Grobschnitt live in der Stadthalle Betzdorf 19.02.2011
 


    

Grobschnitt und Betzdorf, das ist eine Kombination, die seit 1998 untrennbar ist. In 1998 fand das erste Grobschnitt-Fantreffen statt, zudem daraufhin jährlich eine Anzahl von Gleichgesinnten reiste. Zu diesem Treffen, das mit gut 20 Besuchern begann, wurden Livemitschnitte von Grobschnitt angeschaut und so das musikalische Werk der Band in Ehren gehalten. Willi Wildschwein ließ es sich daher auch nicht nehmen auf diese Treffen hinzuweisen und sowohl den Machern als auch den Besuchern zu danken, denn dies war einer der wesentlichen Gründe, warum die Band seit 2007 wieder auf deutschen Bühnen zu sehen ist. Man spürte der Band an, dass es ihr eine Freude war, hier in Betzdorf erneut ein Konzert zu geben (nach 2008 das zweite der Next Party Tour).

     

    

    

    

Toni Moff Mollo, der ja schon in Hagen als Hausmeister auf die Bühne kam, setzte in Betzdorf noch mal einen drauf, denn er hatte sich für den Auftritt die lässig im Mundwinkel liegende Zigarre doch glatt angezündet. Die Rauchschwaden des Glimmstängels wehten durch den Raum und Willi zeigte sich erstaunt, dass Toni es tatsächlich wahr gemacht hatte.

    

    

                   

    

Wie gewohnt zeigten sich die acht Musiker dann während des ersten Teils der Show, in der das Rockmärchen „Rockpommel’s Land“ zelebriert wurde, in perfekter Form. Allerdings hatte Tattva mit seinem Moog technische Probleme, so dass einige Töne nicht so klangen, wie es sein sollte. Auch weitere kleinere technische Probleme waren auszumachen. Das fiel aber nicht wirklich ins Gewicht. Ärgerlicher war allerdings, dass sich Willi bei einer Bewegung am Fuß verletzte, was ihn sichtlich behinderte. Er biss aber auf die Zähne und führte professionell den Gig zu Ende. Man konnte nur erahnen mit welchen Schmerzen er den Auftritt meisterte.

                   

    

    

    

Ansonsten wurde aber richtig abgefeiert auch wenn Willi durch seine Verletzung sichtlich behindert war. Doch einen gestandenen Sänger bringt das nicht aus der Ruhe und so hielt er – wo manch anderer große Profi abgebrochen hätte – tapfer durch und nahm es mit Humor. Auch das zeichnet einen Musiker aus, der seine Musik lebt und für das Publikum und nicht den Kommerz spielt. Man merkt bei jedem Konzert dass alle an dem Gig Spaß haben. Auch die Roadies und Helfer, die in die Show mit eingebunden sind, gehören zur großen Familie. Wo es immer möglich ist, suchen auch sie die Nähe zu den Fans, in dem sie Begrüßungen, Gespräche oder einfach nur freundliche Blickkontakte mit den Anwesenden austauschen. So etwas gibt es meines Wissens nirgendwo anders.

    

                   

         

    

Für mich verging die erste Stunde, in die ich regelmäßig abtauche und wie aus dem Hier und Jetzt entrückt bin, wie im Flug. Und bei „Anywhere“ packen mich jedes Mal die Emotionen und lassen mich wie in Hypnose am Bühnenrand zurück. Ich machte die Augen nach dem Finale auf und schon stand die Band in Pose um sich in die Pause zu verabschieden. Wie schnell doch so eine Stunde vergeht.

    

                   

    

    

Nach dem Medley aus „Razzia“ und „Illegal“ schloss sich dann, wie schon in Hagen, „Vater Schmidt’s Wandertag“ an. Ein toller Song, der glücklicherweise wieder im Programm ist, auch wenn „Mary Green“ ebenfalls unverzichtbar ist.

    

    

                   

    

Milla gedachte während des Konzertes an die zahlreichen kritischen Situationen auf der Welt (vor allem in den afrikanischen Staaten, die derzeit im Umbruch sind und bei denen sich in den letzten Tagen die Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten verstärkte). Er sprach seine Hoffnung aus, dass alles gut ausgehen möge und die derzeit noch an der Macht stehenden Personen besonnen reagieren. Da bekommt ein Song wie „Wir wollen leben“ noch einmal eine ganz andere Bedeutung und ist leider aktueller denn je. Unter großem Jubel und dem Gesang der Zuschauer, der aus mehreren hundert Kehlen kam, zeigte sich der Singlehit „Wir wollen leben“ in einer neuen druckvollen Form. Und Willi hatte den Text an einer Stelle für die neuen Liverversionen etwas abgeändert. Nach

„Die Sonne reißt den Morgennebel auf,

die Macht marschiert in Reih und Glied.

