Ian Anderson plays Thick As A Brick - live
Alfred Fischer Halle
, Hamm 23.05.2012
 


    

Das Konzept von Ian Anderson, Mastermind hinter der britischen Band Jethro Tull, die beiden Konzeptalben „Thick As A Brick“ aus dem Jahr 1972 und „Thick As A Brick 2“, das gerade erst vor wenigen Wochen auf den Markt gekommen ist, komplett aufzuführen, erweist sich als wahrer Glücksfall. Die Show, die eine Mixtur aus Rockkonzert und Theaterstück bzw. Musical (was die Showelemente betrifft) darstellt, ist ganz hervorragend umgesetzt. Davon konnten sich die zahlreichen Besucher der Alfred Fischer Halle in Hamm am 23.05.2012 überzeugen.

     

     

Schon kurz vor dem Konzert sah man einige männliche Personen in braunen Kitteln über die Bühne huschen. Sie inspizierten die Instrumente, die Leitungen oder fegten mal eben mit dem Besen durch. Dazu wurden einige Bilder von einer Art Lagerraum gezeigt, in dem ähnlich gekleidete Personen ihre Arbeit verrichteten. Dies gehörte alles schon mit zur Show denn unter den Kitteln verbargen sich schon die Musiker. Es war eine Hommage an die frühen Jahre Jethro Tull's, denn dieses Outfit wurde auch schon in den 70'ern genutzt.

      

    

Auf der Leinwand erschien dann eine Sequenz die ein Wartezimmer bei einem Arzt darstellte. Die Vorzimmerdame begrüßte Gerald Bostock (Protagonist der Story rund um die beiden Alben) und meinte, sie habe seine Medikamentendosis erhöht und der Dr. würde ihn nun empfangen. Natürlich war diese Sequenz auch mit deutschen Untertiteln unterlegt. Aus den Augen des Gerald Bostock betrat man nun das Sprechzimmer und sieht keinen geringeren als Ian Anderson, der in dieser Sequenz den Arzt darstellte. Mit den Worten, Gerald möge doch seine Probleme von Anfang an erläutern, erklangen die ersten Töne von „Thick As A Brick“ (der erste einstündige Teil der Show bestand aus dem 72’er Werk) und die nun angehenden Scheinwerfer zeigten die Band auf der Bühne.

     

    

Die Band besteht auf der Tour aus Ian Anderson (Flöte, Gitarre, Gesang), John O’Hara (Piano, Hammond Orgel, Akkordeon), David Goodier (Bass, Glockenspiel), Florian Opahle (E-Gitarre), Scott Hammond (Schlagzeug, Perkussion) und Ryan O’Donnell (Gesang, Tanz, Schauspiel). Ryan ist ein ausgebildeter Sänger und Schauspieler (er hat unter anderem für die BBC und die Royal Shakespeare Company gearbeitet) und hat darüber hinaus auch schon in einigen Bands Erfahrung gesammelt. Und mit Florian Opahle hat Ian einen Deutschen in seiner Band, der ihn auch schon seit dem Jahr 2003 in seiner Soloband und den orchestralen Umsetzungen der Jethro Tull Songs begleitet hat.

    

       

Ryan nahm Ian einige Gesangspassagen ab, die Ian in der Kombination Gesang und Flötenspiel nicht hätte darbieten können. Ryan liegt stimmlich in der Nähe des jungen Ian Anderson und brachte sich somit perfekt in das Konzert ein. Zum anderen musste man feststellen, das Ian seinem Alter mittlerweile Tribut zollen muss und die Höhen, die bei der 72’er Scheibe erforderlich sind, nicht mehr ganz  singen konnte. Das war aber nur ein minimales Manko denn musikalisch war die Darbietung auf höchstem Niveau, vor allem wenn man bedenkt wie komplex das 72'er Progressive-Werk ist. Ian zeigte während der Show eindrucksvoll, welch Virtuose er immer noch an seiner Querflöte ist.

    

     

Die Liveversion des 72’er Meisterwerkes war wesentlich länger arrangiert als das Studioalbum. So bestand die Möglichkeit für die Musiker zahlreiche Soli unterzubringen oder wie im zweiten Teil dieses Parts wesentlich druckvoller und ausufernder zu Werke zu gehen. Untermalt war die Musik von immer wieder eingestreuten Filmsequenzen, die aber nicht ständig zu sehen waren sondern immer sehr akzentuiert und passend eingespielt wurden. So war im ersten Teil beispielsweise bei einer Violinenpassage ein Facebook-Fenster auf die Leinwand projiziert in dem Anna Phoebe als Hausfrau mitten zwischen ihrer Wäsche zu sehen war. Das erweckte den Eindruck als wäre sie live mit einer Webcam in ihrem Heim zu sehen. Synchron spielte sie nun in diesem Facebook-Fenster die Violinenpassage und versorgte zwischendrin noch ihr Baby. Ein toller Effekt, wie ich finde.

