Schiller Bochum 2011
Schiller Klangwelten live
Jahrhunderthalle, Bochum 16.01.2011


    
links: Cliff Hewitt vor dem Konzert                       rechts: die bestuhlte Tribüne in der Halle

Christopher von Deylen, der besser bekannt ist als Schiller, steht für eine aufwändige Liveperformance bei seinen Konzerten. In den vergangenen Jahren ist er mit einer sechsköpfigen Band (er selbst auch darunter) sowie zahlreichen Sängerinnen und Sängern weltweit unterwegs gewesen, um seine von Elektronikklängen bestimmten Tracks live einem großen Publikum zu präsentieren.

    

    

Anfang 2010 ließ sich Christopher aber auf ein Experiment ein, er lud gut 100 Besucher zu einem Geheimkonzert nach Berlin und spielte ausgesuchte Stücke in kleiner Besetzung. Dabei agierten außer ihm nur Christian Kretschmar an den Keyboards und Cliff Hewitt am elektronischen Schlagzeug. In dieser reduzierten Form entfalteten die Stücke (vornehmlich seine Instrumentaltracks) ein ganz neues Feeling. Man kann sich davon auf der „Lichtblick“-DVD überzeugen. Davon angetan, plante Christopher eine Tour, die er „Elektronik Pur“ nennt und die ihn zu Beginn des Jahres 2011 in 22 deutsche Städte sowie nach Zürich und Wien bringen sollte. Ebenso reduziert wie das Programm sollte auch die Anzahl der Besucher sein, denn die Eintrittskarten waren begrenzt.

    

Christopher beschreibt es in dem Programmheft, das man bei den Konzerten erwerben kann, sehr schön. Hier ein Auszug:

Die Welt ist Klang – und die Reise geht weiter. Elektronisch, wuchtig, sinnlich, zart, atemberaubend. Willkommen in den neuen Klangwelten von Schiller. Willkommen bei Elektronik pur Schiller live 2011.

Es ist die erste rein elektronische Tour, die wir wagen. Als wir Anfang Januar mit den Proben für diese Tournee begannen, hatten wir nur eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen würde, unsere Musik in rein elektronischer Form live auf die Bühne zu bringen.

Für Elektronik pur habe ich aus elf Jahren Schiller meine Favoriten ausgewählt und neu arrangiert. Wir haben uns Zeit genommen bei den Proben, Tag und Nacht jeden Song so weit verinnerlicht, bis er in seiner puren Form vor uns stand und wir sein Wesen erspüren konnten.

    

    

Am 16.01.2011 gastierte Schiller im Rahmen dieser Tour in der Jahrhunderthalle von Bochum vor gut 1.500 Zuschauern. Schiller, das waren an diesem Abend Christopher von Deylen (Synthesizer und Sequenzer), Christian Kretschmar (Synthesizer), Ralf Gustke (elektronische Perkussion) und Cliff Hewitt (elektronisches Schlagzeug).

    

Zwei Punkte waren bei diesem Auftritt anders, als bei den früheren Schiller-Konzerten. Zum einen war die Halle bestuhlt (für Schiller-Konzerte ungewohnt, aber der ambienten Musik angepasst) und zum anderen war eine Pause in der Mitte des Konzertes angekündigt. Auch die Bühne war spartanischer aufgebaut, als es sonst der Fall war. Neben den Instrumenten (die Synthies in der Mitte, eingerahmt von den beiden Rhythmusgebern Gustke / Hewitt) befanden sich noch einige Scheinwerfer auf der Bühne (elf hinter den Musikern, vier vor ihnen und je zwei pro Musiker, um sie direkt anzustrahlen). Das reichte vollkommen aus, wie sich schon nach kurzer Zeit zeigen sollte, denn durch die unterschiedlichen Farbspiele wurde die Musik hervorragend unterstützt.

