Der
im sauerländischen Arnsberg beheimatete Martin Meinschäfer ist Sänger,
Produzent und Sound-Engineer. Nachdem er in den 80’er Jahren Frontmann
der deutschen Rockband Hob Goblin war (mit 3 Alben, dem Gewinn der
„Goldenen Europa” und endlosen Tourneen durch die Republik) hatte er
mit dem Song „Eine Insel mit zwei Bergen“ (eine Coverversion eines
Liedes der Augsburger Puppenkiste) seines Dancefloor-Projektes Dolls
United 1995 einen Tophit, der es bis auf Platz 2 der deutschen Charts
schaffte. 2002 meldet er sich mit dem Album „Das Leben ist kein
Tanzlokal“ von Rosen & Gomorrha eindrucksvoll zurück. Es dauerte
aber gut 18 Jahre, bis er mit dem Album „Wer hat, der hat!“ ein
neues Werk folgen ließ. Dieses Mal unter seinem eigenen Namen.
Martin,
vor 18 Jahren hast du dein letztes Album „Das Leben ist kein
Tanzlokal“ mit dem Projekt Rosen & Gomorrha veröffentlicht. Du
hast damals hervorragende Kritiken der Presse bekommen. Allerdings
wurden die tollen Songs von den Radiosendern nahezu ignoriert. Hat dich
das frustriert und zu dem langen Zeitraum zwischen dem damaligen Album
und deinem neusten Output „Wer hat, der hat!“ geführt?
Frustriert eigentlich nicht, weil man ja schon bei der Entstehung des
Albums wusste, dass sich die Musiklandschaft verändert hat und man mit
so einem Album keinen kommerziellen Blumentopf gewinnen kann. Wir hatten
trotzdem, für uns ziemlich überraschend, einiges an Airplay. Z.B. hat
der Hessische Rundfunk „Dankeschön“ als Schlusssong für eine
Sendung auserkoren und so lief der Song fast täglich auf HR3. Aber es
war schon klar, dass handgespielte und zudem teilweise recht angejazzte
deutschsprachige Musik nicht auf heavy rotation laufen wird. Nein - es
war als Projekt geplant und wir haben dann ca. 3 Jahre als
„Rosen&Gomorrha“ gespielt. Und dann habe ich mich wieder der
Arbeit als Produzent für andere Künstler zugewandt. Alles hat seine
Zeit. Dass die Pause bis zu einem neuen Album aber so lang wurde, hat
einfach damit zu tun, dass ich nicht die Zeit und Muße gefunden habe,
an eigenen Titeln zu arbeiten. Jetzt wurde es aber Zeit, weil sich
einige Songs angesammelt hatten.
Um
das Jahr 2007 bist du auch mit der Coverband Peace live aufgetreten, mit
der du unter anderem Songs von Lenny Kravitz, Tom Petty, Cream oder Free
gecovert hast. War das für dich die Möglichkeit aus dem Studioprozess
auszubrechen und wieder mal Liveatmosphäre zu schnuppern? Und was ist
daraus geworden, coverst du heute noch aus Spaß Stücke bekannter
Rockgrößen?
Oh,
Peace! Ja das war eigentlich nur eine „Feierabendband“. Ich hatte
bis dahin in meinem ganzen Musikerleben immer nur eigene Songs gespielt
und das war mal eine neue Erfahrung und hat ziemlich Spaß gemacht. Die
Idee kam eigentlich von Udo Pipper (Journalist bei
„Gitarre&Bass“) mit dem ich schon 1976 in meiner damaligen Band
Hob Goblin zusammen gespielt hatte. Wir haben eigentlich nur eine Hand
voll Auftritte gemacht und haben das eher so als „alternativen
Kegelabend“ betrachtet. Wir haben auch Songs gecovert, die wohl selten
gespielt werden und hatten einen Heidenspaß. Leider hat sich Udo dann
bei einem Gig einen ziemlich heftigen Tinnitus eingefangen und wir haben
die Sache beerdigt.
Musikalisch
ist dein neues Soloalbum „Wer hat, der hat!“ auf gleich hohem Niveau
wie „Das Leben ist kein Tanzlokal“. Erhoffst du dir hierfür eine
bessere Medienpräsenz?
Na ja... eigentlich habe ich das Album nur gemacht, weil ich mal wieder
Lust hatte, etwas eigenes Musikalisches von mir zu geben. Man bleibt ja
doch, trotz aller Produzentenarbeit für andere Musiker immer selbst
noch „Künstler“. Außerdem wollte ich wissen, ob ich das nach einer
so langen Pause überhaupt noch kann: Songs schreiben, aufnehmen,
singen... Das hat schon eine Weile gedauert, bis sich das wieder gut
angefühlt hat. Ich war ja echt lange raus. Ich habe da auch nicht links
oder rechts geschaut, oder mir Gedanken über Vermarktbarkeit oder Ähnliches
gemacht. Umso mehr erstaunt es mich, dass die Kritiken sämtlich positiv
ausfallen und ich ein überwältigendes Feedback für das Album bekomme.
