Hello 2016 !
John Kerr & Ron Boots live
Planetarium, Bochum 30.12.2015


    

25 Jahre ist es mittlerweile her, das der niederländische Elektronikmusiker Ron Boots, Erfinder der „Eindhovener Schule“ zusammen mit dem britischen Musiker John Kerr, der für elektronische Musik mit klassischen Elementen steht, das in der Szene viel beachtete Album „Offshore Islands“ einspielten. Bisher ist es bei dieser einen Produktion der beiden geblieben. Am 30.12.2015 konnte der Schallwende e.V. aber die Boots & Kerr nach gut 20 Jahren erneut auf die Bühne holen und das nicht nur um ihr Meisterwerk aus 1990 aufzuführen. Boots & Kerr hatten auch Musik ihres Nachfolgealbums „Juxtaposition“ mitgebracht. Das Konzert fand im Rahmen der alljährlichen Begrüßung des neuen Jahres im Planetarium Bochum statt.

    

    

Der Ehrenpreis der Schallwelle des Jahres 2013 (verliehen in 2014) ging an John Kerr. Kerr, der seit gut 20 Jahren mit Krankheiten zu kämpfen hatte, war seither nicht mehr musikalisch aktiv. Er verkaufte in dieser Zeit sein ganzes Equipment. Für die Entgegennahme des Ehrenpreises sammelte er 2014 alle Kräfte, um persönlich bei der Schallwelle-Preisverleihung in Bochum anwesend zu sein. Dieser sehr emotionale Tag verlieh ihm dann Kraft um wieder Musik zu machen. Da in 2015 das 25. Jubiläum von John Kerr’s und Ron Boots gemeinsamen Meisterwerk „Offshore Islands“ anstand (das Album kam bei der Schwingungenwahl 1990 auf Platz 2 und der Titel „Oceans Of Emotions“ ebenfalls auf Platz 2), reifte der Gedanke, eine Fortsetzung einzuspielen. Am 30.12.2015 betrat, was viele Freunde der elektronischen Musik nicht mehr für möglich gehalten hatten, John Kerr die Bühne und spielte ein gut zweistündiges Konzert mit seinem Freund Ron Boots.

     

Als besonderes Bonbon zum Jahreswechsel gab es für jeden Konzertbesucher eine Gratis-CD, die den Titel „ Juxtaposition - The Bochum Bonus“ trägt und 68 Minuten neuer Musik enthält, die nicht mehr auf das offizielle Album von John Kerr und Ron Boots Platz gefunden hat. Ein sehr schönes Geschenk an die Musikfreunde.

    

John Kerr und Ron Boots agierten aber nicht allein auf der Bühne, sondern hatten mit Harold van der Heijden (E-Schlagzeug) einen adäquaten Rhythmusgeber an ihrer Seite. Daneben kamen bei vier Stücken auch noch mit Frank „F.D. Project“ Dorittke (E-Gitarre) und dem 16jährigen Jeffrey „Synthex“ Haster (Keyboards) noch zwei Gastmusiker hinzu. Das Konzert war in zwei ca. 50minütige Sets unterteilt, die durch eine Pause unterbrochen wurden.

    

Los ging es aber zunächst mit Part 1 des Titelstückes der neuen CD „Juxtaposition“, die an diesem Abend erstmals erhältlich war. Der Albumtitel bedeutet so viel wie „Nebeneinander“ und soll die unterschiedlichen Musikstile von John und Ron widerspiegeln. Während Ron mehr die elektronische Musik „Eindhovener Schule“ vertritt, steht John Kerr für die romantische, klassische Variante (oftmals von Pianoklängen bestimmt) dieser Musikrichtung. Die beiden haben sich, wie Ron eingangs sagte, musikalisch befruchtet und so immer weiter angetrieben, auch wenn es, wie in einer Ehe, schon mal Spannungen gab. Sanft leitete John mit romantischen Pianoklängen in dieses erste gut 16minütige Stück ein. Ron steuerte zunächst einige sanfte Flächen und Harmonien bei. Sobald dann Ron’s Part stärker wurde, kamen seine typischen rhythmischen Harmonien auf, die er ein ums andere Mal übereinander schichtete. Das würzte er mit einigen Mellotron artigen Sounds. John und Ron verbanden ihre beiden Stile in perfekter Manier, so wie man das auch schon von ihrem Erstling „Offshore Islands“ her kennt.