    

War die Show der „Atemlos“-Tour im letzten Jahr schon sehr auf Lichteffekte ausgelegt, so führt Christopher diesen Stil auch auf der „Elektronik Pur“-Tour fort. Die oben erwähnten Scheinwerfer tauchten die Bühne ein ums andere Mal in kräftige Farben. Ob in einem unterkühlten Blauton, einem fetten roten Anstrich oder in einem grünem Lichtmeer, die Scheinwerfer, die sich teilweise durch dichte Nebelschwaden ihren Weg bahnen mussten, waren ein hervorragendes optisches Element dieser Show. Los ging es mit einer blau durchfluteten Bühne, in deren zunächst diffuser Ausleuchtung die vier als schemenhafte Gestalten die Bühne betraten und der Optik entsprechend mit dem Stück „Tiefblau“ begannen.

    

    

Die einzelnen Stücke - der Fokus lag natürlich auf den Instrumentalstücken - waren speziell für die reduzierte Instrumentierung ausgelegt und umarrangiert worden und so überraschte es ein ums andere Mal, das beispielsweise die Gitarren gar nicht zu fehlen schienen. Und auch bei dem Stück „Denn wer liebt“, bei dem die Stimme von Anna Maria Mühe eingespielt wurde, hatte Christian Kretschmar auf der „Sehnsucht“-Tour noch das Cello gespielt. Gerade diese Passage macht das vor Sehnsucht triefende Stück aus. Dieser Part wird bei der derzeitigen Tour von den Synthies übernommen (aber nicht als Cello-Sound) und bekam so eine ambiente Note, die dem Stück ebenfalls gut zu Gesicht stand. Flächen und Sequenzer gingen hier Hand in Hand und zum Ende hin sorgte ein stetig wachsender Rhythmus, der mich durch seine Nähmaschinenartige Abfolge ein wenig an Donna Summer’s „I Feel Love“ erinnerte, für eine hypnotische Wirkung.

                   

Es war an diesem Abend deutlich zu erkennen, dass die Stücke in ihrer Reduziertheit ein ganz neues Outfit bekamen. Wer die Konzerte und die Alben von Schiller kennt, der kann bei dieser Tour noch einiges Neues bei den Tracks heraushören. Besonders gut tat auch der Einsatz beider Schlagzeuger, die nicht nur hervorragend miteinander harmonierten, nein sie lieferten sich auch manches Duell, wie beispielsweise bei La Mer. Bei diesem Track produzierten beide einen unwiderstehlichen Rhythmusboden, auf dem Christopher und Christian ihre Synthies tanzen ließen. Und auch „Leidenschaft“, bei dem in der Studiofassung Jaki Liebezeit für den ungewöhnlichen und hypnotischen Rhythmus sorgte, brauchte sich in dieser Liveversion nicht hinter dem Original verstecken.

    

    

Den Abschluss des ersten Teils bildete dann der erste Klassiker der Band. „Ein schöner Tag“ wurde zwar nicht ganz so druckvoll wie im Original geboten, hatte aber sehr viel Atmosphäre. Dann kam die Pause, die auf mich doch sehr störend wirkte, denn man wurde aus dieser traumhaften Stimmung recht hart herausgerissen. Und das Hin- und Herwandern der Zuschauer sorgte auch nicht gerade für Entspannung. Meines Erachtens sollte man diese Pause, die ja schon nach gut 45 Minuten kam, aus dem Programm nehmen (oder war das nur in Bochum so?).

    

Zum Ende der Pause wurde die Bühne wieder in Nebelschwaden gehüllt, was man ganz gut in der noch voll beleuchteten Halle sehen konnte. Dann verdunkelte sich der Saal und die Scheinwerfer sorgten wieder für eine stimmungsvolle Atmosphäre. Der zweite Teil begann mit „Sehsucht“, das im ersten Teil gar einige ethnische Klänge aufzuweisen hatte. Es war nicht nur leicht verändert, sondern klang auch frisch und hatte eine wunderbare sanfte Zwischenpassage. Vor allem der Mittelteil und der Part, in dem die Synthies so bedrohlich anschwollen, dass es sich wie Rotorblätter eines Helikopters anhörten, machten aus der Liveinterpretation eine faszinierende Version.

