Tangerine Dream auf Burg Nideggen 2002

Tangerine Dream

Live

24. August 2002

auf

Burg Nideggen

 

Für den German Rock e.V. bin ich am 24.08.2002 in Nideggen gewesen und habe das Konzert von Tangerine Dream besucht. Der nachfolgende Bericht entstand für den German Rock e.V. und darf daher nur mit aufgrund einer Genehmigung verwendet werden.

 

Die Burg Nideggen bot am 23. und 24.08.2002 den Rahmen für ein außergewöhnliches Konzert. Tangerine Dream führten ihr Inferno (Hölle) als Welturaufführung mit allen Solisten und der kompletten Partitur auf. Im Oktober 2001 wurde dieser Part bereits in der St. Marien Kirche in Bernau (bei Berlin) und am 15.06.2002 Open Air auf der Museumsinsel in Berlin (vor der alten Nationalgalerie) aufgeführt.

Inferno beruht auf der La Divina Commedia (Der Göttlichen Komödie) des italienischen Poeten Dante Alighieri. Inferno ist der erste Teil einer Trilogie, die ihren musikalischen Anfang in Deutschland auf den insgesamt fünf Konzerten in Bernau, Berlin und Nideggen fand, mit Dantes Purgatorio (Fegefeuer) in Atlanta/USA 2003 fortgesetzt wird und mit Paradiso (Paradies) in Sydney/Australien 2004 ihren Abschluss finden soll.

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Nach Dantes Vorstellung bestand die Hölle (Inferno) aus einer riesigen unterirdischen Höhle, die dadurch entstanden sein soll, dass der Engel Luzifer, der sich gegen Gott erhoben hatte, aus dem Himmel gestürzt wurde. Durch seinen Aufprall riss er einen großen Trichter, der mit seiner Spitze im Mittelpunkt der Erde stecken blieb. Der Trichter war mit Stufen versehen. Im ersten Teil der Trilogie steigt Dante mit seinem Begleiter, dem römischen Dichter Vergil, diese hinunter. Auf den Stufen begegnen sie Verdammten, die hier ihre Strafe für ihre Sünden ableisten müssen.

Viele Künstler, darunter der Florentiner Maler Sandro Botticelli, haben sich dieses Themas angenommen. Nun wurde es durch Tangerine Dream auch in einer modernen und zugleich klassischen Variante musikalisch umgesetzt.

Schauplatz dieser sehr stimmungsvollen Veranstaltung war der Innenhof der Burg in Nideggen. Die Burg ist nicht mehr komplett, neben einem Turm und einigen Gebäuden findet man eine Ruine, die heute praktisch den Innenhof der Burg darstellt. Vor den Mauerresten, in denen noch acht Fenster erhalten sind, war die Bühne aufgebaut. Aufgrund der unbeständigen Wetterlage in diesem Sommer (haben wir wirklich Sommer?), hatte die Bühne eine Überdachung. Davor war eine bestuhlte Tribüne aufgebaut, die ebenfalls überdacht war. Weitere unüberdachte Plätze gab es direkt vor und neben der Bühne. Ca. 700 Besucher fanden Platz in dem Innenhof der Burg. Das Konzert am Samstag war fast ausverkauft. Nur wenige der unüberdachten Plätze waren frei (wahrscheinlich wegen des unbestimmten Wetters). Doch Petrus hatte - trotz des höllischen Themas - ein Einsehen und hielt sein Pforten während des ganzen Konzertes geschlossen, so dass Bühne und Zuschauer trocken blieben.

     

Knapp fünf Minuten nach dem geplanten Konzertbeginn startete das Spektakel. Die italienische Rocksängerin und Poetin Mara Redighieri, betrat um 21.05 Uhr die Bühne und rezitierte den Prolog, der aus zwei Cantos aus dem Höllenkreis von Dantes Göttlicher Komödie stammte, in der Originalsprache - also in italienisch -. Dieser erste Part, der mit leisen Naturgeräuschen und später mit tiefen männlichen Stimmsamples (sie waren nicht zu verstehen), die sich nach Mönchen anhörten, versehen war, nahm die ersten ca. 15 Minuten des Konzertes in Anspruch. Mara las den Text nicht stur ab, sondern unterstrich ihren Auftritt durch Körperbewegungen. Da ich leider kein italienisch verstehe, beanspruchte mich dieser Teil doch sehr und war für meinen Geschmack zwar künstlerisch wertvoll, doch etwas zu lang geraten.

