Werkschau Dawnation
Juni 2025
pOstpRock,
moderne Mixtur aus klassischem 70er Rock und Prog
Es
gibt in jeder nationalen Hochburg der anspruchsvollen Rockmusik weltweit
Musiker und Bands die, obwohl sie alles richtig machen; extragute Musik,
viele Auftritte, stabiles Bandgefüge, einfach nicht den Sprung über
die letzten Hürden schaffen, besonders hier im deutschsprachigen Raum.
Ich habe schon oft und viel darüber nachgedacht und bin immer wieder
zum Schluss gekommen, dass es sicher nicht an den Künstlern liegt. Wie
noch viele andere, machte sich auch Kollege Thomas (Baby-Blauen-Seiten)
darüber Gedanken und schrieb mal: „Man fragt sich, warum diese Band
bislang noch nicht zumindest zu den Szene-Grössen gehört und auch noch
nicht auf diesen Seiten rezensiert wurde.“
(Anmerkung: Im Musikzirkus-Magazin findet ihr Rezensionen zu beiden
Dawnation-Alben und auch über ihren Liveauftritt beim 2023'er
Artrockfestival gibt es hier einen Bericht sowie
ein Interview mit der Band) Die vielen Gründe möchte
ich jetzt nicht thematisieren, aber hiermit wieder eine Truppe von
Musikern vorstellen, die es richtig gut gemacht haben und erfreulich
immer noch machen.

von
links: Jan, Clemens, Christoph, Bert und Robert
Glistening
Dawn
Ende
1997 gründeten fünf Hochschul-Studenten aus Neubrandenburg am
Tollensesee, Mecklenburg-Vorpommern (MV) eine Band, die sich dann ab
1998 Glistening Dawn nannte. Die Stammbesetzung der Band waren der Sänger
und Lyriker Jan Mecklenburg (stammt aber witzigerweise aus dem Emsland),
Gitarrist Christoph Piel, Keyboarder Bert Wenndorff (Mohnblau) und
Schlagzeuger Marcus Unverricht. Bert, Christoph und Jan wohnten später
sogar mal in einer Studenten-WG zusammen. Außerdem waren drei Bassisten
zu unterschiedlichen Zeiten dabei: Volker Mattausch (1998, Abbey
Keezer), Martin Holfter (1998-2002) und Georg Saßnowski (2002-2004,
Morbidia, Ötzi’s Enkel).
Zunächst
als Cover-Band auf Hochschulfesten, Kneipenmeilen und kleinen Clubs
unterwegs, entstanden bald auch eigene Songs, was dann schnell zu deren
Priorität wurde. Beeinflusst von Bands wie Deep Purple, Black Sabbath,
Pink Floyd, King Crimson, Yes, Spock’s Beard und vielen mehr nahmen
sie drei Alben auf: „Wonderous Stories“ (Sommer 1998, Demos,
Eigenvertrieb), das Debüt „Travellers In Space And Time“ (2002) und
„Tales From Beyond…“ (2004, Remix/Remaster 2014). Die lange 16-minütige
Komposition „The End Of Childhood“ schaffte es 2007 auf den Sampler
„Hope/Omid“ des deutschen Spock’s Beard Fanclub The Bearded und
bekam darüber hinaus einige wohlwollende Kritiken, unter anderem vom
erwähnten Thomas auf den Baby-Blauen-Seiten.