    

    

Nach diesem Opener vom neuen Album ging es dann mit dem Titelstück des 1990’er Werkes „Offshore Islands“ weiter. Beide Musiker tauchten damit in ihre Vergangenheit ein und zeigten, wie zeitlos die Musik ihrer grandiosen ersten Zusammenarbeit auch heute noch ist. Das war Musik zum Abtauchen oder um sich in den Sternenkonstellationen unter der Kuppeldecke des Planetariums zu verlieren. In diesem Stück kam dann auch erstmals Harold van der Heijden zu seinem Einsatz, der auf seinem elektronischen Schlagzeug für den nötigen Grundrhythmus sorgte.

     

Dem folgte dann das ebenfalls sehr romantisch angelegte „Retrospective Futures“, das ebenfalls vom neuen Album stammt. Hier bestimmten Streichersounds und die wunderbare Pianomelodie von John das Bild. „Between You And Me (It’s A Secret)“ von der Bonus CD, sorgte dann für schwebende, verträumte Klänge. Etwas rhythmischer wurde es dann, als Ron’s Solostück „Acoustic Shadows“ an die Reihe kam. Das Stück zelebrierten Ron, John und Harold gemeinsam mit Frank „F.D. Project“ Dorittke (Gitarre) in einer mehr als sechsminütigen Version, die eine Spur atmosphärischen Rock in das Konzert hineinbrachte. Dieses ging dann nahtlos in den Track „Juxtaposition Part 2“ über, das wesentlich atmosphärischer war als Part 1 und durch Frank’s floydige Gitarre auch einen leicht rockigen Anstrich bekam. Damit endete das erste Set des Konzertes.

    

Nach einer Pause ging es dann mit einem weiteren Track vom neuen Album weiter. „Asymmetry“ hieß es und begann zunächst recht spacig mit Sounds und Harmonien, die auf Ron Boots Konto gingen. Das gut neunminütige Stück entwickelte sich zu einem recht rhythmischen Track. John’s Meisterwerk „Aurora Choralis“, das von seinem 1992’er Album „Norland“ (wurde 1992 zum besten Album des Jahres bei der Schwingungenwahl gewählt) stammt, schloss sich dann an. Mit dieser wunderbaren Musik hat er die Landschaft Nordschwedens in Klänge gefasst. Auch heute noch betört und fesselt dieses hymnische Stück. Darauf folgte dann nahtlos das sehr romantisch/süßliche „There’s Magic All Around Us“. Zur Entstehung sagte Ron, dass John ihm ein dreiminütiges Stück zuschickte. Ron fragte sich zwei Tage lang, was er damit machen sollte, weil es „so weich, so schön und so romantisch“ war und er doch gar nicht so romantisch sei. Dann erinnerte er sich an ein neues Programm in seinem Keyboard, in dem Elfenstimmen enthalten waren und die verwendete er dann, was „unheimlich gut passte“. Und so erweiterte Ron dieses Stück, das nach eigenen Angaben zu den Lieblingsstücken der beiden zählt, auf sechs Minuten Länge.

