Smalltape - Tangram
MidJune Records (2025)

(9 Stücke, 50:43 Minuten Spielzeit)

Art-Rock-Magier Philipp lässt wieder in seine Glaskugel schauen

Ich begleite den musikalischen Weg dieses sympathischen Künstlers und Multi-Instrumentalisten sowie ausgebildeten Film-Ton-Meister Philipp Nespital und seiner vielen helfenden Weggefährten aus der Region Berlin bereits seit der Veröffentlichung seines sehr starken Debüts „Circles“ (2011). Die zu dieser Zeit äußerst ungewöhnliche Veröffentlichung auch als Kompakt-Kassette unterstreicht damit noch deutlicher den Projektnamen Smalltape. Aber auch seine vielen anderen Arbeiten aus dieser Zeit sind schon mehr als beachtlich und zeigen das enorme Talent dieses Klang-Magiers.

 


Egal, auf welchem Instrument der Multi-Instrumentalist musiziert, man hat immer das Gefühl er hat volle Kontrolle und alles im Griff. Für Philipp war das Spielfeld Solo schnell zu klein oder auch zu unbeweglich, besonders, wenn man Musik auch Live im Team präsentieren wollte. Daher musizierte er auch im Berliner Progressive-Rock-Trio Treehouse Scenery, aus dem später die Band Mt. Amber entstand. Nun hat sich der Klang-Künstler, vier Jahre nach dem Erfolg von „The Hungry Heart“, mit seinem vierten Album „Tangram“ zurückgemeldet.

Der Titel, „Tangram“ heißt auch ein Virgin-Album von den Berlinern Tangerine Dream, bezieht sich auf das gleichnamige chinesische Legespiel (Pinyin, Siebenbrett), bei dem sich sieben einfache geometrische Formen zu unzähligen komplexen Figuren zusammensetzen lassen. Die Idee dazu kam Philipp beim Schreiben vom Lied „Tesselate“ (Mosaikarbeit), das thematisiert, wie sich Bruchstücke einer Lebensgeschichte immer wieder neu zusammensetzen wie ein Mosaik oder eben ein Tangram.

Sein aktuelles Album besteht aus sieben recht unterschiedlichen Kompositionen in Ausrichtung und Länge, inklusive des dreiteiligen „No Time“ an Position 1, 4 und 7, dass dieses Lieder-Gerüst homogen verbindet und zusammenhält. Das ist typisch und Alltag für das/die Arbeiten von Philipp, der versucht so viel Mosaiksteinchen wie möglich zu einem Gesamt-Kunstwerk zusammen zu bringen. Das ist Multi-Dimensional gemeint und das findet sich auch in seiner Musik seit 15 Jahren in Gänze wieder. Es gibt Menschen, die genau das, komplett oder teilweise, unverständlicherweise beanstanden. Ich sehe über alle vier Alben eine ständige Weiterentwicklung, den Versuch auf Bewährtes zu setzen, aber auch immer neues, buntes, skurriles und außergewöhnliches in seine Klang- und Musikstrukturen einzubauen und auszuprobieren. Er agiert also in seinem musikalischen Tangram. Um das zu verwirklichen, setzt er auf Kontinuität und Qualität bei seinen musikalischen Unterstützern.

Drei bekannte Namen, die unbedingt wieder genannt werden müssen sind Flavio De Giusti (Gitarren), Alexandra Praet (Bass, Gesang), Omri Abramov (Saxofone), die auch zur Konzert-Band Smalltape gehören. Dazu weitere Helfer, die Philipp’s Visionen schon seit den Anfängen unterstützen und mit verwirklichen. Philipp ordnet jeder farbigen Form einen Gemütszustand wie verträumt, bescheiden, heftig oder leicht zu, ich habe aber noch eine andere Interpretation. Nun zum Album „Tangram“.

Nach dem schönen nur 46-sekündigen Intro „No Time I“, geht es übergangslos in die wechselhaften und charakteristischen Klang-Landschaften von Philipp Nespital und das im ersten Teil von „Goodbye“ sehr brachial und kraftvoll nach vorne. Dann im zweiten Teil des Liedes ein Melodiebogen, der mir nicht aus den Ohren geht, echt klasse. So geht es auch, aber etwas entspannter mit „Second Chance“ weiter.

Der erste starke Teil der Nespital-Filmmusik (Tangram: mittelgroßes Dreieck und Quadrat) wird mit „No Time II“ abgeschlossen, ist aber damit auch Startrampe für den nächsten Zweier-Block. Hier wird es mit „Phoenix“ und „Selene“ (Tangram: zwei kleine Dreiecke) etwas ruhiger und verträumter. „No Time III“ schließt diesen zweiten Teil ab. Das verbindende dreiteilige „No Time“ ist das Parallelogramm im Tangram. Schon jetzt möchte ich sagen, fantastische Musik, die mich an die vielen atmosphärischen Alben beispielweise von ECM, CTI, Vanguard der 80er, die im Spannungsfeld von Modern-Jazz, Fusion, Funk und Weltmusik angesiedelt waren.

Das dritte Doppel (Tangram: zwei große Dreiecke) beginnt mit dem melancholische „Gold Digger“ und geht genauso verträumt mit dem 10-minütigen „Tesselate“ in die letzte Runde. Zum Schluss wird es bombastisch mit Orchester, Piano, Flavio De Giusti mit Gitarren-Schnipsel und Saxofon von Omri Abramov. Es gibt auf der CD-Version noch zwei Bonus-Titel, „Behind The Glass“ das nahtlos an „Tesselate“ ankoppelt und eine noch stärkere längere Version von „Second Chance“ mit einem musikalischen Rückblick zu „Circles“ und „The Ocean“.

Mich hat schon nach einem Durchlauf die Musik von „Tangram“ in den Bann gezogen. Alle Ingredienzien, die in so einem geschmackvollen Gericht von Philipp Nespital hineingehören, kann ich genauestens heraushören. Denn wo Smalltape drauf steht ist Nespital drin oder andersherum. Eigentlich verorte ich solche Musik nach Nordamerika, Skandinavien oder Japan. Es gibt hier im deutschsprachigen Raum kaum jemand, der sich 2025 an solche komplexe Musik herantraut, aber in Berlin gibt es jemand der, ungeachtet, was Kritiker sagen oder schreiben, unbeirrt und konsequent seinen künstlerischen Weg geht. Gut so Philipp Nespital, genauso weitermachen!!

Roland Koch, November 2025

   

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