Glistening Dawn Alben "Travellers In Space And
Time" und "Tales From Beyond ..."
Die
drei Alben sind leider, auch laut Aussagen der Band, nicht auf wirklich
viel Interesse gestoßen. Zudem waren Auftrittsmöglichkeiten in der
Provinz eher überschaubar und das ist leider wohl bis heute so
geblieben. Auch aufgrund der veränderten Lebenssituationen der Musiker,
mussten sie leider Ende 2004 die Band nach sieben aufregenden Jahren
auflösen, das Kapitel Glistening Dawn wurde damit erst einmal
geschlossen. Das letzte Album „Tales From Beyond…“ wurde 2014
erneut gemischt, da die seinerzeit erschienene Eigenvertrieb-Version
noch einige Wünsche offengelassen hatte. Auch hier wieder diese fast
schon pingelige Akribie und Doppeldeutigkeit: Geschichten aus dem
Jenseits, die der Vergangenheit angehören (Tales Fom Beyond – Well
For The Past). Dieses Allerlei aus den Proberaum-Demos und den Aufnahmen
bei Sieghart Schubert, ein bekannter DDR Rock- und Jazz-Musiker sowie
Produzent mit eigenem Tonstudio in MV, funktionierte tatsächlich und
kann nun noch auf den entsprechenden digitalen Plattformen angehört
werden.
Dawnation
Der
Keyboarder Bert Wenndorff kehrte 2014 nach sechs Jahren in Berlin, er
spielte aber mit Christoph Piel weiterhin noch in der Magical Mystery
Band, wieder dauerhaft zurück nach Neubrandenburg. Im Frühjahr 2017
traf er sich mit Gitarrist Christoph und Sänger Jan Mecklenburg
erstmals seit 12 Jahren wieder um bei ein paar Bierchen über eine mögliche
Reunion von Glistening Dawn zu spekulieren. Schnell wurde man sich
einig, wie sie selbst sagen war die Zeit reif dafür, trafen sich wieder
um an ausschließlich neuem Material zu arbeiten. Das basierte anfänglich
zum Teil auf unfertigen Ideen aus früherer Zeit, zwischenzeitlich
aufgenommenen individuellen Demos, aber auch völlig neuem.

Sänger
Jan Mecklenburg, Keyboarder Bert Wenndorff und Gitarrist Christoph Piel
live Artrockfestival 2023
Da
das ehemalige Rhythmus-Duo von Glistening Dawn nicht mehr zur Verfügung
stand, fand das Trio der Ehemaligen zunächst Clemens Reichard als neuen
Schlagzeuger und Robert Reich den ehemaligen Tief-Frequenz-Zupfer der
deutschen Pop-Band Mohnblau. Auch besonders durch den Einfluss der
beiden Neuzugänge an Bass und Schlagzeug wurde schnell klar, dass auch
ein neuer Bandname gefunden werden musste. Zumal auch kein einziger
Titel aus der Glistening Dawn Zeit wieder mit aufgenommen wurde. Seit
2018 hießen sie nach langem internen Ringen dann Dawnation. Damit war
auch namentlich ein Bezug zur Vergangenheit hergestellt, der dann Mitte
2023 mit „…Well For The Past“ noch einmal enger verknüpft wurde.
Wieder
einmal erfreulich, eine Band der die Musik als kreativer Ausdruck allein
nicht reicht, sondern auch alle anderen Aspekte in Text, Bild, Video,
Grafik, Design, Strategie, aber auch Helfer an Instrumenten und Technik
sehr wichtig sind. Wer die Werkschauen genau liest wird die Verbindungen
zu einigen anderen Künstlern finden. Allesamt Aushängeschilder der
anspruchsvollen deutschen Rockmusik.

von
links: Robert, Clemens, Jan, Bert und Christoph
The
Mad Behind
Schon
2018 begannen dann die Aufnahmen für ein neues Album. „Blaulackierter
Faschist“ war paradoxerweise der erste Song über einen Heuchler,
sogar mit einem deutschen Text. Eine wütende Anklage an alle versteckt
verkopften Faschisten, die plötzlich in einer populär gewordenen, unsäglichen,
angeblich demokratischen Partei, eine neue Öffentlichkeit gefunden
haben. Ein treibender Rocker mit schöner Melodie und Text, den es
leider nur Digital gibt. Die englische Version heißt passenderweise
„The Hypocrite“, ist noch druckvoller arrangiert und produziert. Im
Mittelteil sogar zu Marschierenden auch mit Cellospiel von Thorsten
Harder.