Das Album hatte ich ja bei meinem eigenen Label veröffentlicht und auch
den Vertrieb habe ich praktisch ganz alleine nur über meine Website
gemacht. Jetzt ist es aber so, dass ich bei Timezone-Records, die das
Album klasse fanden, einen richtigen Vertrag unterschrieben habe. Das
Album wird dort am 27.November neu veröffentlicht und auch auf allen
digitalen Kanälen zu haben sein. Am 20.November gibt es vorab einen
neuen Song („Bis der Arzt kommt“) als Single-VÖ und es wird dafür
auch eine richtige Radio-Promo geben. Dieser neue Song ist dann auch auf
der neuen VÖ-CD mit drauf. Für alle, die das Album bei mir bereits
gekauft haben, biete ich den Song als kostenfreien Download an. Ob da
radiomäßig irgendwas passiert steht aber in den Sternen. Ich bin, wenn
ich mir die momentane Radiolandschaft anschaue auch etwas skeptisch...
Hattest
du den neuen Song „Bis der Arzt kommt“ noch in petto oder hast du
ihn speziell für die neue Veröffentlichung des Albums eingespielt?
Das ist ein komplett neuer Song und erst im letzten Monat unter Einfluss
der aktuellen Corona-Lage entstanden. Das war nicht geplant, aber es
ergibt natürlich Sinn, den Song noch auf das Album zu nehmen.
Du
hast mit „Wer hat, der hat!“ ein sehr abwechslungsreiches Album
eingespielt. Zeigt dies die ganze Bandbreite deiner musikalischen
Interessen? Wie sehr haben die Produktionen anderer Musiker darauf abgefärbt?
Man
saugt ja in seiner musikalischen Laufbahn viele Dinge wie ein Schwamm
auf. Das macht man nicht bewusst, aber wenn man dann selber komponiert,
hat man in seinem Werkzeugkasten einfach ein paar Schraubenzieher mehr
und nutzt die dann auch. Wenn man eins in einem langen Musikerleben
lernt, ist das: Es gibt keine „gute“ oder „schlechte“
Musikrichtung. Wenn der Song die Seele des Hörers trifft, ist doch
eigentlich jedes Mittel recht. Aber es muss dann auch treffen!
Haben
sich die 16 Stücke – die CD ist ja bis zum Rand zeitlich ausgereizt
– in den 20 Jahren angesammelt, oder sind sie erst vor Kurzem
entstanden?
Die meisten Songs vom Album sind in diesem Jahr entstanden. Es gab noch
3-4 alte Songs, die meiner Meinung nach noch aktuell waren und die ich
dann in einer neuen Bearbeitung noch einmal aufgenommen habe. Ich habe
mir aber in den letzten Jahren immer mal wieder ein paar Notizen
gemacht, wenn sich eine Idee anmeldete. So konnte ich mich dann sehr gut
aus dem „Ideen-Fundus“ bedienen. Ein paar Songs (z.B. „Wo kämen
wir hin“) sind aber ganz spontan beim Arbeiten des Albums entstanden
und dann auch gleich umgesetzt worden.
Bei
„Wer hat, der hat!“ habe ich mir beim Komponieren und Texten
eigentlich keine Limits oder Schienen auf denen man fährt gesetzt. Das
lief alles intuitiv und fühlte sich alles als „nah bei mir“ an. Der
rote Faden des Albums sind da eher die Texte, die schon sehr deutlich
zeigen „wes Geistes Kind“ ich bin.
Du
zeigst auf dem neuen Album Kante und nimmst kein Blatt vor den Mund. In
„Börsenmelodie“ singst du über die Raffgier der Menschen. Auf der
anderen Seite prangerst du auch die „Geiz ist geil“-Mentalität an,
bei der immer noch viele Menschen glauben, Musik sei für umsonst zu
bekommen. Wenn man sich die Charts der letzten Jahre anschaut, ist dort
wirklich nicht viel Qualität zu finden. Wie hat sich deiner Meinung
nach in den letzten 20 die Musikindustrie und das Konsumentenverhalten
verändert?
Eigentlich hat sich die Sache schon Ende der Neunziger mit der Einführung
der CD-Rohlinge angekündigt. Der Kopierschutz von CDs hat nie wirklich
funktioniert und jeder konnte sich die Songs in 1:1 Qualität kopieren.
Das war, einmal abgesehen von der Kassette, die ja eine schlechtere
Qualität hatte als das Original, der Startschuss zur „Musik?