    

    

Aber auch die Lightshow war sehr ansprechend gestaltet. Während Ian Anderson meist im Spotlight zu sehen war, was einen tollen Schatten auf die Rückwand warf, sorgte dezente Beleuchtung mit dezent eingesetztem Nebel für sehr atmosphärische Stimmung. Kam dann ein andere Musiker musikalisch in den Vordergrund, so wurde der Spot dann auf ihn gerichtet. Das war sehr ansprechend inszeniert. Eingestreute Breaks wie zum Beispiel das plötzliche klingeln von Ian’s Telefon, bei dem er ein kurzes Gespräch mit einer Frau hatte und sie mit den Worten „Ich bin gerade in einem Konzert“ unterbrach, sorgten immer wieder für Akzente. Zwischen „Thick As A Brick Part 1“ und „Part 2“ vom 72’er Album trat eine kurze Unterbrechung ein, die Ian für einen Spaß nutzte, der zunächst sehr spontan wirkte, sich dann aber doch als einstudiert herausstellte. Während Ian dem Publikum etwas erzählte, ging ein Mann direkt vor der Bühne lang. Ian sprach ihn an, so als könne er nicht verstehen, dass der jetzt während des Konzertes da rum läuft. Er fragte ihn ob er von der Toilette komme und woher er denn sei. Es ergab sich ein kurzes lustiges Gespräch und Ian fragte ihn noch, ob er eine Prostatauntersuchung brauche. Mit diesen Worten holt er ihn auf die Bühne wo schon ein als Arzt verkleideter Kollege stand (von meinem Platz aus konnte ich nicht sehen ob es Ryan war). Dieser führte ihn dann hinter die Bühne. Auf der Leinwand war nun eine spanische Wand zu sehen auf der der Arzt und sein Patient, der sich bücken musste, als Schatten erschienen. Es sah so aus, als wolle der Arzt den Patienten rektal untersuchen, was zu großem Gelächter im Publikum führte.

    

     

Dann spielt die Band eine sehr druckvolle Variante des zweiten Parts aus dem Jahr 1972. Die Instrumente verfielen dabei streckenweise ein eine Kakophonie, die in einen wahren Parforceritt ausuferte. Dies spiegelte sich in einem völligen Durcheinander wider, welches von einigen Pausen durchsetzt war. In diesem Teil hatte dann auch Schlagzeuger Scott Hammond die Möglichkeit zu einem lang ausgedehnten Solo an seinen Trommelfellen und Becken, während der Rest der Band starr auf der Bühne verharrt. Er zeigte, dass er ein wirklicher Könner seines Faches ist. Und auch Florian hatte einige umjubelte Soloeinlagen auf seiner Gitarre zu bieten. In den Filmsequenzen tauchte immer mal wieder ein Typ im Taucheranzug auf, wie er durch eine britische Vorstadtidylle schreitet. Diese Person sollte noch mehrfach in den Filmen vorkommen. Am Ende dieses Teils tanzten dann noch Sänger Ryan und Ian wie bei einem Walzer kreisend über die Bühne. Nach gut einer Stunde war der erste Teil des Konzertes beendet und es ging in eine gut 20minütige Pause.

    

     

Nach der Pause stand dann das komplette Album „Thick As A Brick 2“ aus dem Jahr 2012 auf dem Programm. Zunächst verdunkelte sich aber wieder die Bühne und ein Testbild erschien. Dann trat Ian als Oberst Parrit auf, der im St. Cleve TV (als YouTube-Video dargestellt) seinen Landsitz vorstellte und in Begleitung seiner Hunde den großen Außenbereich zeigte. Im Bad angekommen meinte er dann Joan Collins hätte hier mal geschlafen. Er wisse allerdings nicht mit wem, allerdings nicht mit ihm. Dieser Humor zog sich durch das ganze Programm, was für einige Lacher sorgte. Gut gefiel mir, dass Ian sich dabei selbst nicht so ernst nahm. Am Ende dieser Filmeinlage verabschiedet sich das Alter Ego von Ian und schaltet um zum Livekonzert aus der Dorfhalle von …, wo Ian Anderson ein Konzert geben würde. Allerdings durfte der Hinweis auf die nächste Sendung nicht fehlen, in der es eine Phil Collins Karaoke-Show geben sollte.

    

    

Bei dem ersten Song „From A Pebbles Thrown“ wurden auf der rückseitigen Leinwand Filmaufnahmen von einem Vergnügungspark gezeigt. Die gesprochenen Texte in „Might-have-beens“ trug Ian wie ein Erzähler, sehr theatralisch vor. Schon zu Beginn der Liveaufführung des neuen Albums zeigte sich, dass diese Passagen Ian’s Stimme besser liegen. Das mag vor allem daran liegen, das die Aufnahmen zum aktuellen Album noch nicht so lang her sind und er die Stücke in einer anderen Stimmlage, als in den frühen 70’ern eingesungen hat.

