich geworden. Es gibt natürlich
immer noch Ecken in der Welt, wo das noch passiert, wir haben es ja erst
vor wenigen Tagen in Georgien mitbekommen. Und das ist ja in der Tat
auch nicht so weit weg. Das hat man ja auch damals mit Serbien im
Balkankrieg gesehen. Eigentlich passierte vor 15 Jahren dort das, was im
frühen 19. Jahrhundert im Rest von Europa los war.
Stephan:
Mit deinem Album „Acoustic Shadows“ sprichst du ein sehr ernstes Thema
an. Im Booklet steht, dass du eine Fernsehsendung der BBC gesehen hast.
Was es das, was dich dazu bewegt hat?
Ron:
Ich bin ein großer Liebhaber von Dokumentarsendungen. Ob es jetzt
englische, amerikanische oder deutsche sind, ich verschlinge alles, was
Dokumentarsendungen sind. Ich lese auch viele geschichtliche Bücher. Am
liebsten sind mir die Sachen, die wahrheitsgetreu sind.
Von der BBC gibt es die Serie „The great War“, weil in
England der erste Weltkrieg als der große Krieg gesehen wird, handelt
die Serie davon. Der ist für die Engländer eigentlich wichtiger als der
zweite Weltkrieg, denn im ersten Weltkrieg sind über fünf Millionen
englische Soldaten gefallen, im zweiten nicht mal eine halbe Millionen.
Das nur mal als Maßstab, wo für die Engländer der Unterschied liegt. Das
ist eine sehr schöne 18teilige Serie, die wirklich diese Sinnlosigkeit
zeigt. Drei bis vier Sendungen handeln alleine nur über diesen
Grabenkrieg, wo in sieben Monaten eine Millionen Leute auf englischer,
französischer und deutscher Seite sterben. Und das alles um sonst. Aus
England gehörten ja viele der Soldaten der Mittelklasse an, die richtig
studiert hatten und die saßen da in einem Graben und Leichen lagen
überall drum herum und die haben das alles überstanden. Und ich denke
mir, dass es unfassbar ist, dass ein Mensch das aushalten, verdauen und
auch noch zulassen kann. Es müsste doch irgendjemand an einem Punkt
aufstehen und sagen, „Jetzt ist es genug“. Es hätte doch jemand sagen
müssen „Lasst uns aufhören und nach Hause gehen“. Letztendlich ist das
aber nicht passiert und das befremdet mich.
Stephan:
Zwischen den Stücken bzw. in ihnen hört man oft eingebaute Sätze, die
sich danach anhören, als stammten sie aus einer Fernsehsendung. Ist das
richtig?
Ron:
Ja, das stimmt. Ich hab unter anderem aus der Serie „The great War“ und
aus der sehr schönen Dokumentarserie vom amerikanischen Bürgerkrieg
etwas eingebaut. Der amerikanische Bürgerkrieg hat mich auch immer
fasziniert. Ich glaube eigentlich nicht an Reinkarnation, aber bei allem
was ich vom amerikanischen Bürgerkrieg lese oder sehe rieche ich, wie es
damals war. Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass es
Reinkarnation gibt, aber irgendwie fasziniert mich dieser Krieg mehr als
jeder andere. Vielleicht auch, weil Familien gegeneinander gekämpft
haben. Das war wirklich so ein Krieg, wo auf der einen Seite der Vater
und auf der anderen Seite der Sohn gekämpft hat. Komplette Familien und
Dörfer haben sich getrennt, je nachdem für welche Seite sie waren.
Stephan:
Ich finde diese Passagen machen die CD auch wesentlich kompakter. Man
bekommt dadurch noch mal einen besseren Bezug zur Musik und dem Thema.
Was ja bei Instrumentalmusik eh immer etwas schwieriger ist.
Ron:
Es sind zwei Stücke mit gesprochenem Teil auf dem Album, mit denen ich
sehr zufrieden bin. In einem spricht eine Frau und bei dieser Frau hört
man die Verzweiflung aus ihrer Stimme heraus. Das Gedicht, was sie da
vorträgt, wurde auch von einer Frau im Jahr 1863 geschrieben. Das gibt
wirklich die Gemütslage der Leute wieder. Das fängt die Atmosphäre der
CD wirklich gut ein. Es gibt dadurch etwas Beklemmendes.
Stephan:
Ja, das stimmt.
