Ian Anderson's Jethro Tull trifft das Sinfonieorchester Wuppertal
(Historische Stadthalle, Wuppertal, 11.04.2015)


    

Unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Niedecken ist es den Veranstaltern Michael Ackermann und Marcus Grebe gelungen, Ian Anderson zu einer Weltpremiere nach Wuppertal in die Historische Stadthalle zu holen und einen Querschnitt aus seinen Songs mit dem Sinfonischen Orchester Wuppertal an drei Abenden (vom 10. bis 12.04.2015) zu präsentieren. Als spezielle Gäste unterstützte der Chor der Kantorei Barmen-Gemarke bei fünf Stücken die Band und das Orchester. Und auch der Rahmen in der Historischen Stadthalle war perfekt gewählt, denn die imposante Fassade hielt im Innenraum das, was das Äußere versprach. Ein wunderschöner Saal mit herrlichen Deckenmalereien und einer großen Orgel auf der Bühne.

    

Nachdem vor zwei Jahren das erste Mal ein Konzert aus Rock und Klassik mit der britischen Band Procol Harum in der Historischen Stadthalle von Wuppertal für großen Zuspruch sorgte, hatten die Veranstalter die Idee einer Fortsetzung. Ein Zugpferd für die Neuauflage war dann auch schnell gefunden, denn die Musik von Jethro Tull ist wahrlich prädestiniert mit Sinfonieorchester gespielt zu werden, das hat Ian Anderson auch in der Vergangenheit schon bewiesen.

     

Ian Anderson hatte bis auf Bassist David Godeer seine komplette Liveband,  bestehend aus John O’Hara (Keyboards), Florian Opahle (Gitarre) und Scott Hammond (Schlagzeug) mitgebracht,  um an drei Abenden vom 10. bis 12.04.2015 in der Historischen Stadthalle die Zuschauer mit einer Mixtur aus Rock und Klassik zu verzaubern. Dazu wurden alle Stücke neu für diesen Abend überarbeitet.

    

Noch bevor das Konzert begann, betrat mit Alan Bangs eine Legende des deutschen Fernsehens die Bühne und sorgte mit seiner Ansage bei so manchem Besucher für nostalgische Momente, denn sein Akzent ist unverkennbar und erinnert auch heute noch an selige Rockpalast-Zeiten. Er hatte für die Besucher eine gute und eine schlechte Nachricht, wie er sagte. Die Schlechte war, das sie ein tolles Konzert am Vorabend verpasst hatten, die Gute, dass es an diesem zweiten Abend noch besser werden würde. Er meinte, dass manche Menschen mit geringen Erwartungen in ein Konzert gingen, um dann vom Ergebnis überwältigt zu werden. Er versprach den Besuchern, dass sie an diesem Abend ein tolles Konzert erleben und beseelt nach Hause gehen würden.

    

Ich hatte das Vergnügen, das Konzert am 11.04.2015 zu erleben. Schon nach wenigen Momenten zeigte sich, dass Ian Anderson ein Meister an der Gitarre und vor allem an der Querflöte ist. Leider muss seine Stimme seit einiger Zeit seinem Alter Tribut zollen, so dass er nicht mehr in die Höhen kommt, in die er noch in jungen Jahren aufstieg. Aus diesem Grund hatte Anderson bei den Auftritten einer „Thick As A Brick“-Tour auch mit Ryan O’Donnell einen jungen Sänger an seiner Seite, der auch diesen Konzerten gut getan hätte. Das trübte das Vergnügen aber nur unwesentlich.

    

Das Besondere an den Auftritten in Wuppertal war, dass Keyboarder John O’Hara, der auch vorher bereits als Dirigent bei Orchesterkonzerten tätig war, sich der Partituren für den Chorgesang annahm. Die Veranstalter hatten nämlich die Idee, dass neben einem Sinfonieorchester auch noch die Sängerinnen und Sänger der Kantorei Barmen-Gemarke für ein besonderes Flair sorgen sollten. Ian Anderson hatte zunächst nicht an einen Chor gedacht, stimmte aber zur Überraschung der Veranstalter sehr schnell zu, was sich bei einigen Stücken auch als absolut richtig herausstellen sollte. O’Hara hatte die Chorpartituren geschrieben, aber konnte erst einen Tag vor der Premiere das Ergebnis hören, da eine frühere Probe nicht möglich war. 

