Am Rande der
Schallwelle-Preisverleihung hatte ich die Gelegenheit mit Bernd
Kistenmacher ein Interview zu führen, das ihr hier in voller Länge lesen
könnt.
Stephan:
Bernd, du hast zwischen 1986 und 1999 eine ganze Reihe an Alben
veröffentlicht. Du warst in dieser Zeit sehr erfolgreich und gehörtest
zu den angesagtetsten Künstlern in der Elektronikszene. Deine Musik
zeichnete sich immer dadurch aus, dass sie sehr von der „Berliner
Schule“ geprägt war. Das ist natürlich kein Wunder, wenn man weiß, dass
du in Berlin beheimatet bist. Wie sehr haben dich die Künstler Tangerine
Dream und Klaus Schulze beeinflusst?
Bernd:
Wenn überhaupt, dann Klaus Schulze. Das war schon massiv, man könnte
sagen dass es damals schon fast eine genetische Umprogrammierung war.
Elektronikmusik habe ich schon in jungen Jahren gehört. Das heißt ab
Anfang der 70’er Jahre, da war ich 10 oder 11 Jahre alt und bin an Musik
von Pink Floyd oder auch an die Silver Apples herangeführt worden. Ich
kam dann auch relativ zeitnah an die Musik von Kraftwerk. Und solche
schräge Geschichten, wie diese damals waren, haben mir einfach gefallen.
Das hat mich dann von der ersten Minute an einfach in Beschlag genommen.
Klaus Schulzes Musik kam für mich etwas später, und zwar mit seinem
Album „Moondawn“, das 1976 rauskam. Mit „Floating“ hat es mich dann
erwischt. Er hatte dadurch sozusagen in meinem musikalischen Leben
oberste Priorität, noch mehr als Tangerine Dream. Aber logischerweise
beeinflussten mich zu diesem Zeitpunkt auch noch die Sachen, die von
Ashra bzw. Ash Ra Temple und Michael Hoenig kamen.
Stephan:
Und du hast Klaus Schulze auch persönlich kennen gelernt?
Bernd:
Ja, denn ich habe vor Jahren mit Klaus zusammengearbeitet, als wir seine
„Silver Edition“-CD-Box herausbrachten. (Anmerkung: Die zehn CDs
umfassende Box ist in 1993 auf Bernd’s Label Musique Intemporelle
erschienen). Wir hatten uns aber bereits vorher getroffen.

Copyright Dominique Pelletier
(mit
freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)
Stephan:
Wann war das genau?
Bernd:
Im Jahr 1989 haben wir zusammen in Dresden in der Jungen Garde - beim
Electronics Live-Festival - auf der Bühne gestanden. Das war gut drei
Monate vor dem Mauerfall. Es wusste damals noch keiner was bald
passieren würde. Wir waren Gäste der DDR, vom Jugendradio DT 64 – zwei
bekannte Ost-Acts und zwei aus dem Westen – wurden dafür eingeladen.
Klaus Schulze war natürlich der Top-Act. Und das war für mich natürlich
die Gelegenheit, wo ich vor 6.800 Leuten mal richtig Gas geben konnte.
Stephan:
Wie bist du zur Elektronikmusik gekommen? Du hast 1976 den Kontakt zu
Schulze’s Musik bekommen, aber da fängt man natürlich nicht sofort an
Musik zu machen. Was hat dich dazu bewegt?
Bernd:
Na gut, musikalisch vorgeprägt war ich schon alleine dadurch, dass ich
als Kind Klavierunterricht bei meinem Vater hatte. Er hat zumindest
versucht es mir beizubringen. Ich war aber nicht so wahnsinnig
erfolgreich, sodass ich es dann irgendwann abgebrochen habe, weil es mir
doch zu anstrengend war, immer regelmäßig zu üben. Und es wird ihm
wahrscheinlich auch nicht gefallen haben, was ich da so zelebriert habe,
aber zumindest war die Liebe zu den Tasten geblieben. Ich habe
eigentlich ziemlich spät angefangen Musik zu machen. Das war so um 1980
rum. Das geschah einfach aus der Unzufriedenheit heraus, auch über die
damalige Musik von Klaus Schulze und aller anderen großen Heroes, die
angefangen hatten ihren Stil zu ändern und nicht mehr die Musik machten,
die ich hören wollte. Ich hatte Schulze 1977 / 1978 live erlebt und
wusste, was er drauf hatte. Und als sich die Musik dann änderte, wollte
ich das für mich so einfach nicht akzeptieren. Da sagte ich mir dann,
dann fängst du halt selber an Musik zu machen. Und deswegen kam es zu
dieser inhaltlichen Fortführung der „Berliner Schule“.