Dawnation:
"The Mad Behind"
Insgesamt
wurden erst einmal acht englischsprachige Titel aufgenommen. Mit dabei
als CD-Bonus „Mr. Trumpet“, noch einmal eine sozialkritische
Komposition mit Kinderchor (wie bei "The Wall") beim
Ausblenden. Alles Titel die in ihrer Qualität international standhalten
können.
Beim
Debüt von Dawnation schimmert auch immer etwas Traditionelles von
Glistening Dawn oder den Helden ihrer Zeit als Cover-Band durch. „The
Mad Behind“ ist angelehnt an die Prog-Hymne „Behind The Mad“. Auch
hier wird das gesellschaftspolitische Chaos der damaligen Zeit textlich
deutlich angesprochen. Im Sommer 2019 wurden die Aufnahmen
abgeschlossen. Für das Mastering konnte der erfahrene Saitenzupfer
Thomas Morgenstern (Die Zinnförster, The Ant Band) gewonnen werden, der
schon Aufnahmen von mehreren Dutzend Künstlern als Tontechniker zu
gutem Wohlklang verholfen hatte. Thomas Morgenstern: „Das Album
besteht jeden Vergleich mit teuren Industrie-Studio-Produktionen! Die
Abmischungen waren so gut, dass ich beim eigentlichen Mastering
letztlich gar nicht mehr viel zu tun hatte. Ich habe mich gefreut,
diesen Prozess ein wenig begleiten zu dürfen.“

Bassist
Robert Reich und Schlagzeuger Damian Krebs live Artrockfestival 2023
T.J.F.
Rauch, auch ein Künstler aus Neubrandenburg, stellte dankenswerterweise
eines seiner Bilder (Collage, Ihr Seid Das Licht Der Welt I) für das
zum Titel passende Cover zur Verfügung, frei nach dem Motto: Kunst
unterstützt Kunst. Das bemerkenswerte 60-minütige Debüt „The Mad
Behind“ erschien im vierseitigen Digipak im November 2020 und hatte
berechtigt hervorragende Rezensionen in Druck-Magazinen wie Eclipsed,
Empire oder Rock Hard und Digital bei Betreuten Proggen, Babyblauen
Seiten, Musikzirkus-Magazin oder Stone Prog bekommen. Aber der Zeitpunkt
der Veröffentlichung war leider, natürlich unbeabsichtigt, ungünstig
mitten in der Pandemie und deswegen war eine Live-Präsentation des
Albums praktisch unmöglich.
…Well
For The Past
Aber
erst einmal zurück zur ungeplanten Kultur-Pause wegen Corona, also
keine Treffen, Proben und Aufnahmen unter Lock-Down-Bedingungen,
keinerlei Auftritte und dazu viele weitere Barrieren und Hemmnisse.
Dennoch begann Dawnation dann recht schnell, neue Songs zu schreiben und
sie auszuprobieren. In dieser Zeit trennten sich auch die Wege von Band
und Schlagzeuger Clemens Reichard. Mit Damian Krebs (The Ant Band,
Porto) kam dann zum Glück schnell wieder ein kompetenter, vielseitiger,
kreativer Schlagzeuger in die Truppe. Mit ihm wurden auch die ersten
neuen Songs für das zweite Album einspielt.
Im
Sommer 2021 kam die erste Single-Auskopplung „Fly“, ein Jahr später
folgte „Holes“. Fast noch ein Jahr später, im April 2023 war es
dann soweit: „…Well For The Past“ erblickte als 4-seitges Digipak
(12-seitiges Büchlein, Laufzeit 45 Minuten) das Licht der Welt. Unter
dem Eindruck von Pandemie, Lockdown und Ukraine Krieg behandeln die neun
Songs des Albums Themen wie Isolation, Verwirrung, Verirrung, Zeitgeist
aber auch Hoffnung. Das Spiel des Vermischens ist immer noch das
musikalische Erkennungsmerkmal von Dawnation. Und bei diesem zweiten
Studio-Album ist nun deutlicher der musikalische Reifeprozess und die
Abnabelung von der Glistening Dawn Zeit zu erkennen.

