Seit Jahrzehnten steigt
aus verschiedenen Gründen der Puls ab Ende Juli bei den circa 500
Bewohnern im sonst ruhigen Dorf, durch den der idyllische
Finkenbach fließt, wieder stark an. Es ist wieder soweit, das
Finkenbach-Freiluft-Festival ändert den Charakter und auch die
Kopfzahl des Dorfes wie jedes Jahr seit fast 50 Jahren. Wo es
sonst beschaulich zugeht, entsteht auf den wenigen geologisch und
bebauungstechnisch geeigneten Freiflächen ein riesiges Camp. Aus
der Drohnenperspektive dann wie ein bunter Flicken-Teppich, der über
die Landschaft in das schmale Tal gelegt wird. Traktoren und
landwirtschaftliche Maschinen sieht man dann weniger, dafür
bestimmen massenhaft Fahrzeuge mit ortsfremden KFZ-Kennzeichen den
Verkehr und Horden von feiernden Menschen bevölkern das Tal. Es
ist wieder angerichtet zum Kult-Kraut-Kongress. Endlich dürfen im Tal
des Finkenbachs nun auch die Namen Mani Neumeier, Guru Guru oder
Guru-Fescht wieder ungestraft in den Mund genommen werden, ohne
das es irgendein negativen Kommentar eines Einheimischen gibt. Das
Kriegsbeil wurde erfreulicherweise schon 2023 begraben und das
wird hoffentlich für immer so bleiben. Nun herrscht wieder
Hippie-Frieden in der Live-Kultstätte des Krautrock im Odenwald.
Als ein Fest der Finkenbacher Feuerwehr 1976 wegen kurzfristiger
Absage von deren Kapelle zu scheitern drohte, sprangen spontan
vier zugereiste, vorsichtig beäugte Ortsansässige, Mani Neumeier
und seine skurrile Truppe Guru Guru, ein. Die für ein dörfliches
Feuerwehrfest recht ungewöhnlichen Klänge kamen so gut an, dass
Mani und der inzwischen verstorbene damalige Feuerwehr-Hauptmann
Wilhelm Hotz für das folgende Jahr eine Fortsetzung planten,
damit war der Dauerbrenner Finkenbach-Festival geboren. Das
Finki besteht seit 1976, also fast 50 Jahre. Leider mussten sie
Aussetzen (auch wegen Pandemie), deswegen gibt es 2025 die 41.
Auflage des Festivals !! Sehr erfreulich, auch
hier gibt es viele Parallelen zum thüringischen Woodstock Forever
Festival. Keine Veranstaltung hat mehr Krautrocker aller
Spielarten regelmäßig angelockt und dieses Jahr mit den alten
Helden Peter Pankas Jane, Agitation Free, Kraan und eben Guru Guru
gleich wieder auf vier von zehn Startplätzen. Wie jedes Jahr gibt
man auch jungen Formationen wie dem Aschaffenburger Quartett Kant
eine Chance. Aber für Bandbreite ist mit den Schweizern Dirty
Sound Magnet, Dr. Woggle And The Radio und Blues-Rock-Überflieger
Rosalie Cunningham auch gesorgt. Das traditionell 2-tägige
Programm Freitag und Samstag kann sich beim Finkenbach-Open-Air
2025 wieder einmal sehen und hören lassen. Anfang August ist es
wieder soweit und schon am Anreise-Freitag geht das Programm mit
zwei deutschen Dinosauriern los. Die um Gitarrist Klaus Walz
versammelten Musiker von Peter Panka’s Jane leben den Geist der
Krautrockzeit. Für die Generation, die es damals miterlebt haben,
wie auch wir, war es nie ein Schimpfwort. UK-Radio-DJ John Peel
hatte es damals etwas salopp kreiert, aber wir konnten auch schon
damals als germanisches Feiervolk auf eine ruhmreiche
Rock-Musik-Geschichte zurückblicken, heute sowieso. Vielleicht
nicht unbedingt durchgängig mit reichlich Ruhm bei Jane, bei
denen es nach Streitigkeiten um Namensrechte ab 1994 plötzlich
verschiedene Jane-Truppen gab, die sogar untereinander
konkurrierten. Allen gemein war die Leidenschaft, die großartigen
Kompositionen vor Publikum zu präsentieren.