Stephan:
War das auch der Zeitpunkt als die Musiker von analoger auf die digitale
Technik umschwenkten?
Bernd:
Nein, das war später. Ich hab ja angefangen …
Stephan:
Ich meine mehr, dass dir die digital erzeugte Musik dann nicht mehr
gefallen hat.
Bernd:
Ach so, ja, das denke ich schon. Ja, das waren damals die ersten
digitalen Synthesizer. Der Einsatz von Samples usw. Klaus Schulze hat
damals als einer der ersten mit diesem GDS Synthesizer und dem Fairlight
gearbeitet, eine superteure Maschine. Damit hatte sich auch die Musik
deutlich gewandelt. Sie wurde mir einfach deutlich zu kalt. Da dachte
ich mir dann, dass ich selber daran arbeiten müsste, wenn ich dass in
irgendeiner Form halten wollte.
Stephan:
Du hast ja eine ganze Reihe von CDs veröffentlicht. Die letzte ist aus
dem Jahr 2001, auf der das Konzert aus Italien (Bologna) dokumentiert
ist. Was hat dich bewogen danach mit dem aktiven Spielen aufzuhören oder
haben wir - die Elektronikfans – alle nicht mitbekommen, dass du weiter
aktiv warst?

Copyright Dominique Pelletier
(mit
freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)
Bernd:
Aktiv im Sinne von weiterspielen, war ich natürlich schon. Ich bin damit
bloß nicht an die Öffentlichkeit herangetreten. Es war dann schon die
Entscheidung im Jahr 2000, nach einem ziemlich ungünstig verlaufenden
Konzert in Bologna, zu sagen dass es in der Form, wie es damals ablief,
nichts mehr bringt. Zu dem Zeitpunkt lief eigentlich überhaupt nichts
mehr. Mit meinem eigenen Plattenlabel war ich damals wirtschaftlich am
Ende. Da war dann auch der Punkt erreicht, meine Energie lieber in
andere Geschichten zu investieren. Ich hab dann dieses Musikthema
wirklich ruhen lassen. Ich hatte mir gesagt, dass eigen veröffentlichte
Platten, eigen gepresste Platten, nicht mehr herauskommen, weil soviel
Ungemach daran hängt, die mir die Freude am Spielen genommen hat. Ich
wollte es halt nicht mehr. Nach Außen war ich in dieser Zeit nur noch
Privatmensch.
Stephan:
Das heißt, dass du auch weiter komponiert und mehr für dich allein
gespielt hast?
Bernd:
Da gab es wirklich eine Menge an Umbrüchen im musikalischen, wie auch im
Privatleben. Ich bin danach noch mal zur Abendschule gegangen und habe
studiert. Dann sind wir umgezogen und solche Geschichten … Als ich dann
das erste Mal soweit war, wieder Musik machen zu wollen, rauchte mir
mein liebstes Mischpult ab. Die ganze analoge Technik, die ich damals
noch hatte war ziemlich fertig. Da war dann für mich die Zeit gekommen,
Studiotechnisch um- und aufzurüsten. Also fing ich da auch wieder von
vorne an, was auch wieder Zeit gekostet hat. Die Jahre sind so relativ
schnell – aber nicht ereignislos – vergangen. Wäre ich nicht gefragt
worden, würde ich wahrscheinlich auch heute noch nicht wieder ein
Konzert geben.
Stephan:
Das bringt mich zu deinem letztjährigen Album. „Celestial Movements“
heißt es und war aus meiner Sicht wahrlich ein Hammer-Comback von dir,
wenn ich das mal so sagen darf. Das Teil hat mich wirklich umgehauen.
Und wenn es nicht so spät im Jahr erscheinen wäre, dann wär es für mich
ein absoluter Topfavorit für das Album des Jahres gewesen. Als ich die
CD bekam bin ich zunächst mit gemischten Gefühlen an die Sache
rangegangen. Ich kannte deine älteren Alben und habe so bei mir gedacht,
was denn noch so kommen könnte. Wird es vielleicht eine Weiterführung
deines bekannten Stils sein? Und schon nach wenigen Momenten bin ich
völlig überrascht worden, denn ich hörte etwas völlig anderes und für
mich unerwartetes. Da stellt sich mir sofort die Frage, wie du an die
neue CD herangegangen bist. Hast du neue Technik entdeckt und auch neue
Einflüsse von anderen Produktionen oder Bereichen auf dich wirken
lassen?