Ron:
Und das darf es auch
ruhig sein. Wenn man das Booklet sieht, da sind keine schönen Fotos
drauf. Es ist aber nicht um zu schockieren. Wenn man das Booklet liest,
ich hab so viel wie möglich an Informationen dort aufgenommen, dann kann
man sich vielleicht vorstellen, wie es damals war.

Stephan:
Ich hatte beim Hören auch das Gefühl, als wenn du sehr objektiv an das
Thema herangegangen bist. Ich kann es aber auch nicht anders beurteilen,
weil ich aufgrund meines Alters ja nicht selbst dabei gewesen bin. Du
bist, wie ich finde, sehr behutsam mit der Wahl deiner Töne und auch
Deiner Linernotes mit dem Thema umgegangen. Ja du hast mit dem Stück
„Dresden“ die Bombardierung der deutschen Stadt vertont. Ich empfinde
das als deutscher, der zwar den Krieg nicht am eigenen Laib miterleben
musste, sehr wohltuend, dass ein Niederländer, dessen Landsleute im
zweiten Weltkrieg unter den deutschen Besatzern sehr gelitten haben,
sich so objektiv ausdrückt. Hat sich da das Verhältnis zwischen
Niederländern und Deutschen verbessert?
Ron:
Ich sag mal jein. Holland war im zweiten Weltkrieg als eines der letzten
Länder von den Deutschen besetzt. Bis zur Kapitulation war der Norden
von Holland immer noch besetzt. Holland ist auch eines der wenigen
Länder gewesen, die im Winter 1944 eine Hungersnot gehabt haben. Und
dadurch gibt es immer noch Leute, im nördlichen Teil Hollands, die das
nicht vergessen haben. Ich wohne unter den Revieren. Es ist schon ein
Unterschied, ob du in Holland über dem Rhein oder unter dem Rhein
wohnst. Diesen Unterschied gibt es schon seit 1500 bzw. 1600. Aber durch
den zweiten Weltkrieg sind die Gräben noch mal tiefer geworden, denn die
haben alle bis zuletzt durchhalten müssen. Was uns in Holland allgemein
mehr beschäftigt, ist das wir 1974 im WM-Finale verloren haben (lacht).
Bis auf bei den alten Leute ist der zweite Weltkrieg nicht mehr in den
Köpfen. 1974 haben viele Holländer noch mehr in Erinnerung.
Jedem Holländer ist wohl bewusst, dass nur ein kleiner
Funke in Deutschland dazu geführt hat, unter anderem auch durch die
neuen Medien wie Radio etc., das es diese Hysterie in den Jahren 1938/39
bis 1942/43 gegeben hat. Ich gehe davon aus, dass dies in vielen anderen
Ländern auch hätte passieren können. Das es letztendlich hier passiert
ist, naja, es sei so. Es sind vielleicht auch 10.000 bis 15.000 Leute
schuld daran, und diese Leute haben meiner Meinung nach auch alle ihre
Bestrafung bekommen. Das wollte ich mit dem Dresden-Thema ja auch
ausdrücken, dass auch Sachen passiert sind, die von westlicher Seite
erfolgten und nicht gut geredet werden können. Die Engländer und
Amerikaner wussten, dass Dresden mit Flüchtlingen voll gepackt war und
doch haben sie die Stadt bombardiert, nur um den Russen zu zeigen,
„Guckt mal Jungs, wir können auch immer noch kämpfen. An eurer Seite,
wenn wir wollen“. Das gleiche gilt für den Atombombenkrieg. Die zwei
Atombomben, die geworfen wurden … Den Abwurf der ersten kann man
vielleicht noch verstehen, aber die zweite ist doch eher, sage ich mal,
ein Verbrechen. Die zweite Atombombe auf Nagasaki ist genau so ein
Verbrechen wie die Bombardierung Dresdens. Und in jedem Krieg, auf jeder
Seite kommen Verbrechen vor, das ist nun mal so.
Früher waren es zwei, drei Heere, die ihre Streitigkeit
gegenseitig auf einem Schlachtfeld ausgetragen haben. Da wurden die
Soldaten auch gut für bezahlt, aber seit dem ersten Weltkrieg ist das
vorbei und die Bevölkerungen werden mit in diese Auseinandersetzungen
hineingezogen. Dagegen können wir halt nichts machen.
Stephan:
Wie gehst du an neue Stücke heran? Steht zunächst ein Konzept bzw. ein
Name für die Produktion fest oder entwickelt sich das im Laufe des
Entstehungsprozesses bzw. betitelst du die Stücke wenn sie fertig sind?
