Tim „Doc Fritz” Liebert - ÜberLandFahrt
Prosodia (2018)

(11 Stücke, 51:47 Minuten Spielzeit)

Tim Liebert, der den Spitznamen „Doc Fritz“ trägt, ist mir bis dato musikalisch noch nicht begegnet, daher zunächst einige Infos aus dem Pressetext: Er gehört wohl zu den umtriebigsten Vertretern der thüringisch-sächsischen Folkszene. Seit über 20 Jahren ist er auf Bühnen in Deutschland, aber auch im Ausland präsent. Dabei kam er über die Beschäftigung mit der eigenen Tradition zunächst zur irischen Musik. So spielte er in diversen Irish-Folk-Bands (Ginster, Publiners, Garlic & Onions). Durch einen längeren Aufenthalt in den USA und die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Geigerin Mary-Ann McAllister wurde sein Interesse an der traditionellen Musik der amerikanischen Ostküste geweckt.


Nach einem Intermezzo bei der renommierten Fox-Tower-Bluegrassband ist er größtenteils solistisch unterwegs oder ist Bestandteil diverser Folk-Projekte – so etwa der Band „Onkel Tims Hütte“, deren CD mit Stücken von Altmeister Bob Dylan 2008 deutschlandweit für Furore sorgte („… ‚Onkel Tims Hütte’ macht enormen Spass …“, Zitat „Rolling Stone“ September 2008) oder mit der „Folk Destille Jena“ (2010 Preisträger des Weltmusikpreises „Eiserner Eversteiner“). Aktuell spielt er neben diversen Duos (Doc Taylor, Doc & Josa, Fast Lane) mit seinen Töchtern Pauline und Lisa-Lou als „Paulines Choice“ Musik der schottischen Inseln oder sucht mit den Bands „Klängels Rowell“ und „HüSCH!“ nach seinen eigenen Wurzeln.

Unterwegs zu sein – musikalisch und physisch –, war für ihn schon immer wie Feuer unterm Kessel. Sein neues Solo-Album ist daher eine über die Jahre gewachsene Sammlung an Impressionen von schrägen Charakteren über ratternde Zugfahrten bis hin zur Suche nach den eigenen Wurzeln. Neben selbst Verfasstem bietet es Vertonungen von Ringelnatz oder „weitergeschriebene“ traditionelle Lieder. Obwohl man in seiner Musik den wilden Balkan, Pubs am Atlantik oder die Tanzmusik der Appalachen hören kann, basiert sie doch auf der eigenen Tradition. Alle Stücke wurden für Waldzither und Mundharmonika geschrieben und haben damit ein unverwechselbares musikalisches Gewandt und einen hohen Grad an Authentizität.

Also schnüren wir unseren Rucksack und folgen Tim Liebert (Gesang, Bass- und Diskant-Waldzither, Mundharmonika, Mandoline, Banjo, Stomp), begleitet von Lisa-Lou Pfeiffer (Bratsche, Gesang), Pauline Pfeiffer (Geige, Gesang), Antje Holzbauer (Geige), Irina Storozev (Akkordeon, Cajon), Josa (Mundharmonika, Gesang) und Rüdiger „Rudi“ Mund (Gesang), auf seiner musikalischen Reise. Interpretiert werden die Songs dabei in deutscher Sprache.

Dass es die Texte in sich haben zeigt mal gleich das eröffnende „Oles Boot“. In diesem Song geht es darum das Ole seiner Frau mitteilt, er würde sich ein Boot bauen, aber in Wirklichkeit fertigt er schon mal einen Sarg für sich an. Musikalisch zeigt sich der Song im Liedermacher-/Folkgewand. Trotz des leicht morbiden Textes wirkt die Musik doch treibend und frohsinnig.

Während sich Tim Liebert im Stück „Zurück“, einem Song mit sehr melancholischer Melodieführung, die Frage stellt „Wo gehör ich hin“, das bei einer Fährfahrt über die Elbe entstanden ist, schildert er in „Durch die Ebene / Zug nach Brašov / Überlandfahrt“ Beobachtungen einer realen Zugfahrt, die er von Sibiu nach Brašov unternommen hat. Dabei wird von ihm die „Freiheit im wilden Osten“ beschrieben. Der Rhythmus in diesem Stück, der durch Perkussion, Saiteninstrument und Geige vorangetrieben wird, ähnelt der einer Zugfahrt und unterstützt damit diese Atmosphäre. Ein klasse Song.

Mit Humor tritt Tim dann für den „Blues vom Recht auf Nichtstun“ im Song „Dieser Tag“ ein (dieser Song enthält Bluesanteile). Und Recht hat er, denn manchmal kann man nichts erzwingen und es macht Sinn mal eine Pause einzulegen. Im Stück „Die Gedanken (zu dir)“ hat Tim dann den Text „Zu dir“ von Joachim Ringelnatz vertont. Hier kommt eine Spur amerikanischer Folk auf. Daneben finden sich mit den Stücken „In voller Fahrt / durchs Delta der Gleise“ und „Ade zur guten Nacht“ noch zwei Songs auf dem Album, die auf Grundlage von Traditionals beruhen.

„Überlandfahrt“ von Tim „Doc Fritz“ Liebert ist ein Liedermacheralbum das alles andere als angestaubt klingt. Vielmehr werden hier verschiedene Stilistiken benutzt und mit teils nachdenklichen Texten kombiniert. Ein ums andere Mal kommen sehr Folk orientierte Elemente (in denen sich amerikanische oder irische Melodiefolgen und Klangfarben finden) auf, die neben der Instrumentierung das Album sehr abwechslungsreich machen.

Stephan Schelle, August 2018

   

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