Bernd:
Sicherlich hatte ich in den Jahren auch sehr viel Zeit über Musik
nachzudenken. Ich habe mir schon Gedanken darüber gemacht, wie es
inhaltlich weitergehen könnte. Für mich war eine Konsequenz sicherlich
die, gute Ideen nicht mehr in epischer Breite zu spielen, bis sie
endgültig Tod sind. Das führt logischerweise dazu, dass man kürzere
Stücke macht oder dass man zumindest längere Stücke unterbricht oder
Brüche einbaut oder im Stück versucht es musikalisch in eine andere
Richtung zu bringen. Ich habe das auf dem neuen Album ziemlich oft
praktiziert und da hat mir sicherlich auch das neue Equipment, das ich
aktuell benutze, sehr geholfen. Ich hatte halt eine Wahnsinnspalette an
Sounds zur Verfügung und so ziemlich viele Dinge ausprobieren können. Es
gab da sicherlich auch die Momente, wo die Ideen einfach so flossen.
Stephan:
Was bedeutet der Albumtitel?
Bernd:
Auf dem CD-Cover ist eine Röhrenstruktur abgebildet, bei der es sich um
das Horizont-Observatorium auf der Halde Hoheward handelt, das sich im
Ruhrgebiet in der Nähe von Recklinghausen befindet. Im Jahr 2008 habe
ich das durch Zufall in einer Fernsehsendung entdeckt und war sofort
begeistert, weil mich diese Struktur so an die „Maschine“ genannte
Installation aus dem Science Fiction-Film „Contact“ erinnerte. Der Film
basiert auf einem Roman von Carl Sagan. Und das Gerät ist eine Maschine,
mit der man durch Wurmlöcher öffnen und durch’s Weltall fliegen kann.
Sie besteht auch aus gigantischen, sich drehenden Ringen, die auch noch
gegeneinander zirkulieren und das sieht einfach total irrsinnig aus. Als
ich dann dieses Observatorium sah, war ich total gefangen von dieser
Struktur. Und es handelt sich ja tatsächlich um ein Observatorium, nicht
nur um eine Installation, die hübsch aussieht. Sie hat einen
tatsächlichen astronomischen, wissenschaftlichen Nutzen und man kann
Sonnenläufe und Sternenstände usw. daran ablesen und astronomische
Himmelsbeobachtungen machen. Insofern war der Albumtitel dann relativ
einfach. „Celestial Movements“ heißt ja eigentlich himmlische Bewegung
und in dem Fall war es konkret auf die Struktur des Observatoriums
bezogen. Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch versucht einen
sehr melancholischen Sound zu finden, der auch bei dem ein oder anderen
Hörer zu der Reaktion führen kann, dass er sich sagt: „Mensch das ist ja
himmlisch“. Ich mach das auch gerne immer ein bisschen zweigleisig,
nutze auch immer ganz gerne eine übergeordnete Bedeutung. Und das ist
auch bei den Titeln der einzelnen Tracks so zu sehen. Also gibt es immer
eher einen konkreten, nahe liegenden Bezug und dann auch immer noch
etwas Übergeordnetes.
Stephan:
Welche Resonanz hast du bisher auf dein neues Album bekommen?
Bernd:
Jetzt im Februar ist die Platte gerade ein Vierteljahr draußen und meine
Plattenfirma ist sehr zufrieden, was schon mal ein gutes Zeichen ist
(lacht). Der Start war, glaube ich, sehr gut. Wie es sich
weiterentwickeln wird, weiß ich nicht, aber ich glaube, dass die Platte
schon eine deutliche Beachtung gefunden hat. Was mich leider immer noch
so ein bisschen bedrückt, ist natürlich die Tatsache, aber damit haben
wahrscheinlich alle Kollegen der Branche zu kämpfen, dass kein
entsprechendes Airplay im Radio stattfindet. Ich glaube, dann hätten wir
alle noch ganz andere Reaktionen bekommen. Deshalb wird bei mir der Ruf
nicht aufhören, gegen den öffentlich rechtlichen Rundfunk zu wettern,
der (bis auf den RBB und den HR fast) nicht in der Lage ist, diese Musik
zu spielen. Und das ist skandalös.
Stephan:
Dann hast du mit deinem neuen Programm auch schon ein erstes Konzert in
Paris gespielt. Wieso gerade in Paris?

Copyright Dominique Pelletier
(mit
freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)
Bernd:
Da gibt es auch eine Vorgeschichte zu. Und zwar gibt es in Frankreich
seit vielen, vielen Jahren – wenn nicht schon seit Jahrzehnten – so eine
Fanorganisation, die Cosmiccagibi (www.cosmiccagibi.org) heißt. Das sind
so ein paar Leute um den Franzosen Olivier BÉGUÉ, die sich ursächlich
als Klaus Schulze und Tangerine Dream-Liebhaber der elektronischen Musik
verschrieben haben und versuchten diese Geschichten am Laufen zu halten.