Ron:
Ich fang eigentlich erst an Musik zu machen und während dieses
Prozesses, wenn ich zwei oder drei Stücke fertig habe, dann fällt mir
ein Thema ein, das zur Musik passt. Und das ist dann meistens von
Büchern oder halt von anderen Sachen beeinflusst. Daher kommt dann das
Konzept. Die Stücke für „Acoustic Shadows“ waren schon fertig, waren mir
aber doch etwas zu düster. Da habe ich mir dann gesagt, wenn du dieses
Thema nutzen willst, dann musst du es etwas anders angehen. Das gilt
auch für die letzte und eigentlich für jede CD. Bei „Area Movement“ war
es wirklich so, das bei mir zu viele Stücke zu filmisch waren. Ich hab
dann zwei Stücke auch noch umgeschrieben, so dass es etwas mehr zur
Elektronikmusik zurückging. Das ist dann kein Kompromiss, denn mir
gefällt jede Art von Musik, ich habe nämlich einen ganz breiten
Geschmack. Es entsteht letztendlich ein Konzept während des Musikmachens.
Ich setz mich jetzt nicht hin und sage dann, dass ich ein Album z. B.
über das Thema Zirkus mache, so funktioniert das bei mir nicht.
Stephan:
In 2005 hast du eine CDR unter dem Titel „Fanta Magic“ herausgebracht.
Sie kommt ohne Booklet und enthält für deine Verhältnisse recht
ungewöhnliche Tracks, da sie mit Gesang unterlegt sind. Erzähl doch ein
wenig über die Produktion.
Ron:
Ja. Es gibt in Holland eine ganz große LAP-Szene, Live Action Playment
oder so ähnlich. Diese Leute verkleiden sich wie Ritter oder Elfen und
spielen dann Fantasyszenen. Jedes Jahr gibt es eine sehr große Börse und
die heißt Fanta Magic. Zu dieser Börse wurde ich eingeladen um live zu
spielen. Da hab ich mir dann gedacht, „okay, da kannst du ruhig spielen
und da kannst du auch etwas anderes als normal machen“.
Im Grunde mache ich neben Elektronikmusik auch viel andere
Musik, nur die hört man meistens nicht. Ich produziere viele Rock- und
Popbands. Und für mich war das eine Gelegenheit aus der gewöhnlichen
Elektronikschiene rauszukommen und etwas anderes als ich normal mache,
zu tun. Und daraus ist dann „Fanta Magic“ geworden. Ich habe eine
bestimmte Anzahl an CDR’s nur für die Börse gemacht. Ich hatte aber
einige übrig und die habe ich mit nach Hause genommen und über die
Webseite angeboten. Es war aber nie gedacht, diese Musik als richtiges
Album herauszubringen.

Es ist ähnlich wie diese Liveaufnahme, die wir in Schweden
aufgenommen haben (Anmerkung: gemeint ist die CDR „BAH – Live in
Schweden“). Das ist auch nur eine CDR. Ich hasse das Medium CDR. Ich
finde dass jeder sich selbst respektierende Musiker der CDRs rausbringt,
sich nicht wirklich selbst respektiert. Das sage ich so knallhart und
sage das auch zu allen anderen Musikern, weil mittlerweile eine CD
wirklich Kostendeckend zu produzieren ist, wenn du wirklich gute Musik
machst. Das lässt sich auch besser als eine CDR verkaufen. Das Problem
mit CDRs ist, wenn du sie einen Tag in die Sonne legst, kannst du sie
wegschmeißen. Das hat man bei der CD nicht. Mit einer CD hat man etwas
zeitloses, was über 20 oder 30 Jahre immer noch funktioniert.
Das ist die Geschichte zu „Fanta Magic“. Es ist etwas
anderes, als das, was man von Herrn Ron Boots sonst gewohnt ist.
Stephan:
Deswegen stand auch dein Name nicht auf der CD.
Ron:
Ja. Es ist auch wirklich so für dieses Festival gedacht. Ich hab die
restlichen ca. 150 Stück über meine Internetseite angeboten, weil es
Leute gibt, die alles von einem Musiker haben wollen.
Stephan:
Da gehöre ich auch zu.
Ron:
Dann sollen die auch das schlechte nehmen (lacht). Obwohl, schlecht ist
es nicht. Es ist anders.
Stephan:
Dann lass uns mal zu deinem neuen Album „See Beyond Times, Look Beyond
Words“ kommen. Auf dem hast du dir wieder - wie schon bei „Bookworks“ -
das Thema Bücher ausgewählt. Dabei geht es nicht nur um Romane, sondern
auch um Geschichte etc. Du hast vorhin schon erwähnt, dass du sehr viel
liest. Welchen Anteil haben Bücher in deinem Leben? Was bedeutet Lesen
für dich?
