Interview mit Filter-Kaffee (Mario Schönwälder & Frank Rothe)
Per Email im Januar 2022 geführt

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Im Dezember 2021 ist das sechste gemeinsame Album von Mario Schönwälder und Frank Rothe unter dem Projektnamen Filter-Kaffee herausgekommen. Grund genug, dass Stephan Schelle einige Fragen zur Musik und zum Projekt den beiden Protagonisten aus Berlin stellt.

Stephan: Mario, du bist in der Elektronikszene seit Ende der 80’er Jahre als Musiker (erste Veröffentlichungen auf MC bereits 1985) und als Inhaber des Manikin Labels bekannt während Frank für mich erstmals als Techniker bei Konzerten von Broekhuis, Keller & Schönwälder in Erscheinung trat. Wie habt ihr beiden euch kennen gelernt?

Frank: Ich glaube die Story fängt bei mir an, also übernehme ich vielleicht mal.
Ende der 90er Jahre werde ich ein paar Tage in Stuttgart verbringen. Bei einem Innenstadtbummel wird es anfangen zu regnen und meine Frau und ich werden spontan einen Schallplatten-/CD-Laden aufsuchen um vor dem Regen zu flüchten - er war halt gerade da. Ich gehe also meine üblichen „Verdächtigen“ im CD-Bereich durch und traue meinen Augen nicht, als ich unter Klaus Schulze das 1980er LIVE-Album entdecke. Es hieß immer, dass das Album nie als CD rauskommen würde. Um sicher zu sein, ließ ich mir die CD sogar anspielen, - sie war es!

Mario: Da hat einer große Augen bekommen. Die großen Augen hatte er auch, als er mir das mal im Studio erzählte. Sie waren ebenso groß, wie meine, als ich das „Go“ bekam, diese CD veröffentlichen zu dürfen.

Frank: Also war sie meine. Zu Hause angekommen las ich die Infos auf der CD und war schon wieder verwundert. Nicht das übliche Label, sondern Manikin-Records, Berlin. Ich dachte, wer eine quasi „unmögliche“ CD-Veröffentlichung hinbekommt, hat noch mehr am Start.
Damals schrieb man noch Briefe (weißes Papier mit Tinte beschriften und durch den gelben Zustelldienstleister überbringen), also schrieb ich. Ein oder zwei Tage später bekam ich abends einen Anruf - von Mario. Wir plauderten wohl eine knappe Stunde und in der Folge wechselten eine 50er Box von Klaus und einige weitere CD’s den Besitzer und so lernte ich die Musik von Mario, Detlef und Bas kennen und besuchte deren Neujahrskonzerte in Berlin.
Wir blieben in losem Kontakt bis es den Schrittmacher von Manikin Elektronik gab. Mario lud mich ein, mir den Sequenzer bei ihm in Aktion anzuschauen. Gesagt getan und wir saßen ein erstes Mal in Mario’s Studio zusammen. Nun ergaben sich immer öfter Kontakte mit Gedankenaustausch und mit dem Hampshire Jam 3 war ich das erste Mal mit BK&S unterwegs. Offenbar passte da bei uns beiden Herren was zusammen und die Geschichte nimmt fortan seinen Lauf - langsam, aber unaufhaltsam.

Mario: Was soll ich sagen? Genauso war es. Die Chemie passte und wir hatten und haben viel Spaß zusammen.

Stephan: Bis zum Jahr 2011 hat es dann gedauert, bis ihr Beiden die erste gemeinsame Veröffentlichung „Filter-Kaffee 101“ auf den Markt gebracht habt. Dabei habt ihr Stücke auf den Silberling gepackt, die zwischen 2007 und 2010 entstanden sind. Wie lange macht ihr schon gemeinsam Musik und warum hat das mit der Veröffentlichung der ersten CD so lange gedauert?

Mario: Am Anfang war es ein lockeres „Wir probieren mal hier und mal da“. Ein Release war in den ersten Jahren gar nicht das Ziel der vielen Aufnahmen, die wir zusammen machten. Eines Abends – bei einer Tasse Kaffee – setzten wir uns zusammen und hörten mal die Aufnahmen alle an. Lustiger weise genau in der Reihenfolge wie sie später auf die CD kamen. Ein schöner Zufall. Es passte genauso und klang, als wenn es immer so geplant war.

Stephan: Was war die Intention das Debütalbum „Filter-Kaffee 101“ zu nennen? Habt ihr bei euren Sessions soviel von dem „schwarzen Gold“ inhaliert?