Die Nachlassverwalter
mit stabiler Mannschaft um Klaus Walz bespielen das ganze Jahr
Nonstop die Clubs und Bühnen Deutschlands und veröffentlichen
seit 2006 regelmäßig Alben auf dem eigenen Label Cool & Easy
Records. Für Auftritte ist das Quintett äußerst gut eingespielt
und wir können aus eigenem Erleben über Jahrzehnte sagen: die
Besucher erwartet ein Jane-Spektakel auf höchstem Niveau. Die zweite Band des
Freitags ist Agitation Free aus Berlin, die teilten sich Mitte der
60er mit Tangerine Dream und Ash Ra Tempel den Übungsraum, ein
ebenso wahres Urgestein der deutschen Elektro-Rock-Musik, die Peel
zum Begriff Krautrock mit inspirierte und es deshalb allemal
verdient hat. Allein beim Auflisten der Musiker der Frühphase bis
1974 bekommt man Schnappatmung, ebenso bei der Band die seit 1998
wieder sporadisch mit dem Material bis heute auf Tour ist. Mitgründer
Lutz Graf-Ulbrich alias Lüül (The Centries, Ash Ra Tempel,
Ashra, Lüül & Band, 17 Hippies), Langzeit-Agitator
Schlagzeuger Burghard Rausch (Bel Ami) und Gitarrist Axel
Heilhecker (Wolf Maahn, Sunya Beat, Phonoroid, Fishmoon) sind drei
Legenden der deutschen Rockmusik, dazu Daniel „Danda“ Cordes
(seit 2014 Bass) und Keyboader Tim Sund (Sommer 2024 für Michael
Hoenig). Wir haben Agitation Free (Günther & Lütjens, 2014
& 2017 verstorben) sowie Lüül, Hoenig, Rausch 2013 erlebt,
es war wie in den 70ern magisch!! Und genau diese Magie wird
wieder entstehen, im Zentrum das aktuelle Album „Momentum“
(2023), denn die fünf Agitatoren werden mit ihrer musikalischen
Qualität dafür sorgen und der Geschichte von Agitation Free
einen Meilenstein hinzufügen. Was würdest du bei dieser
aktuellen lebendigen und kraftstrotzenden Kraut-Szene heute dazu
sagen John Peel??
Generations-, Genre-,
Nationalitäts- und Geschlechterwechsel mit Rosalie Cunningham,
die mit ihrem Profi-Quintett bei der To Shoot Another Day Tour
europaweit seit fast 2 Jahren schon für viel Furore gesorgt hat.
Bereits als 16-Jährige gründete Rosalie 2007 das psychedelische
Frauen-Quartett Ipso Facto. Auflösung schon 2009, danach
verschiedene Projekte, von 2011 bis 2018 mit Purson noch einen
Gang härter, danach Premium-Solistin. Wir haben die gemischte
Truppe 2024 beim Woodstock Forever erlebt. Frontfrau Rosalie ist
hinsichtlich Gesang, Gitarre, Präsenz schon eine Wucht, die
Spanierin Claudia González Diaz (Bass, Querflöte, Gesang) steht
ihr in nichts nach. Das Männertrio an Schlagzeug, Gitarre und
Keyboards fügt sich nahtlos in das Gefüge, zusammen bauen sie
eine druckvolle Klangwalze auf, die sich dem Publikum
entgegenstemmt. Glaubt ihr nicht? Hört euch „Live At Acapela“
(2023) an.