     

Ian Anderson kann auf eine Vielzahl an musikalischen Stilen zurückblicken, denn auf seinen Veröffentlichungen finden sich neben Rock auch Klassik, Folk-, Mittelalter- und Progressive Rock und all dies fand auch während der drei Konzerte in Wuppertal seinen Weg auf die Bühne. Der Hauptteil des Programms bestand aus Stücken des 1971’er Albums „Aqualung“. Den Beginn machten aber zunächst Ian Anderson und seine Band mit dem Stück „Living In The Past“. Chor, Orchester und Rockmusiker waren schon auf der Bühne und Ian’s Stammmusiker begannen mit dem Intro zum Opener. Nach wenigen Momenten betrat Ian Anderson unter großem Applaus,  Flöte spielend die Bühne und die Kombination aus Rock und Klassik begann.

    

Sowohl den Opener „Living In The Past“ wie auch die beiden darauf folgenden Stücke „Doggerland“ und „Tripudium“ (die beiden letztgenannten stammen von Ian’s aktuellem Soloalbum „Homo Erraticus“) spielten die Rockmusiker allein, ohne dass das Orchester zunächst beteiligt war. Das fand ich, obwohl die Songs recht orchestral angelegt waren, zunächst etwas enttäuschend, denn ich hatte einen Start mit dem Orchester erwartet.

     

Mit dem Song „Cheap Day Only Return“ traten dann zum ersten Mal Musiker des Orchesters in Erscheinung. Während Ian Anderson den Song mit seiner Akustikgitarre begann, wurde er von Anderas Heimann an der Oboe und Andreas Baßler am Fagott begleitet. Der instrumentale Teil dieses Stückes hatte etwas von Theatermusik. Entgegen der Setlist im Programmheft wurden die Stücke „Cheap Day Only Return“ und „Mother Goose“ in umgekehrter Reihenfolge gespielt. Auch in „Mother Goose“ waren Heiman und Baßler an der Oboe und am Fagott zu hören, während Schlagzeuger Scott Hammond mit seiner Perkussion für einen organischen Rhythmus sorgte und John O’Hara sanfte Keyboardflächen und Melodiebögen beisteuerte. Dieser Song zeigte einen leicht mittelalterlichen Touch, der sich zum Ende hin in einen Rocksong verwandelte, als Schlagzeug, E-Gitarre und Bass die Oberhand gewannen.

    

Zum nächsten Song, „Griminelli’s Lament Plus“, kam dann Flötistin Uta Linke nach vorn, um mit Ian an der Querflöte ein Duett zu spielen. Ian hatte das Stück für zwei Flöten geschrieben, was an diesem Abend beeindruckend dargeboten wurde. Nach einiger Zeit stieg dann auch endlich das gesamte Orchester mit ein, das von John O’Hara dirigiert wurde. John, der neben Ian die Fäden in der Hand hielt, zeigte sich bei den Konzerten in zwei unterschiedlichen Rollen. Zum Einen war er als Keyboarder tätig, zum Anderen nahm er die Rolle des Dirigenten ein. Mit Einsatz des Orchesters wurde es dann klassisch. Sanfte Streicherpassagen und das Flötenduell zwischen Uta und Ian sorgten für klassische/romantische Momente. Und das italienische Flair, das Ian vor dem Stück ansprach, war deutlich herauszuhören.

     

Nach einer kurzen Passage in der das Orchester die Instrumente zu stimmen schien, bat Ian John ein „A“ zu spielen, um dann das Publikum aufzufordern, dieses zu singen. Das klappte natürlich nicht so wie Ian sich das vorstellte und so bat er John ein „C“ zu spielen, das dann zu Ian’s Zufriedenheit vom Publikum zurückgegeben wurde. Das war die Einleitung zum nächsten Song „Wond’ring Aloud“, in das Ian mit seiner Akustikgitarre einstieg. Nach wenigen Momenten setzten die Streicher des Orchesters ein, deren akzentuierte Einbindung dem Stück eine ganz neue und besondere Note verlieh. In diesem Stück war auch zu sehen, mit welchem Enthusiasmus John O’Hara zwischen den beiden Rollen hin- und herwechselte. Kaum hatte er die Orchestermusiker in die richtige Richtung gelenkt, da saß er auch schon wieder hinter seinem Keyboard und brachte einige Pianotupfer in das Stück ein.