Frank: Ja, Filter-Kaffee, das Getränk, war und ist fester Bestandteil einer jeden Session im Studio. Zudem lud das Wortspiel mit dem Begriff „Filter“ dazu ein, verändern wir ja die Klänge mit Filtern. Filter-Kaffee, das Getränk, ist heutzutage auch bereits „retro“ und das passte auch zu der Spielart, die das Projekt verfolgen wollte (uns noch immer verfolgt).
Die Nummer 101 ist eine Filtertütengröße, die ein bekannter Hersteller wohl mal eingeführt hat. Damit sollte es also losgehen. Da es bekanntermaßen mehrere Größen gibt, war das eine coole Idee, die folgenden CD’s zu benennen.

Mario: Und es war naheliegend, dass wir ein Stilelement unserer Musik, den Sequenzer, mit einem Kaffeefilter der guten alten Art auf dem Cover kombinierten. Später entstand dann daraus auch das Filter-Kaffee Logo: Ein Kaffee-Filter und die Schaltung eines Filters in einem Synthesizer.

Stephan: Das Album „Filter-Kaffee 101“ wurde ja 2011 zunächst als Schönwälder & Rothe beim SynGate-Label veröffentlicht. Es wurde dann in der Wiederveröffentlichung auf SynGate und später auch auf dem Manikin-Label als „101“ von Filter-Kaffe neu herausgebracht. Warum habt ihr eure Namen gestrichen und fortan das Projekt Filter-Kaffee genannt?  

Mario: Warum da Anfangs Schönwälder & Rothe stand kann ich ehrlich gesagt nicht mehr beantworten. Ich meine mich zu erinnern, dass der Projektname von Anfang an da war. Vielleicht wollte Lothar lieber mit den realen Namen arbeiten? Ich weiß es nicht mehr.
Der Wechsel von SynGate zu Manikin Records hat nichts mit Streitigkeiten oder so zu tun. Wir waren einfach der Überzeugung, dass eine gepresste CD noch ein paar mehr Fans erreichen würde. Der Erfolg hat uns letztlich recht gegeben und wir sind glücklich, dass alle Veröffentlichungen von Filter-Kaffee bei Manikin Records liegen. Lother und Kilian gilt natürlich unser Dank, dass sie ganz am Anfang uns die Veröffentlichung ermöglicht haben.

Stephan: Mittlerweile ist aus Filter-Kaffee ein richtig eigenständiges Projekt geworden. Bisher sind mit dem aktuellen Album „105“ ja schon sechs Alben erschienen. Nach „101“ und „102“ habt ihr dann noch in 2016 das Album „100“ veröffentlicht. Warum seid ihr mit der Nummerierung wieder zurückgegangen, hätte doch auch die Nummer „103“ werden können, die dann 2017 folgte?

Frank: Man könnte es einen faux-pas bei der Recherche nennen, denn am Anfang haben wir nicht wahrgenommen, dass es doch tatsächlich eine Größe 100 gegeben hat. 101 war ja auch viel logischer. Also haben wir dann überlegt, ob wir die 100 nicht noch verwenden können und haben noch ein paar ältere Aufnahmen gefunden, die dann von ihrer Entstehung auch noch vor die 101 passten.
Anders herum: Hätten wir das nie wahrgenommen, wäre die nächste CD natürlich die 103 geworden, allerdings wären die Titel der 100 dann vermutlich auch nie veröffentlicht worden.
Ansonsten freuen wir uns, dass das Projekt bereits bei sechs Alben und einigen tollen Auftritten angekommen ist und es wird weitergehen !!! :-)

Mario: Wenn man zu oft und zu viel im WWW umhersucht…. Da kamen noch ganz andere Filtertüten-Größen zum Vorscheinen. Aber greifen wir mal den kommenden CDs nicht vorweg J

Stephan: Mario, du hast neben Veröffentlichungen unter anderem unter deinem Namen auch in den Projekten Broekhuis, Keller & Schönwälder und Fanger & Schönwälder Alben herausgebracht. Frank, du veröffentlichst in regelmäßigen Abständen Alben als Fratoroler und hast auch als Fringo Chills ein Alben herausgebracht. Was unterscheidet aus eurer Sicht die Musik von Filter-Kaffee zu euren anderen Projekten?  

Frank: Die zwei Projekte, an denen ich bei Manikin beteiligt bin, unterscheiden sich derart, dass bei Filter-Kaffee der Fokus eindeutig auf Old Berlin School liegt.
Bei Kontroll-Raum versuchen wir, tja eine Art neuartigen Stil zu kreieren. Andere Perkussion, neuartige sonst nicht eingesetzte Sounds und auch andere Sequenzing-Muster sollen den Stil prägen.