Ron:
Im Grunde nichts und im Grunde auch wieder viel. Ich würde mal sagen,
dass ich nicht mein Leben um Bücher herum aufgebaut habe. Aber ich liebe
es zu lesen, wenn ich Zeit habe, vor allem im Urlaub, oder wenn ich mal
ein paar Tage frei habe. Dann nehme ich mir ein Buch und lese es so
schnell wie möglich durch. Das kann ein Dokumentarbuch sein, ich hab
gerade ein Buch mit dem Titel den „Der letzte Sommer“ gelesen. Es
handelt vom letzten Sommer vor dem ersten Weltkrieg. Ich hab aber auch
den letzten Jack Vance gelesen, das ist Science Fiction. Daneben habe
ich auch ein englisches Buch über den amerikanischen Freiheitskrieg, wo
die Amerikaner sich von den Engländern getrennt haben, gelesen.
Irgendwie ist Lesen für mich Entspannung. Und wenn ich dann lese, dann
möchte ich mir gern etwas vornehmen, wo ich auch etwas lerne, was mich
vielleicht auch etwas bereichert. Liebesromane oder der neue Bond, so
etwas interessiert mich nicht.
Stephan:
Erstmals hast du auf einem reinen Soloalbum mit mehreren Musikern
zusammengearbeitet (mit Ausnahme von Harold van der Heijden, der dich ja
oft schon begleitet hat). Was war für dich die Intention mit Gert Emmens,
der auf dem Eröffnungstrack ein Solo spielt, Paul Ellis, Frank van
Bogaert oder auch Henri Peeters zusammenzuarbeiten? Ist das jetzt der
neue Ron Boots?
Ron:
Ich hab ja live immer
schon mit anderen Leuten Musik gemacht.
Stephan:
Ja, aber dann unter dem Namen Ron Boots & Friends.
Ron:
Genau. Das schöne daran ist, wenn man mit anderen Musikern arbeitet, da
bekommt man eine Art von „Kreuzbestäubung“ (man befruchtet sich
gegenseitig). Schlagzeuger sind sowieso komische Leute, die können mit
Händen und Füßen gleichzeitig unterschiedliche Sachen machen, was wir
anderen nicht können. Schlagzeuger denken rhythmisch auch anders und das
ist schön, denn es gibt meiner Musik eine besondere Würze. Gitarre habe
ich immer gemocht, ich hab ja auch schon mit Klaus Hoffmann-Hoock
zusammen auf meinen CDs gespielt. Gitarre hat für mich einen bestimmten
Reiz. Der Henri (Anmerkung: er spielt Gitarre auf dem neuen Album) ist
ein guter Freund von uns. Er hat bei seiner Band aufgehört und da haben
wir gesagt, „Wenn du Lust hast, mach doch mal bei uns mit“. Das hat gut
funktioniert. Ein Stück („Radar“) auf der neuen CD ist von meinem
Kollegen, Martijn Ruissen, er ist mein Arbeitskollege im Musikgeschäft.
Er hat ein Stück gemacht, das er für ein Ballett komponiert hat. Das
haben wir dann auch weiterentwickelt. Ich muss sagen, Musik mit anderen
Leuten zu machen, macht oft mehr Spaß als man denkt.

Mit Paul Ellis war es ganz einfach. Paul hat mir ein Stück
geschickt (Anmerkung: er ist in den Vereinigten Staaten zu Hause) und
hat - wie Frank Klare es gemacht hat – gesagt „Guck mal, ich hab ein
Stück, das ist nicht ganz fertig. Ich weiß nicht wie es weitergehen
soll. Hast du Lust?“. Und ich hatte Lust. Paul Ellis ist für mich einer
der besten Elektronikmusiker die es gibt. Von der amerikanischen Szene
her finde ich den wunderbar. Er macht wirklich supergeile Musik. Das
gilt eigentlich auch für Gert Emmens. Ich hatte dieses Stück „Hour Of
The Wolf“ fertig. Aber irgendwie dachte ich mir, „Wenn du da wieder ein
Ron Boots-Solo reinbringst, dann ist es wieder nur typisch Ron Boots“.
