Sylvan - Home
Gentle Art Of Music / Soulfood Music (2015)
(12 Stücke, 77:06 Minuten Spielzeit)

Die beiden führenden deutschen Bands im Bereich Progressive- bzw. Artrock haben in 2015 zusammengefunden. Die einen auf der Seite der des Labels (Gentle Art Of Music, das Label von Yogi Lang - RPWL) und die anderen auf der musikalischen Ebene (Sylvan). Und dieses Zusammentreffen wird dann auch noch mit dem zweiten großen Konzeptalbum von Sylvan gefeiert, das den Namen „Home“ trägt. Da hat sich das Münchner Label einen großen Fisch geangelt, der auch gleich ein Meisterwerk mitgebracht hat, soviel sei schon verraten.


Seit Jahren beweisen die norddeutschen Musiker von Sylvan, die aktuell zu einem Quartett geschrumpft sind (Marco Glühmann – Gesang, Matthias Harder – Schlagzeug, Sebastian Harnack – Bass und Volker Söhl – Keyboards), dass sie zur Speerspitze des deutschen Artrock gehören. Das beweisen unter anderem ihre zahlreichen, qualitativ hochwertigen Alben. Zu den Highlights ihres Schaffens gehört zweifelsfrei ihr 2006’er Konzeptwerk „Posthumous Silence“.

Ein schwieriges Unterfangen sind sie eingegangen, nach ihrer Familienpause gleich mit einem weiteren Konzeptwerk ihre Karriere fortzusetzen. Unterstützt wurde das Quartett, das derzeit auf der Suche nach einem Gitarristen ist, von dem 18jährigen Gastgitarristen Jonathan Beck, der auch schon im Herbst die Band bei einigen Konzerten auf der Bühne begleitete.

Mit „Home“ haben sich Sylvan an ein Mammut-Gesamtkonzept herangewagt, das sich mit der Suche des Individuums nach Heimat und Geborgenheit auseinandersetzt. Zu diesem Zweck haben Sylvan eine Geschichte entworfen, die von der Wiederentdeckung der lang vergessenen Kindheitserinnerungen der Protagonistin erzählt, der sich nach und nach das Bild einer bedrohlichen Welt eröffnet - ohne Hoffnung, ohne Heimat. So prallen Vergangenheit und Zukunft im Heute aufeinander und werfen die Frage auf: wie findet man diesen Ort, der ein Gefühl von Geborgenheit zu geben vermag? Sukzessive entsteht ein Geflecht von Sorgen, Zweifeln und Ängsten, das die Protagonistin zwar zur Suche nach Wahrheit anstachelt, jedoch auch in einer Entdeckung gipfelt, die droht, ihr Weltbild zum Einsturz zu bringen.

Das Thema könnte nicht aktueller sein, und passt perfekt in unsere Zeit. Musikalisch haben Sylvan dieses Konzept ebenfalls hervorragend umgesetzt. Wie man das von ihnen kennt, so gibt es auch auf dem neuen Album ein Feuerwerk an Ideen, die nur so vor Emotionalität sprühen. Stilistisch haben sie ja schon lange ihren unverkennbaren Stil gefunden und Marco’s manchmal etwas weinerlich anmutende Stimme prägt darüber hinaus ihren Sound. Zu diesem Thema und der herzerweichenden Musik, die dieses Mal auch noch eine gehörige Portion an orchestralen Elementen aufweist, und Sylvan damit in neue Sphären eindringen lässt, passt seine Stimme aber perfekt.

Wenn man das Album in den Player legt wird man zunächst von einigen Samples (ist das eine S-Bahn?) und dann von herrlichen Streichersounds empfangen, die von Volker aus seinen elektronischen Gerätschaften gezaubert werden. Das klingt zu Beginn des eröffnenden „Not Far From The Sky“ wie eine Ouvertüre. Dann setzt das Piano ein und Marco’s Stimme schiebt sich messerscharf unter die Haut. Mein Gott, da haben mich Sylvan doch gleich schon wieder nach gerade mal anderthalb Minuten in ihren Bann gezogen und ich kann das Album nicht eher zur Seite legen, bis ich es komplett durchgehört habe.

Ich will an dieser Stelle gar nicht erst anfangen, die einzelnen Stücke zu beschreiben, denn das Album hat eine ungeheure Strahlkraft und entfaltet sich am besten, wenn es in einem Stück gehört wird, zumal die Songs nahtlos ineinander übergehen. Mit „Home“ hat die Band ein neues Referenzwerk geschaffen, das ich in dieser Qualität und Ausführung nicht erwartet habe. Das norddeutsche Quartett untermauert mit ihrem neuesten Werk ihre Vormachtstellung im deutschen Artrockbereich und übertrifft sich damit sogar noch.

Wer die Alben von Sylvan mag, der wird das neue Werk lieben. Es sprüht voller Emotionen, großer Sounds und Melodien und packt einen von der ersten Minute an. „Home“ hat ein hohes Suchtpotenzial, ein Muss für jeden Artrockfan.

Stephan Schelle, Januar 2015

   

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