Die Burg
Nideggen bot am 23. und 24.08.2002 den Rahmen für ein außergewöhnliches
Konzert. Tangerine Dream führten ihr Inferno (Hölle) als
Welturaufführung mit allen Solisten und der kompletten Partitur auf. Im
Oktober 2001 wurde dieser Part bereits in der St. Marien Kirche in Bernau
(bei Berlin) und am 15.06.2002 Open Air auf der Museumsinsel in Berlin (vor
der alten Nationalgalerie) aufgeführt.
Inferno
beruht auf der La Divina Commedia (Der Göttlichen Komödie)
des italienischen Poeten Dante Alighieri. Inferno ist der
erste Teil einer Trilogie, die ihren musikalischen Anfang in Deutschland auf
den insgesamt fünf Konzerten in Bernau, Berlin und Nideggen fand, mit Dantes
Purgatorio (Fegefeuer) in Atlanta/USA 2003 fortgesetzt
wird und mit Paradiso (Paradies) in Sydney/Australien 2004 ihren
Abschluss finden soll.
Nach Dantes Vorstellung bestand die Hölle (Inferno) aus einer riesigen
unterirdischen Höhle, die dadurch entstanden sein soll, dass der Engel
Luzifer, der sich gegen Gott erhoben hatte, aus dem Himmel gestürzt wurde.
Durch seinen Aufprall riss er einen großen Trichter, der mit seiner Spitze
im Mittelpunkt der Erde stecken blieb. Der Trichter war mit Stufen versehen.
Im ersten Teil der Trilogie steigt Dante mit seinem Begleiter, dem
römischen Dichter Vergil, diese hinunter. Auf den Stufen begegnen sie
Verdammten, die hier ihre Strafe für ihre Sünden ableisten müssen.
Viele
Künstler, darunter der Florentiner Maler Sandro Botticelli, haben
sich dieses Themas angenommen. Nun wurde es durch Tangerine Dream
auch in einer modernen und zugleich klassischen Variante musikalisch
umgesetzt.
Schauplatz
dieser sehr stimmungsvollen Veranstaltung war der Innenhof der Burg in
Nideggen. Die Burg ist nicht mehr komplett, neben einem Turm und einigen
Gebäuden findet man eine Ruine, die heute praktisch den Innenhof der Burg
darstellt. Vor den Mauerresten, in denen noch acht Fenster erhalten sind,
war die Bühne aufgebaut. Aufgrund der unbeständigen Wetterlage in diesem
Sommer (haben wir wirklich Sommer?), hatte die Bühne eine Überdachung. Davor
war eine bestuhlte Tribüne aufgebaut, die ebenfalls überdacht war. Weitere
unüberdachte Plätze gab es direkt vor und neben der Bühne. Ca. 700 Besucher
fanden Platz in dem Innenhof der Burg. Das Konzert am Samstag war fast
ausverkauft. Nur wenige der unüberdachten Plätze waren frei (wahrscheinlich
wegen des unbestimmten Wetters). Doch Petrus hatte - trotz des höllischen
Themas - ein Einsehen und hielt sein Pforten während des ganzen Konzertes
geschlossen, so dass Bühne und Zuschauer trocken blieben.
Knapp fünf
Minuten nach dem geplanten Konzertbeginn startete das Spektakel. Die
italienische Rocksängerin und Poetin Mara Redighieri, betrat um 21.05
Uhr die Bühne und rezitierte den Prolog, der aus zwei Cantos aus dem
Höllenkreis von Dantes Göttlicher Komödie stammte, in der
Originalsprache - also in italienisch -. Dieser erste Part, der mit leisen
Naturgeräuschen und später mit tiefen männlichen Stimmsamples (sie waren
nicht zu verstehen), die sich nach Mönchen anhörten, versehen war, nahm die
ersten ca. 15 Minuten des Konzertes in Anspruch. Mara las den Text
nicht stur ab, sondern unterstrich ihren Auftritt durch Körperbewegungen. Da
ich leider kein italienisch verstehe, beanspruchte mich dieser Teil doch
sehr und war für meinen Geschmack zwar künstlerisch wertvoll, doch etwas zu
lang geraten.
Nachdem Mara die Bühne verlassen hatte, ging es los.
Tangerine Dream und
die Solisten der Veranstaltung betraten den Ort des Geschehens.