Nachdem Mara die Bühne verlassen hatte, ging es los. Tangerine Dream und die Solisten der Veranstaltung betraten den Ort des Geschehens.

Das Konzert wurde in der folgenden Besetzung absolviert: 

Edgar Froese (Synthesizer, Sequenzer und Sampler), Jerome Froese (Synthesizer, Sequenzer und Sampler), Iris Kulterer (Percussion, Gesang), Jayney Klimek, Claire Fouquet, Bianca Acquaye, Jane Monet, Graziana Glatthaar, Carol Montoya und Barbara Kindermann (Gesang / Alt, Sopran, Mezzosopran). Laut Programmheft sollten noch zwei weitere Keyboarder (John Malcolm und Barry Thompson) auftreten, sie waren jedoch nicht mit auf der Bühne.

     

Neben Edgar und Jerome Froese, die an den Keyboards agierten, trat vor allem die österreichische Percussionistin und Sängerin Iris Kulterer, die bereits bei Tangerine Dreams Auftritt im Londoner Shepard’s Bush Empire  am 12.05.2001 auf der Bühne stand, in den Vordergrund. Während Edgar und Jerome doch mit eher versteinerten und regungslosem Gesichtsausdruck das Konzert absolvierten, fegte Iris wie ein Wirbelwind zwischen ihren Instrumenten (Trommeln, Becken, Gong, Windmaschine, etc.) einher. Durch ihre Körpersprache und ein freundliches Lächeln, das nicht aufgesetzt war, übermittelte sie den Spaß am Spielen. Man kann sagen, dass sie der Blickfang des Abends war und allen anderen förmlich die Show stahl. Ich glaube dass mehr Fotos von der attraktiven Kärntnerin gemacht wurden, als von Edgar und Jerome zusammen. Iris hat bereits in diversen österreichischen Dance- und Latin-Projekten mitgewirkt.

Da sich der erste Teil der Dante-Trilogie um die Hölle (Inferno) dreht, schrie das Thema natürlich auch nach einer optischen Umsetzung. Das haben Tangerine Dream durch die tolle Lightshow und pyrotechnische Einlagen eindrucksvoll bewerkstelligt. Durch den Einsatz einer Nebelmaschine und der Tatsache, dass die Bühne im Freien lag, wehten die Nebelschwaden über die Bühne und wurden effektvoll von den unterschiedlichen Scheinwerfern und Lasern angestrahlt. Es wurden bengalische Feuer entfacht, Sprühfeuer an der Front der Bühne und Feuerfontänen an den Seiten vervollständigten das visuelle Gesamtbild.

     

Die sieben Sängerinnen waren entsprechend dem Thema in sehr ansprechenden, phantasievollen Kostümen gewandet, die aus dem Fundus der UFA stammten. Dazu trugen sie - bis auf die Sängerin und Malerin Bianca Acquaye, die auch das Titelbild der Inferno-CD gemalt hat - venezianische Masken. Leider waren die maskierten Sängerinnen daher nicht zu erkennen. Sie befanden sich im Hintergrund, etwas erhöht auf der Bühne. Das einzig störende für mich war, dass sich auf der Bühne eine Steinsäule befand, die mir die Sicht auf Jayney und Bianca nahm. So waren von meinem Platz aus ihre Einsätze nicht zu beobachten.

Das Konzert bestand aus einem Set, das ohne Unterbrechung gespielt wurde. Verschiedene Elemente wurden nahtlos aneinandergereiht. Die im September auch in Europa offiziell erhältliche CD Inferno, sie konnte bisher nur über das Internet bei TDI-Music als Import bestellt werden, bietet das komplette Konzert mit einer Länge von über 79 Minuten. Die Aufnahme entstand am 07.10.2001 in Bernau.

     

Die Musik kann als eine Mischung aus klassischen, elektronischen, Rock-  und Popelementen mit den typischen Sounds von Tangerine Dream beschrieben werden. Teils erinnerte mich das Ganze an eine Rockoper im Stile von Rick Wakemans Jouney To The Center Of The Earth, allerdings ohne die Virtuosität des englischen Keyboarders, denn es wurden eher Flächen und Sequenzen gespielt. Wenn dann mal Klaviersounds ertönten, dann waren sie eher gemäßigt und nicht so stakkatoartig wie bei Wakeman.