Dawnation:
"... Well For The Past"
Fast
drei Jahre hatte das Quintett an diesem Zweitwerk gebastelt und ja schon
die beiden starken Lieder „Fly“ und „Holes“ vorab veröffentlicht.
Vieles ist geblieben, vieles ist neu und doch anders. Mit Damian Krebs
hatten sie nun einen hervorragenden neuen Schlagzeuger an Bord, der hier
zwar erst kurz dabei schon einige Akzente setzte und frischen Wind in
das Quintett brachte. Typische Dawnation Rock-Leckerbissen gibt es mit
„Twisted“ und dreifach hintereinander bei „Worthless“,
„Deception“ und „Time“, ebenso wie auch beim instrumentalen
Album-Intro „Rise“. Mit „Holes“ und „Fly“ gibt es eingängiges,
poppigeres Material und mit „Between“ und „Fall“ betreten die Männer
von Dawnation gänzliches Neuland. Gute Gastbeiträge von Thomas Wolter
(Saxofon bei „Rise“ und „Between“), Paul Eisenach (Keyboards,
Gitarre bei „Holes“), Morten Luxenburger (Gesang bei „Fall“)
obendrauf.
Keines
ihrer vorherigen Alben hatte diese Bandbreite und Qualität. Es ist ein
Meisterstück, das trotz (oder gerade wegen) der großen Verbeugung vor
den Helden der Vergangenheit ein modernes, zeitloses, eigenständiges
und exzellent produziertes Rock-Album geworden ist. Ein Klassiker mit
Hymen aus „MeckPomm“, der nicht eine Sekunde Provinz erleben lässt,
sondern eher die große weite Musik-Welt und Stadien voll mit feiernden
Fans. Bei mir läuft das Album nun nonstop in der siebten Runde, lass es
laufen, laufen, laufen, laufen !! Und auch hier wieder diese kreative
Verspieltheit dieser Band, das Outro „Fall“ läuft und die Melodie
wird vom Bass im Intro „Rise“ aufgenommen, so entsteht eine schöne
Endlosschleife.

Dawnation
live Artrockfestival 2023
Auch
beim zweiten Album wollte die Band ein besonderes Cover und
recherchierte deshalb wieder in der heimatlichen Kunstszene. Bert
Wenndorff wurde dann auf den Neubrandenburger Grafiker Reinhard Gräfe
aufmerksam, den sie besuchten. Sie erhielten von ihm die Erlaubnis, sein
Bild (Das verheißt nichts Gutes für die Vergangenheit) als Cover zu
nutzen. Conni Salamon, eine Grafikerin ebenso aus der Region, montierte
dieses Bild (Mann mit den kleinen Jungen) in das Bild mit dem baufälligen
Gang eines Video-Dreh. Das Zweitwerk „…Well For The Past“ zeigt
die enorme Weiterentwicklung von Dawnation, sie haben damit ihr
ureigenes Markenzeichen gefestigt.
Was
kann Rockmusik mit dieser breiten Palette und Vielfalt schön sein, man
spürt aus jeder Pore Leidenschaft der fünf Musiker. Es war bisher eine
lange Reise vom Winter 1997 bis hierher, und ja, es war gut das
Keyboarder Bert Wenndorff so kleberig war und seine Jungs wieder
reaktiviert und motiviert hat. Zum Jahreswechsel 2022/23 bin ich in den
Sog von Marek’s Artrock Project geraten, 2023/24 war es die Welt von
Polis, Emerald Lies und Flying Circus, diesmal ist es der Strudel von
„…Well For The Past“.
Bei
der Recherche für diese Werkschau bin ich immer wieder auf die Aussage
gestoßen: „Bis heute kaum Auftrittsmöglichkeiten in der Provinz.“
Auch beim kurzweiligen Stone Prog Podcast #24 mit Marek Arnold
thematisiert die Band die Situation in Neubrandenburg selbst noch einmal
sehr detailliert. Dawnation: „Bandgründungen sind hier schwierig.“
Dennoch ist es gut, dass es einige aktive Menschen gibt, die auf der
einen Seite mit ihrer Arbeit für Musik und der anderen mit Besuchen von
Auftritten dazu beitragen das die deutschen Künstler anspruchsvoller
Rockmusik weiter im Lichtkegel bleiben und vielleicht noch sichtbarer
werden. Ich bin gespannt wann wir wieder etwas vom Fünfer aus
Neubrandenburg hören und mit was wir dann 2026 überrascht werden.
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