Das Konzert wurde in der
folgenden Besetzung absolviert:
Edgar
Froese (Synthesizer, Sequenzer und Sampler), Jerome
Froese (Synthesizer, Sequenzer und Sampler), Iris Kulterer (Percussion,
Gesang), Jayney Klimek, Claire Fouquet, Bianca Acquaye,
Jane Monet, Graziana Glatthaar, Carol Montoya und
Barbara Kindermann (Gesang / Alt, Sopran, Mezzosopran). Laut
Programmheft sollten noch zwei weitere Keyboarder (John Malcolm und
Barry Thompson) auftreten, sie waren jedoch nicht mit auf der Bühne.
Neben Edgar und Jerome Froese, die an den Keyboards agierten, trat vor
allem die österreichische Percussionistin und Sängerin Iris Kulterer,
die bereits bei Tangerine Dreams Auftritt im Londoner Shepard’s
Bush Empire am 12.05.2001 auf der Bühne stand, in den Vordergrund.
Während Edgar und Jerome doch mit eher versteinerten und
regungslosem Gesichtsausdruck das Konzert absolvierten, fegte Iris
wie ein Wirbelwind zwischen ihren Instrumenten (Trommeln, Becken, Gong,
Windmaschine, etc.) einher. Durch ihre Körpersprache und ein freundliches
Lächeln, das nicht aufgesetzt war, übermittelte sie den Spaß am Spielen. Man
kann sagen, dass sie der Blickfang des Abends war und allen anderen förmlich
die Show stahl. Ich glaube dass mehr Fotos von der attraktiven Kärntnerin
gemacht wurden, als von Edgar und Jerome zusammen. Iris
hat bereits in diversen österreichischen Dance- und Latin-Projekten
mitgewirkt.
Da sich der
erste Teil der Dante-Trilogie um die Hölle (Inferno) dreht,
schrie das Thema natürlich auch nach einer optischen Umsetzung. Das haben Tangerine Dream durch die tolle Lightshow und pyrotechnische Einlagen
eindrucksvoll bewerkstelligt. Durch den Einsatz einer Nebelmaschine und der
Tatsache, dass die Bühne im Freien lag, wehten die Nebelschwaden über die
Bühne und wurden effektvoll von den unterschiedlichen Scheinwerfern und
Lasern angestrahlt. Es wurden bengalische Feuer entfacht, Sprühfeuer an der
Front der Bühne und Feuerfontänen an den Seiten vervollständigten das
visuelle Gesamtbild.
Die sieben
Sängerinnen waren entsprechend dem Thema in sehr ansprechenden,
phantasievollen Kostümen gewandet, die aus dem Fundus der UFA
stammten. Dazu trugen sie - bis auf die Sängerin und Malerin Bianca
Acquaye, die auch das Titelbild der Inferno-CD gemalt hat -
venezianische Masken. Leider waren die maskierten Sängerinnen daher nicht zu
erkennen. Sie befanden sich im Hintergrund, etwas erhöht auf der Bühne. Das
einzig störende für mich war, dass sich auf der Bühne eine Steinsäule
befand, die mir die Sicht auf Jayney und Bianca nahm. So waren
von meinem Platz aus ihre Einsätze nicht zu beobachten.
Das Konzert
bestand aus einem Set, das ohne Unterbrechung gespielt wurde. Verschiedene
Elemente wurden nahtlos aneinandergereiht. Die im September auch in Europa
offiziell erhältliche CD Inferno, sie konnte bisher nur über das
Internet bei TDI-Music als Import bestellt werden, bietet das
komplette Konzert mit einer Länge von über 79 Minuten. Die Aufnahme entstand
am 07.10.2001 in Bernau.
Die Musik
kann als eine Mischung aus klassischen, elektronischen, Rock- und
Popelementen mit den typischen Sounds von Tangerine Dream beschrieben
werden. Teils erinnerte mich das Ganze an eine Rockoper im Stile von Rick
Wakemans Jouney To The Center Of The Earth, allerdings ohne die
Virtuosität des englischen Keyboarders, denn es wurden eher Flächen und
Sequenzen gespielt. Wenn dann mal Klaviersounds ertönten, dann waren sie
eher gemäßigt und nicht so stakkatoartig wie bei Wakeman.