Ich hatte zu diesem Zeitpunkt gerade Gert’s letzte CD zum Mastern
vorliegen. Und ich dachte mir, das er eigentlich sehr gute Soli spielt
und warum ich ihn dann nicht fragen sollte, ob er da ein Solo
reinspielt. Ich wollte ihn das machen lassen, weil er einen bestimmten
Stil hat, den Leute gleich raushören können. Die wissen dann auch gleich
das es Gert ist, aber es ist trotzdem Bestandteil meiner Musik. Es hat
funktioniert. Ich hab Gert das Stück geschickt, hab das Solo
zurückbekommen und es in das Stück reingemischt. So ist das Stück dann
entstanden.
Stephan:
Du hast also zwei Stücke, das „Radar“ und das „Boellistian“, auf deinem
Album, die nicht von dir stammen.
Ron:
Die sind nicht komplett von mir komponiert.
Stephan:
Alles andere stammt aber von dir, bei denen andere Musiker dann als
Ergänzung mitgewirkt haben?
Ron:
Ja. Wobei „Boellistian“ zu 70 % und das Stück „Radar“ zu ca. 50 % fertig
waren. Als Grundlage war es von den beiden fertig, ich hab dann noch
meinen Teil dazu beigetragen. Das hat gut funktioniert und beide Musiker
waren mit den Ergebnissen zufrieden. Ich mag es mit und für andere Leute
zu arbeiten.
Stephan:
Ich komme noch einmal auf Henri Peeters zurück. Du hast vorhin gesagt,
dass du auch Rockbands produzierst. Hast du Henri dadurch kennen
gelernt?
Ron:
Nein. Henri ist ein Neffe von Harry, ein Mitarbeiter von E-Live und
E-Day ist. Henri ist auch Nachbar von Harold van der Heijden. Es ist
alles Inzucht (lacht).
Bei den Bands die ich produziere handelt es sich um junge
Bands, die gerade am Anfang stehen und ihre Aufnahmen in einem Studio
gemacht und es professionell abgemischt haben wollen. Ich besitze ein
professionelles Produktionsstudio, wo alles vorhanden ist, was es auch
in großen Studios gibt.
Stephan:
Wird Henri zukünftig
bei Ron Boots Produktionen mitspielen oder war das eine einmalige Sache?
Ron:
Die Idee ist eigentlich, dass wir zu dritt einen neuen Weg gehen wollen.
Das wird dann nicht unter dem Titel Ron Boots sein. Das wird
wahrscheinlich unter einem eigenen Namen laufen, obwohl es auch sehr in
die Musikrichtung gehen wird, die ich mache. Es wird aber auch etwas
rockiger und symphonischer. Elektronikmusik á la Ron Boots wird es in
Zukunft aber auch weiter geben.
Stephan:
Wie sehen deine weiteren Planungen aus, außer deinem Auftritt gleich
hier beim Grillfest? Was steht außer dem kurz bevorstehenden E-Live, bei
dem du ja auch wieder organisatorisch tätig bist, an?
Ron:
Ja, das E-Live findet am 11.10.2008 statt. Es werden unter anderem Radio
Massacre International und Fanger & Schönwälder auftreten. Auch Arthur
Brown, der bei Klaus Schulze auf den CDs „Live“ und „Dune“ gesungen hat,
wird dabei sein. In diesem Konzept, also der Zusammenarbeit mit Klaus
Schulze, haben Arthur Brown, White Noise und Mark Jenkins zu dritt ein
neues Projekt gestartet. Wir sind gespannt, wie das wird. Das wird
wahrscheinlich wunderschöne Musik. Was ich so schon im Vorhinein gehört
habe, wird es was ganz Besonderes. Beim E-Live wird es dann die
Uraufführung geben. Na gut, nach dem E-Day mit Tangerine Dream kann es
ja nicht mehr viel besser werden. Das Konzert hat für uns auch wieder
eine ganze Reihe neuer Ideen und Leute gebracht. Wer weiß, was sich
daraus weiter entwickelt.
Zu meiner Musik kann ich sagen, dass Anfang bis Mitte des
nächsten Jahres bekannt wird, was es Neues von mir geben wird.
(Nachtrag: Nach dem Interview kam die Info,
dass vielleicht aber auch schon zum
kommenden E-Live ein neues Album von Ron fertig sein wird).
Stephan:
Es wird dann nicht wieder zwei Jahre dauern, bis ein neues Album von dir
kommt?
Ron:
Ich verspreche nichts. Aber Ideen habe ich genug.
Stephan:
Ich danke dir für das
nette Gespräch.
Ron:
Hab ich gerne
gemacht.
Stephan Schelle, 22.08.2008