    

     

Dann kam mit „Banker Bets, Banker Wins“ das wohl beste Stück des Albums. Druckvoll trugen es die Mannen um Ian Anderson vor. Dazu wurden immer mal wieder Bilder von Geldstücken, Schweinen oder Bankern, die in ihrem Sitzungssaal die Geldscheine durch die Luft schmeißen, gezeigt. Ryan O’Donnell wandelte zusätzlich in schwarzer Jacke, mit einer Melone und einem Gehstock bekleidet über die Bühne. Er vollführte so einige Kostümwechsel während der Show, was den theatralischen Charakter der Show unterstrich. Es passte einfach alles.

    

    

Im Part „Gerald Goes Homeless“ gingen Sänger Ryan und Ian Anderson in einen Dialog, was hier stimmlich sehr gut zusammenpasst. Die Bilder auf der Leinwand wurden bei diesen Stücken sehr akzentuiert und wie Farbtupfer, die die Geschichte untermalten, ins Konzept eingebunden. So sah man beim Part „Gerald The Military Man“ beispielsweise Bilder aus dem Golfkrieg und auch der Mann im Taucheranzug war wieder an einigen Stellen zu sehen. So ging er beispielsweise über einen Feldweg, blieb an einer kleinen Pfütze stehen und sprang rein. Das sah schon recht ulkig aus. Im späteren Verlauf sah man ihn wieder durch eine Stadt gehen bis er dann schließlich am Ende ans Meer kommt. Er hatte sein Ziel erreicht (eine Metapher zu dem Protagonisten Gerald Bostock).

    

    

Während des Parts „Power And Spirit“ wurden Bilder wie von Kirchenfenstern an die rückseitige Leinwand projiziert und beim anschließenden „Give Til It Hurts“ kam Sänger Ryan nun in einem schwarzen Priestergewand und mit einem großen Kreuz um den Hals gehängt auf die Bühne. Dieser Part endete dann mit einer Einspielung wie von einem TV-Prediger. In „A Change Of Horses“ ging Ian mit seiner Querflöte dann in ein beeindruckendes Zwiegespräch mit Akkordeon und E-Gitarre. Er lieferte sich mit den anderen Instrumenten ein wahres Duell. Das Stück bot darüber hinaus eine Mischung aus irischer Folklore und - durch das Akkordeon - ein französisches Flair. Dieser Song war druckvoller als es die Studioversion hergibt (Die Aussage trifft aber auch auf alle weiteren Songs zu). Ein Knaller kam dann noch mal mit „Kismet In Suburbia“, das in seinen Gitarrenparts eine Spur „Lokomotive Breath“ beinhaltete.

    

                   

Der letzte Song „What-ifs, Maybes, Might-have-beens“ wurde dann durch zahlreiche Glühbirnen auf der rückwärtigen Leinwand sehr schön eingeläutet, zu denen die Scheinwerfer sehr ansprechend die Bühne beleuchteten. Das sah richtig klasse aus. Nach diesem Song kam dann der Abspann, in dem man Ian Anderson wiederum in einer Rolle auf der Leinwand sah. Von dort aus stellte er die einzelnen Musiker vor, die groß auf der Leinwand und gleichzeitig im Spotlight auf der Bühne zu sehen waren. Das war noch einmal ein gelungenes Showelement. Dann war Schluss, eine Zugabe gab es nicht. Das liegt ganz einfach daran, dass es sich bei dieser Konzertreihe um ein Gesamtkunstwerk handelt, da würde jeder andere Song die Magie des Abends durchbrechen.

    

    

Ian Anderson hat mit dieser Show den St. Cleve Chronikle perfekt ins Internetzeitalter adaptiert. Ich habe Jethro Tull bereits zum dritten Mal gesehen und muss resümieren, dass mir dieses Konzept wesentlich besser gefallen hat, als die Best Of-Shows der vergangenen Jahre. Ian Anderson ist mit diesem theatralischen Konzept ein wirklich großer Wurf gelungen, der es Wert ist als DVD veröffentlicht zu werden. Ein wirklich tolles Event.

    

 
 

Setlist

Set 1

Thick As A Brick I
Thick As A Brick II

 

Set 2

 

From A Pebble Thrown

Pebbles Instrumental

Might-have-beens

Upper Sixth Loan Shark

Banker Bets, Banker Wins

Swing It Far

Adrift And Dumfounded

Old School Song

Wootton Bassett Town

Power And Spirit

Give Till It Hurts

Cosy Corner

Shunt And Shuffle

A Change Of Horses

Confessional

Kismet In Suburbia

What-ifs, Maybes And Might-have-beens

 

Stephan Schelle, 24.05.2012