Mario: Filter-Kaffee ist ganz traditionelle Berliner Schule Elektronik. Wir verzichten fast gänzlich auf Percussion/Schlagzeug, arbeiten ausschließlich Sequenzer-orientiert.
Broekhuis, Keller & Schönwälder ist deutlich melodischer orientiert und nutzt durch Bas die zahlreichen Möglichkeiten der Percussion und des Schlagzeuges. Durch die Gastmusiker Raughi Ebert und Thomas Kagermann kommen zahlreiche weitere Einflüsse hinzu.
Fanger & Schönwälder sind mit den zeitweise mitwirkenden Gitarristen Lutz-Graf-Ulbrich und Klaus „Cosmic“ Hoffmann-Hoock eine Mischung aus traditioneller Elektronik mit Elementen des Krautrocks und des Ambient.
So kann ich in den vier unterschiedlichen Projekten meinen verschiedenen Einflüssen ihren Raum geben.

Stephan: Ihr wohnt ja beide in Berlin, da sollte die Zusammenarbeit recht unkompliziert laufen, anders als bei BK&S, bei dem Berlin / Ruhrgebiet und Holland sich doch von der Entfernung schwieriger gestalten. Wie sieht euere Arbeitsweise aus?

Mario: Am liebsten würden wir natürlich nur zusammen im Studio sitzen und tüfteln. Das klappt mit Frank bzw. Filter-Kaffee sehr gut, da unsere Wohnorte nur wenige Kilometer trennen. Bei Kontroll-Raum (und einer Pandemie) bedeutete das bisher überwiegend das Einspielen von Parts und das Versenden der Spuren zur weiteren Bearbeitung an die jeweils anderen Studios.

Stephan: Wer kümmert sich um die Harmonien und wer um die rhythmischen Sequenzerparts?

Frank: Ich habe ja mal als Bassist angefangen und liebe gerade die Sequenzen der „alten“ Tangerine Dream, Klaus Schulze und Artverwandten wie vom Free System Project, Redshift und anderen und das ist auch ein tragendes Element für Filter-Kaffee.
Daher bin ich für die Rhythmik bei Filter-Kaffee wohl etwas primärer „zuständig“ und Mario ist mehr im Bereich der Melodien und Sounds tätig. Bedeutet aber nicht, dass es auch mal anders sein kann.

Mario: Anders als Broekhuis, Keller & Schönwälder, sind bei Filter-Kaffee und insbesondere bei Kontroll-Raum die Rollen nicht fest vergeben. Insbesondere im Bereich der Sequenzen bringen alle Beteiligten ihre Idee ein.

Stephan: Kommen wir zur aktuellen Platte. Auf „105“ habt ihr euch erstmals einem Thema zugewandt, nämlich Steinen. Sowohl das Cover, als auch der Text auf der Coverrückseite zeigen dies. Dort steht: Steine findet man in der Natur, in Bergen, in Gebäuden oder an mystischen Orten auf der ganzen Welt. Diese CD ist diesen Steinen gewidmet. Wer hatte denn die Idee dazu gehabt und was hat euch so an Steinen fasziniert, um sie zu vertonen?

Frank: Wir sind ja über die Jahre hinweg viel zu zweit mit dem Auto unterwegs. Aktuell ja leider weniger L. Da schwatzt man ja über dies und das und einmal kamen wir auf die Idee, einer CD mal ein Thema mitzugeben. Bei einem sog. Brainstorming auf der Autobahn kamen dann ganz viele naturbezogene Themen zusammen.
Jetzt haben wir das bei der EP mal mit den Steinen probiert. Mal sehen, ob wir das mal wieder machen. Ideen zu Themen gibt es genug.

Mario: Viele Ideen werden aufgeschrieben, wieder vergessen. Und bei der nächsten Autobahntour nimmt man die Diskussion wieder auf. Will sagen: Wir werden auf jeden Fall weiterhin auch CDs zu bestimmten Themen, Phänomenen oder Orten machen. Und da wir stets fröhliche Musikanten sind, kann sich jeder ausdenken, was da auf mancher Fahrt gelacht wird, wenn die Ideen ins Lustige abrutschen. Frank, denke mal an die Namen mancher Autobahnabfahrt J.

Stephan: Bei diesem Thema ist es naheliegend, einen Track zu dem britischen Steinmonument Stonehenge zu machen. Diesem Monument habt ihr einen 14:37minütigen Track gewidmet. Wie seid ihr an die Komposition dieses Tracks herangegangen?

Frank: Wir haben überlegt, wo Steine denn so vorkommen. Es gibt tolle Gebäude aus Stein oder sie wurden in besonderer Form entdeckt, sind klein und groß, rund und eckig und am Ende haben wir uns für drei Titel entschieden, die das abbilden.
Stonehenge, als mystischer Ort aus Steinen liess einen ebenso mystischen Track zu.