     

    

Danach holte Ron den jungen niederländischen Keyboarder Jeffey Haster (er ist mittlerweile 16 Jahre alt und trat erstmals im Alter von 14 Jahren beim E-Day-Festival auf), der als Synthex seine Musik herausbringt, auf die Bühne. Er wurde von Ron und John eingeladen einige Stücke mitzukomponieren, die dann auf „Juxtaposition“ bzw. „Juxtaposition – The Bochum Bonus“ Platz fanden. Ein Zeichen, dass Ron und John immer gerne neue Talente fördern. Als erstes präsentierten sie das hymnische „Road To Nowhere“ von der Bonus CD, das Jeffrey komponierte und von John und Ron ergänzt wurde. Dem schloss sich dann das wesentlich rhythmischere „Sentimental Values And Industrial Feelings“ an, bei dem auch noch John Dyson die Finger bei der Komposition im Spiel hatte. Dieser konnte aber leider an diesem Abend nicht in Bochum sein. Dieser Track war treibender und vom typischen „Eindhovener Stil“ geprägt. Hier sorgte dann auch Harold wieder für einen treibenden Rhythmus hinter dem Schlagzeug.

     

Eines der beliebtesten Stücke des Jahres 1990 war „Oceans Of Emotions“ von John Kerr & Ron Boots Album „Offshore Islands“. Von diesem Stück haben die beiden eine neue Version eingespielt, die sich auf der Bonus CD befindet und den Titel „Oceans Of Commotions“ trägt. Dieses Stück präsentierten sie in Bochum in einer gut zwölfminütigen Fassung zusammen mit Jeffrey Haster und Frank Dorittke. Die Melodie und die Grundstimmung blieben erhalten, doch waren einige Teile umarrangiert worden. Vor allem die rockige E-Gitarre von Frank und Harolds treibender Rhythmus sorgten für ein ganz neues Hörerlebnis.

    

Mit der recht rockigen Version von „And The Room Was Filled With A Deafening Silence”, bei der alle Musiker auf der Bühne standen und von Ron vorgestellt wurden, endete dann das zweite Set, fast im Stile von Ron And Friends oder MorPheuSz. Die Besucher wurden so kurz vor Mitternacht noch einmal wachgerüttelt.

     

    

Danach gab es dann zwei Zugaben. Ron erklärte zuvor, dass John Kerr nach einem Herzinfarkt eine Nahtoderfahrung gemacht hat und er drei bis vier Minuten klinisch tot war. Da er aber sehr nah an einer Klinik wohnt, konnten die Ärzte ihm das Leben retten. Das ist auch ein Grund, warum John lange Zeit keine Musik mehr gemacht hat und auch nicht aufgetreten ist. John hat – wie so viele, die diese Erfahrung mit ihm teilen - seitdem aber keine Angst mehr vor dem Sterben, denn er fühlte sich geborgen, wie in eine warme Decke gehüllt.

     

John hatte damals ein Stück komponiert, was die Ereignisse im Zusammenhang mit seiner Nahtoterfahrung zusammenfasst und hat dies bei der Erstellung des neuen Albums Ron erzählt. Das Ergebnis ist „Transcendence #4996“, das sich auf der Bonus CD befindet und als erste Zugabe in Bochum gespielt wurde. Dabei handelt es sich um ein sehr schwebendes, ambientes Stück, das die Erfahrung von John sehr gut musikalisch wiedergab.

     

Danach sollte eigentlich Schluss sein, doch John Kerr hatte so viel Freude an diesem Konzert, dass er die Bühne am liebsten nicht verlassen hätte und so gab er zum Ende hin noch eine Solozugabe, bei der die anderen Musiker ihm die Bühne überließen. Ein zum Abschluss noch einmal sehr bewegender Moment.

     

So endete dann ein sehr schönes Konzert mit ruhiger, romantischer, teils melancholischer Musik, die von dezenten Bildern an der Planetariumskuppel unterstützt wurde.

    

    

Setlist

Juxtaposition Part 1
Offshore Islands
Retrospective Futures
Between You And Me (It’s A Secret)
Acoustic Shadows (Ron Boots)
Juxtaposition Part 2
Asymmetry
Aurora Choralis (John Kerr)
There’s Magic All Around Us
Sentimental Values And Industrial Feelings
Oceans Of Comotions
And The Room Was Filled With A Deafening Silence

Zugabe

Transcendence #4996
Solo von John Kerr

Stephan Schelle, Januar 2016