Zwischendurch blitzten dann auch mal Synthieflächen auf, die an Vangelis erinnerten. Die Musik war aber trotzdem eigenständig und entwickelte durch den Wechsel zwischen opernhaften Stimmen der Sängerinnen und der Pop-/Rockstimme von Jayney Klimek, die einen abwechslungsreichen Gegenpart dazu darstellte, einen ganz besonderen Reiz. Sicherlich ist die Musik nicht einfach zu konsumieren gewesen, aber die über weite Strecken perfekte Zusammensetzung der einzelnen Parts (Chor, Sologesang, Synthieflächen, Rhythmen, klassische Elemente, kurze Rhythmussequenzen und auch experimentelle Einlagen) ließ mich ein bis dato ungehörtes Klangerlebnis erfahren, das so von Tangeine Dream bisher nicht zu hören war. Es fällt schwer die Musik mit Tangerine Dream-Produktionen der Vergangenheit zu vergleichen. Zwischendurch blitzten immer einmal Passagen auf, die nach Tangerine Dream der 80‘er und auch 90‘er Dekaden erinnerten. Es waren jedoch nur kurze Phrasen, die ehe man sie lokalisiert hatte, auch schon wieder beendet waren.

     

Auch die sehr markante Stimme der ehemaligen The Other Ones-Sängerin Jayney Klimek, die bereits auf dem Tangerine Dream- Album Rockoon die Stimmen beisteuerte und den Gesangspart beim Song Dreamtime übernahm, trat bei dem Konzert in den Vordergrund. Nach meiner Auffassung passte ihre Stimme vortrefflich zu den Keyboardpassagen.

Von meinem Platz aus hatte ich eine gute Sicht auf die Tasten der Keyboards. Es war nicht zu erkennen, was Edgar und Jerome nun tatsächlich live spielten und was vom Computer oder DAT kam. Besonders Jerome agierte eher ruhig und verharrte oft eine weile auf den schwarz/weißen Tasten, so wird er wohl hauptsächlich Akkorde und Flächen gespielt haben.

Gegen 22.45 Uhr fand das Konzert dann ein Ende. Das Publikum raste und bot Standing Ovations. Man konnte die Musiker hierdurch zwar mehrfach auf die Bühne zurückholen, doch eine Zugabe war leider nicht mehr drin. Anzumerken ist hierbei, dass das Publikum nicht aus den üblichen Elektronikkonzert-Besuchern bestand. So hat es Tangerine Dream geschafft durch ihr ambitioniertes Projekt weitere Personen für die elektronische Musik (wenn sie auch dieses Mal nicht typisch für Tangerine Dream war) zu begeistern. Ich selbst war für gut 1 ½ Stunden von der Wirklichkeit entrückt.

     

Hinter der Tribüne war ein Stand aufgebaut, an dem sich die Besucher mit verschiedenen Artikeln wie CDs (auch die Inferno wurde zu moderaten Preisen verkauft), T-Shirts, Plakate etc. eindecken konnten. Vor allem nach dem Auftritt war dieser Stand sehr stark belagert. Schön fand ich auch, dass die Fans, die zum Teil eine sehr lange Anreise auf sich genommen hatten (aufgrund der Tatsache, dass Inferno nur in Deutschland aufgeführt wurde, waren zahlreiche ausländische Besucher anwesend), zu später Stunde noch mit Autogrammen bedacht wurden. Zwar musste man etwas ausharren, aber es hat sich für die verbleibenden Gäste auf jeden Fall gelohnt Edgar, Jerome und Iris direkt gegenüber zu stehen.

Mein Fazit: Vor der sehr schönen Kulisse der alten Burgruine haben Edgar und Jerome einen wahren audio-visuellen Genuss geliefert. Im Nachgang bleibt mir nur die CD in den Player zu legen und das Konzert noch einmal vor dem geistigen Auge Revue passieren zu lassen.

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Eine professionelle Kameracrew war übrigens anwesend. Neben zig fest installierten Kameras, die das Geschehen von allen Seiten aufnahmen, setzte sie auch eine schwenkbare Kamera auf der Bühne ein. Es ist zu hoffen dass dieses Konzert in nicht allzu langer Zeit als Video und DVD erscheinen wird. Dieses wirklich außergewöhnlich Konzert sollte schnellstens allen interessierten in einer audio-visuellen Form dargeboten werden.

 

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