Sie hat Pistolen, Peitschen, Panzerglas,“

 

kommt nun statt:

 

„wir haben unser kleines Lied.“

 

der Text: „und jeder weiß was gleich geschieht.“

    

    

                   

Die kleine Atempause bekam das Publikum mit dem Instrumental „Silent Movie“, gefolgt von dem herrlichen Livestück „Könige der Welt“. Willi kündigte das letzte Stück an und erzählte ein wenig aus dem Nähkästchen. In den frühen 70’ern durfte eine Newcomerband auf Festivals immer nur eine Stunde spielen. Wenn die letzten fünf Minuten anbrachen und die Veranstalter bzw. Ordner schon unruhig Zeichen zum Aufhören gaben, kündigten Grobschnitt dann den letzten Song des Abends an. Allerdings handelte es sich hierbei um „Solar Music“, das damals schon damals als Longtrack ausgelegt war und durchaus 60 Minuten dauern konnte. Das sorgte dann für Ärger mit dem Veranstalter und die nachfolgende Band hatte dann auch immer ein Problem. Aber auch die aktuelle Version von „Solar Music“, die die 85’er Fassung des „Sonnentanzes“ als Kern und ein Zeitfenster, in dem die Band einen längeren Ausflug in sie 70’er macht, beinhaltet, hat an Faszination nichts eingebüßt. Dieses Stück reißt auch heute noch die Zuschauer mit, egal ob sie auf den „Sonnentanz“ oder die 70’er Jahre-Fassung von „Solar Music“ stehen.

    

    

    

Für mich verflog auch diese Version wie im Zeitraffer. Es wurden aber einige Fanstimmen nach dem Gig laut, die der Auffassung waren, dass die Betzdorf-Version spürbar länger als sonst gewesen sein soll. Da ich wieder wie benebelt und völlig hypnotisch in dieses Stück Musikgeschichte eintauchte, hatte ich das Zeitgefühl komplett verloren und kann gar nicht sagen ob diese Version tatsächlich länger war.

                   

    

     

Zu „Powerplay“ wurden alle Helfer und Bandmitglieder vorgestellt. Dabei kam Willi etwas wehmütig mit seiner Abschiedsrede rüber. Er wünschte dem Publikum alles Gute, falls man sich nicht wieder sehen würde (es gibt ja in 2011 nur noch zwei weitere Konzerte und was dann kommt, ist ungewiss). Den Abschluss bildete dann das „Solar Music“-Finale aus den 70’ern, bei dem der Wikinger mit seinem brennenden Kerzenleuchter in Erscheinung tritt.

    

    

    

    

Dass auch die jungen Musiker Nuki, Manu und Demian schon lange ihre Scheu abgelegt haben und sich wie gestandenen Musiker präsentieren, davon konnte man sich schon seit längerem bei den Konzerten überzeugen. Aber besonders Manu ließ an diesem Abend noch einmal den Rockmusiker raus, in dem er kurzerhand zum Ende des Konzertes auf die vor der Bühne stehende Box stieg und so noch näher am Publikum war.

    

                   

    

Nach mehr als drei Stunden war dann Schluss. Die eingeschaltete Saalbeleuchtung machte dann deutlich, dass nur zufriedene Menschen in die Nacht entlassen wurden, denn die meisten hatten einen zufriedenen Geschichtsausdruck oder ein Dauergrinsen im Gesicht. Was kann also mehr Beleg für ein gelungenes Konzert sein? Und auch noch einige Zeit nach dem Konzert hielten sich eine ganze Anzahl von Besuchern in der Stadthalle von Betzdorf auf um über das gerade Erlebte zu sprechen oder sich mit einigen der Musiker zu unterhalten, die schon kurz nach dem Gig allen Frage und Antwort standen.

    

    

    

Den Abschluss bildete dann ein gemütlicher Ausklang in der Kellerbar des Domhotels, in der das Team des Hotels sehr viel Geduld bewies und für eine freundliche und zuvorkommende Bedienung sorgte. Einige der Bandmitglieder ließen sich ebenfalls dort sehen und so konnte man noch so manche Anekdote erfahren. Ein gelungener Abschluss eines tollen Konzertwochenendes.

    

     

    

    

Zwei Möglichkeiten haben die Musikfreunde noch, die Band in der nächsten Zeit zu sehen. Zum einen treten sie am 11.03.2011 in Osterholz-Scharmbeck (bei Bremen) und dann zum letzten Mal in 2011 am 02.04. in Neuss auf. Ob es nur eine kreative Pause ist, oder ein Abschied, das steht noch in den Sternen. Wer Grobschnitt, die aus meiner Sicht beste Liveband, die unser Land zu bieten hat, noch nicht gesehen hat, der sollte sich einen dieser beiden Termine unbedingt vormerken. Nicht ohne Grund haben die Leser der deutschen Musikzeitschrift ECLIPSED Grobschnitt in der Kategorie bestes Konzert in den Jahren 2007 auf Platz 4, in 2008 zum besten Liveact, in 2009 auf den 3. Platz und die Redaktion der Zeitschrift sie in 2010 auf Rang 7 der besten internationalen Livebands gewählt (hier steht die Leserwahl noch aus).

    

                   

    

 

 

  Fotos: Madeline Schwarz & Stephan Schelle

Text: Stephan Schelle, 21.02.2011