    

Im darauf folgenden Stück „I Miss You“ klangen die Synthies manchmal, als ob sie eine Frauenstimme imitieren würden bzw. eine gesampelte Frauenstimme elektronisch verfremdet wurde.  Das nächste Stück, „Atemlos“, eröffnete dann ganz dem Titel entsprechend mit Atemgeräuschen, die durchaus gehetzt klangen, und wurde mit herrlichen Flächen, Melodiebögen, zirpenden Synthies und zahlreichen Effekten fortgeführt. Dazu standen bzw. saßen die vier Musiker in den Schwaden, was den Eindruck erweckte, als würden sie im Morgennebel baden.

                   

Beim Stück „Einklang“ glitten dann die Scheinwerfer durch den Zuschauerraum, so als wären sie auf der Suche nach etwas. Jetzt war die Bühne nicht mehr nur einfarbig ausgeleuchtet, vielmehr erstrahlten verschiedenste Farben, was mich sofort an einen Regenbogen erinnerte. Hier zeigte sich, wie man mit relativ wenigen Mitteln sehr effektvolle Optische Ausrufezeichen erzeugen kann. Das war wieder sehr atmosphärisch. Nach dem folgenden „Denn wer liebt“ kam dann eines der bekanntesten Stücke von Schiller, „Das Glockenspiel“. Auch wenn ich dieses Stück besonders liebe, wenn Thissy Thiers mit seinem Bass auf der Bühne tanzt, so war auch diese Version wieder etwas ganz Besonderes. Dieses Stück hat einfach einen unwiderstehlichen Rhythmus und wurde um einen fetten Synthiesound ergänzt. Gleich zu Beginn kam dann auch Stimmung im Publikum auf, die aber noch recht verhalten war. Das lag sicherlich an der Tatsache, dass die Zuschauer während des Konzertes saßen. Zum Ende hin brandete dann aber ein rhythmisches Klatschen auf und es hielt kaum noch jemand auf seinem Sitz. Der verdiente Lohn: Standing Ovations für die Musiker!!!

                   

Als letztes Stück des offiziellen Teils wurde dann „Playing With Madness“ gespielt, bei dem ich - aufgrund meiner seitlichen Sitzposition - erstmals so richtig den Surroundsound hören konnte. Von den zentralen Plätzen aus war dieser Sound aber während des ganzen Konzertes zu vernehmen. Damit war dann aber auch schon nach etwas mehr als 45 Minuten der zweite Teil des Sets beendet. Als Zugaben spielten sie dann noch die Stücke „Heimathafen“ und „Nachtflug“.

    

    

Fazit: Auch in der reduzierten Form machen die Schiller-Stücke eine Menge her. Und diese Art von Musik kann die Musikfreunde wirklich begeistern, was sich in Bochum sehr schön zeigte. Christopher von Deylen und seine Mitstreiter überzeugten an diesem Abend auf ganzer Länge. Wer noch Gelegenheit hat, zu einem der ausstehenden Konzerte zu gehen, der sollte dies unbedingt tun.

    

Wem diese Musik gefallen hat - und das waren wirklich alle Besucher - der sollte sich mal in der traditionellen Elektronikszene umschauen, er/sie wird erstaunt sein, welche Musik hier zu entdecken ist.

Setlist

Set 1

Tiefblau
Salton Sea
Lichtwerk
Schiller
Polarstern
Fernweh
Leidenschaft
Sommerregen
La Mer
Ein schöner Tag

Set 2

Sehnsucht
I Miss You
Atemlos
Einklang
Denn wer liebt
Das Glockenspiel
Playing With Madness

Zugabe

Heimathafen
Nachtflug

Stephan Schelle, 17.01.2011