    

Bei dem Stück „In The Grip Of Stronger Stuff“ zog dann das Orchester richtig an und sorgte mit seinem druckvollen Spiel das erste Mal an diesem Abend für einen hohen Spannungsbogen. Jetzt war die Kombination aus Rock und Klassik in der richtigen Mixtur angekommen.

     

Als nächstes standen zwei klassische Stücke aus der Feder von Johann Sebastian Bach auf dem Programm. Das „Prelude“ wurde zunächst von John O’Hara und dem Orchester allein gespielt, während Ian am Rand der Bühnen Platz nahm. Nach einer Weile stieg dann auch Ian in dieses klassische Stück ein und drückte ihm seinen Stempel auf. Bei der folgenden „Toccata“ hatte dann Florian Opahle seinen großen Auftritt. Dieses Stück interpretierte der Gitarrist mit einem herrlichen Solo so rockig, wie man es bisher noch nicht gehört hatte. Dabei flogen seine Finger über die Saiten seiner Gitarre und er zauberte eine ausdrucksstarke Version, die Seinesgleichen sucht. In diesem Stück konnte er seine ganze Klasse zeigen, denn die Noten, die sonst nur auf der Orgel gespielt werden, spielte er traumwandlerisch auf seiner E-Gitarre. Für diese Fassung erntete er zu Recht Szenenapplaus.

    

Bei den letzten beiden Stücken vor der Pause kam dann auch der Chor zum Einsatz, der die Stücke „Life Is A Long Song“ und „Bourée“ verfeinerte. Diese Versionen waren unglaublich und wurden mit der „Toccata“ zu den Highlights des ersten Sets. Ian Anderson wandelte und tanzte dabei streckenweise wie ein aufgedrehter Kobold auf der Bühne, was man dem mittlerweile 67jährigen gar nicht mehr zugetraut hätte.

     

Nach einer gut 30minütigen Pause ging es dann in den zweiten Teil, der den ersten noch toppen sollte. „Velvet Green“ vom Album „Songs From The Wood“ leitete dann diesen Teil ein. Zunächst begann das Orchester mit einer sehr schönen Einleitung, bei der vor allem die Streicher glänzten, von denen einige die Saiten ihre Instrumente zupften, was sich wie von einer Akustikgitarre anhörte. Diese wunderbare Instrumentalversion stellte eine Mischung aus Klassik und Folk dar.

    

Darauf folgte ein längerer Auszug aus „Thick As A Brick“, das Ian mit den Worten einleitete: „In the past prog was a bad word“. Das deutete darauf hin, dass Ian nicht glücklich darüber war, dass man Jethro Tull in den 70’er Jahren als Progressive Rockband abstempelte. Zweifelsohne ist „Thick As A Brick“ aber ein Prog-Album. Während Ian auf der Akustikgitarre begann, stiegen Band und Orchester erst nach einigen Momenten ein. Dabei war stellenweise das Fagott sehr gut herauszuhören. Auch dieses Stück gewann durch die Instrumentierung des Orchesters. Jetzt hatten Band und Orchester auch den richtigen Druck entwickelt, der aus dem Stück eine faszinierende Version machte. Das letzte „Brick“ ließ Ian dann vom Publikum singen, was erstaunlich gut klappte.

     

Das Stück „Pavane“ von Gabriel Fauré machte sich Ian Anderson ganz zu Eigen, denn er spielte es so, als wäre es ein typisches Jethro Tull Stück. Zunächst Orchestral mit leichtem Folkeinschlag entwickelte es sich streckenweise in eine äußerst rockige Variante weil Florian an der E-Gitarre und Scott Hammond am Schlagzeug den Druck erhöhten. Bei „Sweet Dream“ agierten Band und Orchester dann perfekt zusammen. Die aktuelle Version der Single aus dem Jahr 1969 war ein echter Genuss. Während Florian in diesem Stück die Gelegenheit für ein kurzes aber Energiereiches Solo hatte, lieferte John an den Keyboards einen sakralen Einschub. Es war deutlich zu spüren, dass sich das Konzert langsam von Stück zu Stück steigerte.