Zur Nacht hin wird es
wie immer psychedelischer in der Arena im Tal. Die gemeinsame
Klang-Reise wird diesmal von den angesagten Schweizern Dirty Sound
Magnet angeführt. Der Versuch, die Musik dieser Band, die
inzwischen auch schon seit 2008 zusammen musiziert, einzuordnen
ist nicht so kompliziert: harter Vintage-Psych-Rock mit Niveau und
Virtuosität. Stavros Dzodzos (Gitarre, Bouzouki, Sitar, Gesang),
Marco Mottolini (Bass, Gesang) und Maxime Cosandey (Schlagzeug,
Gesang, Effekte) stammen aus der Stadt Fribourg. Die eigentliche
Geschichte des mehrstimmigen Trios beginnt mit „Western Lies“
(2017), die drei Alben davor sind als Quintett und Quartett
entstanden, mit dem aktuellen Werk „Dreaming In Dystopia“
(2023) touren sie zurzeit in Dauerbetrieb, eben eine
Marathon-Tour. Mindestens 750-mal alles richtiggemacht, denn sich
präsentieren und den Allerwertesten abspielen, heißt sich für
den nächsten Level zu bewerben. Ein Trio ähnlich jung und wild
wie DeWolff, es passt zu den Finkenbach-Festspielen wie extra dafür
zusammengebaut.
Gewöhnlich geht der
Klang-Trip und feiern im Camp danach bis in den frühen Morgen,
bringt also Kondition und Durchhaltevermögen mit nach Finkenbach.
Diesmal geht es am frühen Nachmittag mit ähnlicher Musik der
Aschaffenburger Band Kant direkt nahtlos weiter!! Auch wieder so
ein junges aufstrebendes Quartett bestehend aus Elena Strähle
(Bass), Nicolas Jordan (Gitarre), Marius K. Seidel (Gesang,
Gitarre, Flöte), das erfreulicherweise sehr kreativ und arbeitswütig
ist. Namensgeber und Schlagzeuger Ole Kant ist kurz nach dem Debüt
„When The Strangers Come To Town“ (2023) ausgeschieden, dafür
sitzt nun Bryan Göbel in der Trommelburg. Mit Bryan gab es einen
gehörigen Schub nach vorne, sie haben sofort „Paranoia
Pilgrimage“ (2024) nachgelegt und mit ihm geht es nun verstärkt
auf ihre intensiven, „paranoiden“, musikalischen Pilgerreisen.
Umschalten zur
Tanz-Party mit Reggae, Ska, Soul und Funk von Dr. Woggle & The
Radio aus Weinheim, bestehend aus Nikolaus Weinheim (Gesang), Leon
Walther (Bass), Lars Schwarz (Piano, Orgel, Keyboards), Toni
(Schlagzeug), Kai (Posaune) Bibo (Gitarre), DonDee (Trompete),
Florian Schropp (Saxofon). Sie waren bereits in der Corona-Zeit
einmal zu Gast, mit dem Titel ihres fünften Albums „Drop Bombs
To Lose“ (2018) waren sie der Zeit weit voraus. Wir haben schon
einige Weltmusik-Big-Bands erlebt und ich weiß genau, wenn Musik
stampft und rockt und swingt, was dann so abgehen kann. Wir wünschen
uns so ein sommerliches kollektives Feiern, wir sollten es machen,
solange wir noch können.
Zum Abend hin gibt es
wie am Vortag Rockgeschichte im Doppelpack. Zuerst einmal mit Guru
Guru, die nach mehreren Jahren Zwangspause nun wieder mit dabei
sind, alle sind sicher erleichtert. Gitarrist Jan Lindqvist hat
die Band 2020 verlassen, er war beim letzten Auftritt Guru-Fescht
2019 noch dabei. Dazu gekommen ist Keyboard-Urgestein Zeus B.
Held, der drückte schon in der Frühzeit bei Birth Control die
Tasten. Die treibende Energiequelle und der Groove ist seit 1968
durchgängig Bühnen-Akrobat und Orchesterleiter Mani Neumeier.
Rastlos, unermüdlich und weiterhin taufrisch touren Mani und
seine Mannschaft seit 1968 durch die Clubs Germaniens. Wer es
nicht glauben will, hört sich „The 1971 Bremen Concert“ (MIG,
2025) an. Guru Guru hat sicher fast alle Festivals und Krautfeste
in unserer Heimat mehrmals bespielt, nun auch endlich wieder das
Finki.