Zwischendurch blitzten dann auch mal Synthieflächen auf, die an
Vangelis
erinnerten. Die Musik war aber trotzdem eigenständig und entwickelte durch
den Wechsel zwischen opernhaften Stimmen der Sängerinnen und der
Pop-/Rockstimme von Jayney Klimek, die einen abwechslungsreichen
Gegenpart dazu darstellte, einen ganz besonderen Reiz. Sicherlich ist die
Musik nicht einfach zu konsumieren gewesen, aber die über weite Strecken
perfekte Zusammensetzung der einzelnen Parts (Chor, Sologesang,
Synthieflächen, Rhythmen, klassische Elemente, kurze Rhythmussequenzen und
auch experimentelle Einlagen) ließ mich ein bis dato ungehörtes
Klangerlebnis erfahren, das so von Tangeine Dream bisher nicht zu
hören war. Es fällt schwer die Musik mit Tangerine Dream-Produktionen
der Vergangenheit zu vergleichen. Zwischendurch blitzten immer einmal
Passagen auf, die nach Tangerine Dream der 80‘er und auch 90‘er
Dekaden erinnerten. Es waren jedoch nur kurze Phrasen, die ehe man sie
lokalisiert hatte, auch schon wieder beendet waren.
Auch die
sehr markante Stimme der ehemaligen The Other Ones-Sängerin Jayney
Klimek, die bereits auf dem Tangerine Dream- Album Rockoon
die Stimmen beisteuerte und den Gesangspart beim Song Dreamtime
übernahm, trat bei dem Konzert in den Vordergrund. Nach meiner Auffassung
passte ihre Stimme vortrefflich zu den Keyboardpassagen.
Von meinem
Platz aus hatte ich eine gute Sicht auf die Tasten der Keyboards. Es war
nicht zu erkennen, was Edgar und Jerome nun tatsächlich live
spielten und was vom Computer oder DAT kam. Besonders Jerome agierte
eher ruhig und verharrte oft eine weile auf den schwarz/weißen Tasten, so
wird er wohl hauptsächlich Akkorde und Flächen gespielt haben.
Gegen 22.45
Uhr fand das Konzert dann ein Ende. Das Publikum raste und bot Standing
Ovations. Man konnte die Musiker hierdurch zwar mehrfach auf die Bühne
zurückholen, doch eine Zugabe war leider nicht mehr drin. Anzumerken ist
hierbei, dass das Publikum nicht aus den üblichen
Elektronikkonzert-Besuchern bestand. So hat es Tangerine Dream geschafft durch ihr ambitioniertes Projekt weitere Personen für die
elektronische Musik (wenn sie auch dieses Mal nicht typisch für Tangerine
Dream war) zu begeistern. Ich selbst war für gut 1 ½ Stunden von der
Wirklichkeit entrückt.
Hinter der
Tribüne war ein Stand aufgebaut, an dem sich die Besucher mit verschiedenen
Artikeln wie CDs (auch die Inferno wurde zu moderaten Preisen
verkauft), T-Shirts, Plakate etc. eindecken konnten. Vor allem nach dem
Auftritt war dieser Stand sehr stark belagert. Schön fand ich auch, dass die
Fans, die zum Teil eine sehr lange Anreise auf sich genommen hatten
(aufgrund der Tatsache, dass Inferno nur in Deutschland aufgeführt
wurde, waren zahlreiche ausländische Besucher anwesend), zu später Stunde
noch mit Autogrammen bedacht wurden. Zwar musste man etwas ausharren, aber
es hat sich für die verbleibenden Gäste auf jeden Fall gelohnt Edgar,
Jerome und Iris direkt gegenüber zu stehen.
Mein
Fazit: Vor der sehr schönen Kulisse der alten Burgruine
haben Edgar und Jerome einen wahren audio-visuellen Genuss
geliefert. Im Nachgang bleibt mir nur die CD in den Player zu legen und das
Konzert noch einmal vor dem geistigen Auge Revue passieren zu lassen.
Eine professionelle Kameracrew war übrigens
anwesend. Neben zig fest installierten Kameras, die das Geschehen von allen
Seiten aufnahmen, setzte sie auch eine schwenkbare Kamera auf der Bühne ein.
Es ist zu hoffen dass dieses Konzert in nicht allzu langer Zeit als Video
und DVD erscheinen wird. Dieses wirklich außergewöhnlich Konzert sollte
schnellstens allen interessierten in einer audio-visuellen Form dargeboten
werden.
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