    

    

Im Folgenden „Too Old To Rock’N‘Roll“ kam das Orchester abermals hervorragend zur Geltung während Ian & Co. streckenweise den Rock’n’Roll von der Leine ließen. Dem stand mit „Pastime In Good Company” ein Song entgegen, der wiederum einen mittelalterlichen Einfluss aufwies. Das Stück, das auch als „The King’s Ballad“ bekannt ist, ist ein britischer Folksong, der von König Henry dem VIII. Anfang des 16. Jahrhunderts geschrieben wurde und das Ian Anderson im typischen Jethro Tull-Stil präsentierte. Zum Ende des Stückes spielte John O’Hara ein Solo auf den Keyboards, das mit Spinettsounds aufwartete und somit dieses Flair noch verstärkte.

     

„My God“ begann mit einer Kombination aus Ian’s Akustikgitarre und Kontrabass, was zunächst ein recht mediterranes Flair verbreitete. Danach kristallisierte sich langsam der Klassiker von Jethro Tull heraus. Der Chor verlieh dem Stück zudem eine erhabene, sakrale Note. In diesem Stück zeigte sich eine perfekte und beeindruckende Symbiose aus Rock und Klassik. Am Ende schritt Ian Querflöte spielend über die Bühne und erweckte den Eindruck – durch Spiel und Gestik – als würde er mit letzter Kraft die Töne aus seiner Flöte herausholen. Dann folgte ein Gag, denn es sah aus, als würde er sich vor Kraftlosigkeit seine Flöte in den Schritt schlagen, was zu großem Gelächter im Publikum führte. Diesen typisch britischen Humor konnte man auch schon auf der „Thick As A Brick“-Tour erleben.

    

Als Abschluss des offiziellen Teils folgte dann eine außergewöhnliche und mitreißende Version von „Aqualung“. Dieser Song war komplett neu arrangiert und sorgte in der neuen Fassung für Gänsehautfeeling. Das zunächst Orchestral beginnende Stück wechselte nach einigen Minuten in eine treibende Rocknummer. Florian baute auch hier ein tolles Gitarrensolo ein und die Band führte das Stück zum Ende hin in einen ekstatischen Teil, bei dem alle Beteiligten mitwirkten. Besonders beeindruckend war auch die Leistung des Chores (er übernahm im letzten Teil den Gesangspart, während die Stimmen im ersten Teil als Instrument eingesetzt wurden) und die von John O’Hara entwickelten Arrangements. Danach gab es zu Recht Standing Ovations.

   

Für die Zugabe hatte sich Ian Anderson den erfolgreichsten und beliebtesten Song von Jethro Tull aufgespart. Bei „Locomotive Breath“, das in einer ausufernden Version gespielt wurde, gab es im Publikum kein Halten mehr. John O’Hara machte – zur Erheiterung des Publikums - bei diesem Stück so einige Mätzchen, was zeigt, mit welcher Freude er bei der Sache war. Das war ein gelungener Abschluss eines beeindruckenden, gut zweistündigen Konzertes. Alan Bangs hatte am Anfang nicht zuviel versprochen.

     

Während das Orchester im ersten Teil noch recht verhalten zur Sache ging, so wurde es in der zweiten Hälfte, die mir noch besser gefiel, stärker eingesetzt. Insgesamt wurde dem Publikum ein toller Abend beschert, bei dem die Stücke von Ian Anderson und Jethro Tull durch das Sinfonieorchester Wuppertal und den Chor der Kantorei Barmen-Gemarke ein neues, ansprechendes Gesicht verliehen wurde. Ein einmaliges Projekt, das hoffentlich auf CD erscheinen wird, damit all diejenigen, die nicht dabei sein konnten (die drei Konzerte waren schon nach kurzer Zeit ausverkauft), ebenfalls in den Genuss dieser außergewöhnlichen Auftritte kommen können.  

    

 

Setlist

Living In The Past
Doggerland
Tripudium
Cheap Day Return
Mother Goose
Griminelli’s Lament Plus
Wond’ring Aloud
I
n The Grip Of Stronger Stuff
Bach Prelude
Bach Toccata
Life Is A Long Song
Bourée  

Velvet Green
Thick As A Brick
Pavane
Sweet Dream
Too Old To Rock'N'Roll
Pastime In Good Company
My God
Aqualung

Zugabe

Locomotive Breath

Stephan Schelle, April 2015