Das Fusion-Trio Kraan,
die mehrfachen Wiederholungstäter zuletzt 2023 und 2024 beim
Finki, hat eine ähnlich bewegte Geschichte wie die
Neumeier-Truppe und über Jahrzehnte sogar viele Verbindungen zu
ihnen. Aber erst Inzest, ab 1970 dann Kraan, spielen mit dem
harten Trio-Kern mit kleinen Unterbrechungen nonstop. Bei
inzwischen 30 veröffentlichten Alben, besteht das bunte Programm
nun aus Titeln aus allen Karriere-Phasen. Die lokale Presse
schrieb „Die Samstag-Headliner-Position besetzt wieder Kraan.“
Nein, der starke Programm-Kern des zweiten Tages fängt bei Guru
Guru an und hört bei Colour Haze auf, drei auf einen Streich!!
Colour Haze aus München
sind die Jam-Klang-Tüftler für die späten Stunden. Auch bei
denen ist Superlative angesagt, denn eine der ältesten deutschen
Psych-Rock-Formationen besteht auch schon seit Mitte 1994 und wird
seitdem vom singenden Gitarrist Stefan Koglek durch die farbigen
Dunstwolken der Spielstätten geführt. Kumpel Manfred Merwald
(Schlagzeug) sowie Keyboader Jan Faszbender (ab 2019) und Basser
Mario Oberpucher (ab 2020) sind mit dabei. Sie haben inzwischen
auch eine Einkaufstasche voll mit Alben veröffentlicht, aber ihre
wahre Stärke zeigen sie meisterhaft beim kreieren ihrer
Klanglandschaften auf Bühnen. Die Spannbreite geht von entspannt,
schwebend, sanftmütig, leisen Melodien über intensiven,
brodelnden, brummenden bis zornigen, lauten, wuchtigen Klängen.
Wechselnde Rhythmen und packende Grooves, die den Zuhörer
sogleich mitnehmen auf die Hypno-Reisen, damit wird die Grundlage
für gemeinsames feiern geschaffen. Und weiter geht es mit
bluesigen Alternativ-Rock aus deutschen Landen, die Detroit
Blackbirds von Alex Auer bestreiten wie 2019 und auch letztes Jahr
(wir berichteten darüber) den Abschluss dieses Festivals. Alex
ist seit Anfang der 90er Gitarrist und Sänger in verschiedenen
Projekten, seit Ende 2001 auch der Gitarrist bei Xavier Naidoo und
mit „Much Better“ hat der Routinier das ekstatische Debüt des
erfahrenen Quartetts Detroit Blackbirds im Gepäck. Und die Truppe
ist wieder der Rausschmeißer beim diesjährigen Finki 2025, so
haben nun die Hippies beim Woodstock Forever die Hamburg Blues
Band mit Gästen und das Finki-Feschd die Detroit Blackbirds als
Hausband. Auch hier sieht man die
Handschrift der jüngeren Generation. Das ist gut so und stimmt
uns hoffnungsvoll auf die Zukunft dieser traditionsreichen
Veranstaltung im Herzen vom Odenwald, und für die Musikfans, die
sich dort jedes Jahr versammeln. Auch 2025 wird es erneut
international, vielfältig, druckvoll aber auch kunterbunt,
magisch, familiär im idyllischen Tal des Finkenbachs. Und es wird
sicher auch wieder gemütlich und unvergesslich. Für alle, die
eine sehr weite Anreise scheuen und sich deshalb diesen
Leckerbissen entgehen lassen wollen oder müssen, wir werden von
dort berichten, das ist absolut sicher. Schon jetzt; alle
Finkenbacher, die wie jedes Jahr für die außergewöhnliche
kulinarische Voll-Versorgung sorgen, und auch wir, freuen uns,
euch mit normalem Puls in Finkenbach zu treffen!! Roland Koch, Mai 2025 |
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