Man könnte so sagen, dass sie die französische Antwort auf Schallwende
sind. Sie sind also im November 2008 in Berlin gewesen, als Klaus
Schulze mit Lisa Gerrard ein Konzert gegeben hat. Wir kannten uns schon
seit Jahren per Email und da schrieben sie mir „Mensch Bernd, wir würden
dich gern mal treffen“. Wir trafen uns dann an dem Abend und die Frage
kam auf, ob ich nicht mal wieder Lust hätte auf die Bühne zu gehen. Und
diese Frage kam, ohne dass sie nun wussten, dass zeitgleich MellowJet
Records an mich mit der Anfrage herangetreten war, eine neue Platte zu
machen. Da war die Motivation, wieder etwas zu machen, quasi schon
doppelt da. Das war die Initialzündung für mein Comeback. Ursprünglich
war Bordeaux für das Konzert vorgesehen, das hat dann aber aus
organisatorischen Gründen nicht geklappt. Darüber hinaus sollte es auch
terminlich viel früher sein, als der Gig in Paris. Es ist dann
schließlich aber erst Herbst geworden.
Stephan:
Und jetzt sehen wir dich am 12. Juni im Planetarium in Bochum. Was wirst
du dort spielen? Ich denke der Hauptteil wird sicherlich aus dem
Material der neuen Platte bestehen. Oder wirst du gar was Älteres oder
sogar Unveröffentlichtes zu Gehör bringen?
Bernd:
Zur Zeit arbeite ich bereits an meinem nächsten Solo-Album. Das wird
eine großartige Sache, die überhaupt nichts mit Weltraumthemen zu tun
haben wird, denn meine neue Musik ist von „Der Schwarm“ von Frank
Schätzing inspiriert. Kein Roman hat mich in den letzten Jahren so
beeindruckt, wie dieser!
Bzgl. der Veröffentlichung will ich
jetzt keine Versprechungen abgeben, ob wir es schaffen die CD bis Bochum
fertig zu haben. Auf jeden Fall wird aber bis dahin neues Material
entstehen und das will ich in jedem Fall in Bochum spielen. Sicherlich
ist aber auch was von „Celestial Movements“ dabei. Alles Weitere wird
sich dann vor Ort zeigen. Das Konzert wird übrigens von Schallwende e.V.
veranstaltet (www.schallwen.de).
Ein Umstand, der mich sehr glücklich macht.
Stephan:
Wie sehen deine weiteren Pläne aus? Was wird es Solo von dir geben oder
ist auch ein Projekt mit anderen Musikern geplant? Du bist ja seinerzeit
auch Kollaborationen mit anderen Musikern eingegangen, wenn ich da mal
an Harald Grosskopf denke. Was schwebt dir da so vor?
Bernd:
Grundsätzlich interessiert mich so etwas sehr. Musikalisch würde ich
aber in eine andere Richtung gehen. Ich würde eher mit Musikern
zusammenarbeiten, die nicht aus der Elektronikszene kommen, sondern eher
eine ganz andere Schiene bedienen. Es würde mich auch reizen dann mit
Gesang oder mit einem Streichorchester zu arbeiten.

Copyright Dominique Pelletier
(mit
freundlicher Genehmigung von Bernd Kistenmacher)
Ja und dann wird es eine noch engere
Zusammenarbeit mit Roland Deutschland geben. Zunächst präsentiere ich
auf der kommenden Musikmesse (26. und 27. März) meine Musik mit
Synthesizern aus dem Hause Roland, die ich im Studio ja auch schon
bereits benutze. Das ist eine Zusammenarbeit mit dem
Synthesizer-Magazin, für das ich gelegentlich Artikel schreibe. Wenn das
auf der Messe gut läuft, könnte es im Herbst 2010 dazu noch weitere
Veranstaltungen geben. Überlegungen dazu werden bereits angestellt.
Stephan:
Zurück zur Musik. Du würdest dann eher im klassischen Bereich eine
Kollaboration und nicht im Rockbereich suchen?
Bernd:
Ja, ich mag ja doch mehr den großen klassischen Klang, als das
minimalistische. In der Richtung würde ich gerne mal arbeiten. Die
nächste Produktion wird aber erst einmal Solo sein. Und dann schauen wir
mal wie es weitergeht.
Stephan:
Wird die neue Produktion wieder bei MellowJet herauskommen?
Bernd:
Ja, das will Bernd Scholl machen und wir sind bereits in konkreter
Planung.
Stephan:
Danke für das Interview.
Bernd:
Ich habe zu danken.
Aktuelle Infos über Bernd
Kistenmacher unter
www.bernd-kistenmacher.blogspot.com
Label: MellowJet
Records (www.mellowjet.de)
Stephan Schelle,
März 2010