Mario: Es waren auch die persönlichen Eindrücke an diesem Ort, den wir beide unabhängig voneinander besucht haben. Jeder hat ihn auf seine Art wahrgenommen.

Stephan: Ein weiteres Stück ist das 13:49minütige „Hidden Temple“. Gibt es da ein bestimmtes Bauwerk, an das ihr euch orientiert habt?

Frank: Ich meine, da hatten wir keinen konkreten Tempel im Sinn, aber ich sah Bilder aus Angkor Wat und Mario nannte auch einige Bauwerke, die nicht so leicht zu erreichen sind und so steht der Titel als Sammelbegriff für alte verborgene Tempel der Geschichte.

Mario: Ich schaue sehr gerne Reiseberichte im Fernsehen. Wenn es nach den angesehenen Reiseberichten geht, bin ich mindestens einmal um die Welt herumgereist. Auf der Couch sitzend. Da sind viele Eindrücke und Bilder im Kopf hängen geblieben. Das würde für „Stones“ Teil 2 bis 5 mindestens ausreichen. Manches, wie z.B. die Alhambra, habe ich selber besucht.

Stephan: „Am Bach ... bei den Kieselsteinen“ ist euer bisher kürzestes, gemeinsames Stück. Es ist ein synthetisches Stimmungsbild von einem fließenden Gewässer. Wie kamt ihr darauf und warum ist der Track nur so kurz geraten, Platz wäre ja noch genug auf dem Silberling gewesen?

Frank: Es gab diesen Sound, der vielleicht mal Teil eines längeren Tracks oder anderen Themas werden konnte/sollte (z.B. was mit Wasser), aber zu Kieselsteinen im Bach passt. Und da plätschert das Album dann damit ausklingend dem Ende entgegen.

Mario: Frank brachte diesen Sound und eine Aufnahme davon mit ins Studio und ich fand es passend für das Ende einer CD.

Stephan: Live hat man euch auch schon erleben dürfen wie zum Beispiel beim Cosmic Nights Festival im belgischen Heusden-Zolder, dem E-Day im niederländischen Oirschot und beim Electric Cave-Festival in der Dechenhöhle bei Iserlohn. Sobald es Corona wieder zulässt, plant ihr da wieder live aufzutreten?

Frank & Mario: Na klar wollen wir auch wieder live spielen. Wir haben Lust darauf und die Fans warten auf uns. Noch macht das Planen wenig Sinn, aber wir bereiten immer etwas vor! Die Reise ist noch nicht zu Ende.

Stephan: Habt ihr eueren 2018’er Auftritt vom Electric Cave-Festival in der Dechenhöhle mitgeschnitten und ist in Zukunft mit einer Veröffentlichung zu rechnen?

Frank: Hat dir das besonders gut gefallen? Also wir hatten sehr viel Spaß. In so einer Umgebung können wir sehr stimmungsvoll spielen (würden wir übrigens auch gerne mal wieder machen). Ein Stück ist ja bereits veröffentlicht worden, die „Winterlandschapp“ auf der „104“, aber ich denke, wir arbeiten primär an neuen Stücken.

Mario: Ich höre mir Konzertaufnahmen grundsätzlich mit etwas zeitlichen Abstand sehr genau und kritisch an. Da geht dann auch manches in die Ablage „Archiv“. Die anderen Tracks werden bei allen Musikprojekten den anderen vorgespielt und zur Veröffentlichung vorgeschlagen. Und die meisten finden dann auch den Weg auf eine CD.
Das Konzert in der Dechenhöhle war ein sehr schönes. Ich erinnerte mich an eine Urlaubsreise auf die Insel Lanzarote, wo es eine Höhle mit einer riesigen unterirdischen Halle gibt. Dort einmal spielen wäre ein Traum.

Stephan: Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus?

Frank & Mario: Ganz viel authentische Musik mit Filter-Kaffee kreieren und veröffentlichen - wie auch immer die CD-Titel sich dann ergeben werden - Filtertütengrößen sind endlich!
Weiterhin immer neugierig bleiben und ein offenes Ohr haben. Auf die Suche nach diesen „unerhörten“ Sounds gehen.
So viel wie möglich Live spielen, so wir die Möglichkeit dazu bekommen. Nach Corona wollen sicher ganz viele Künstler auftreten. Mal sehen, was sich ergibt. Hier in Berlin versuchen wir vielleicht auch selber etwas zu organisieren, aber erst einmal muss diese Pandemie mal ausgestanden sein. Und wir müssen letztlich alle gesund bleiben!
Danke Dir Stephan für dieses Interview.

 

 

Stephan Schelle, Januar 2022

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