Lade-ich-mir-runter“-Mentalität. Niemand hat auch nur einen Gedanken
daran verschwendet, dass Musiker davon leben Produkte in Musikform zu
verkaufen. Die Einbrüche finanzieller Art waren exorbitant. Die heutige
„Für Neuneuroneunzig im Monat höre ich die ganze Welt der
Musik“-Mentalität setzt dem Ganzen noch die Krone auf, wenn man
bedenkt, dass da beim Musiker für das Streamen eines Songs eigentlich
nichts mehr hängen bleibt. Durch diese Entwicklungen hat sich aber auch
die „Wertigkeit“ von Musik in den Köpfen der Konsumenten verändert.
Musik ist leider Ramschware geworden und kann die Komponisten und Texter
nicht mehr ernähren.
In
„Vor die Wand gefahren“ nimmst du dich der radikalen und
vorurteilsdurchtränkten Gedankengänger an. Die Musik steht allerdings
im Kontrast zur Thematik, da sie sehr fröhlich wirkt und in einer
Mischung aus Reggae und Ska angelegt ist. Hast du bewusst dieses ernste
Thema mit fröhlichen Melodien gepaart? Kann man dies so besser
transportieren?
Ich bin der Meinung, dass manchmal gerade der Kontrast von Text und Musik
die Aussage noch verstärkt. In diesem Fall (bei „Vor die Wand
gefahren“) liegt die Ironie des Ganzen auch zwischen Musik und Text.
Nach dem Motto: „Wir tanzen uns doof“. Das kann man bei einer
Ballade mit einem traurigen Text wahrscheinlich nicht machen, aber bei
dieser Nummer liegt die „Groteske“ ja in der heutigen politischen
Landschaft und den Schreihälsen in den digitalen Medien. Das wollte ich
durch die Musik unterstreichen.
Da
bist du auch nicht der Einzige, denn ich nehme im Moment einige bekannte
Musiker wahr, die sich aktuell mit den ernsten Themen dieser Welt beschäftigen
und dies in Songs packen – manchmal wie bei dir mit eingängigen
Melodien und Rhythmen -, wie zum Beispiel auf dem neuen Album von Wolf
Maahn „Break Out Of Babylon“. Vielleicht rüttelt das ja doch einige
Musikfreunde wach.
Das wäre zu hoffen. Ich bin allerdings skeptisch, dass Lieder allein an
der Weltlage etwas ändern können. Aber - sie können das Bewusstsein
schärfen und das müssen sie auch!
Das
Lied „Wo kämen wir hin“ beruht auf Texten des Schweizer
evangelisch-reformierten Pfarrers und Schriftstellers Kurt Marti (1921
– 2017) sowie des deutschen Philosophen, Soziologen, Musikphilosophen
und Komponisten Theodor W. Adorno (1903 – 1969). Was hat es mit dem
Text auf sich? Wie bist du auf die Beiden gekommen?
Die beiden (und ihre Texte) sind mir irgendwann im Leben begegnet und ich
weiß nicht mehr wann und wo. Aber als ich den Song geschrieben habe,
war mir das Zitat von Kurt Marti „Wo kämen wir hin...“ sofort präsent
und ich musste ihn zitieren. Weil - das konnte man nicht besser neu
erfinden. Bei dem Adorno Zitat „Wenn das was ist...“ wusste ich erst gar nicht, dass es von ihm ist. Ich
dachte, das wäre so in die Umgangssprache übergegangen. Habe dann aber
noch einmal recherchiert und festgestellt, dass es von Adorno ist und
ihn dann auch im Booklet genannt.
Wie
schreibst du deine Songs? Hast du zuerst den Text oder startest du mit
einer Melodie?
Das
ist komischerweise ganz unterschiedlich: Manchmal habe ich ein Riff oder
eine Melodie und singe lautmalerisch darauf rum. Und - irgendwann
verfestigen sich Worte und Zeilen. Dann gibt es aber auch Songs, wo der
Text zuerst da war und ich die Musik, den Worten anpasse. Das ist immer
unterschiedlich.
Auf
dem Album spielst du mehrere Instrumente und singst auch die Leadstimme.
Es wirken aber auch zahlreiche Musiker mit, die du bereits in deinem
Studio produziert hast wie z. B. Henrik Freischlader, Trompeter Joo
Kraus oder Lothar Krell. Wie war die Resonanz als du sie gefragt hast,
ob sie an deinem Soloalbum mitwirken wollen?
Zuerst war natürlich das Erstaunen groß, dass ich mich mal wieder an
ein neues Album wage. Aber ich habe zu allen beteiligten Musikern eine
teils Jahrzehnte dauernde Freundschaft und bin dafür sehr dankbar! Und
da ich ja nicht alle zwei Wochen mit einer Bitte komme (immerhin waren
es diesmal fast 20 Jahre.) haben das alle Beteiligten gerne gemacht. Und
dafür bin ich unendlich dankbar, denn das bringt das Salz in die Suppe.
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