Single Celled Organism - Percipio Ergo Sum
Timezone Records (2021)
(11 Stück, 61:56 Minuten Spielzeit)

Im Jahr 2017 veröffentlichte der Produzent, Komponist und Multiinstrumentalist Jens Lueck unter dem Projektnamen Single Celled Organism das Debütalbum „Splinter In The Eye“. Am 07. Mai 2021 folgt nun die Fortsetzung dieses Konzeptalbums. Neben Jens, der Schlagzeug, Keyboards, Gesang, Gitarren, Bass und Programmierung übernahm sind wieder einige Gäste mit von der Partie. Erneut dabei sind Sängerin Isgaard, Ingo Salzmann (Gitarren), Flötist Volker Kuinke (Eloy, Syrinx Call) und Katja Flintsch (Violine, Viola). Neu hinzugekommen sind Gitarrist Johnny Beck (Sylvan), Jürgen Osuchowski (Akustikgitarren) und Olek Bakki (Violincello).


Die Story schließt an das Debütalbum an. Die beiden Protagonisten haben den Untergang der Zivilisation und den Wiederaufbau überlebt und leiden - jeder für sich, ohne einander persönlich zu begegnen – unter der Vergangenheit ebenso wie unter der Gegenwart. Die „schöne, neue Welt“ missfällt beiden, jedoch auf unterschiedliche Weise. Im Zentrum steht das so genannte TV-Girl mit seiner Wahrnehmung der Zivilisation, der Menschen, der Welt schlechthin, denn all das ist für die Anfang 20-Jährige, die 16 Jahre als Versuchsobjekt in einem abgeschotteten Bunker (ohne Kenntnis von der Existenz der Außenwelt/anderer Menschen) verbracht hat, komplett neu.

Im Kern unterscheidet sie sich grundsätzlich von den anderen Menschen, die entweder meinungslose, uninteressierte Mitläufer sind oder maßgeblich durch das kartesianische Weltbild („cogito, ergo sum“ = „ich denke, also bin ich“) geprägt sind. Ihr Credo lautet Percipio Ergo Sum (= ich nehme wahr, also bin ich), denn sie versteht sich selbst als Teil eines Ganzen und definiert sich über Interaktion. Die Haltung beider Protagonisten ist durchaus als Kritik an der Menschheit im Zeitalter des Anthropozäns zu verstehen.

Das Album erscheint in einem vierseitigen Papersleeve und enthält ein achtseitiges Booklet in dem alle Texte enthalten sind. Die ausführliche Geschichte selbst ist im Innenteil des Papersleeves in englischer Sprache abgedruckt. Eine deutsche Version kann über die Internetseite der Band abgerufen werden.

Musikalisch führt Jens Lück den Stil von „Splinter In The Eye“ fort. Dieses Mal muss er nicht mit einem Prologue starten, sondern legt gleich mit dem ersten Song, „She’s Awake“ los. Ruhige Flächen ziehen zu einigen Pianoklängen durch den Raum, auf den Isgaard einen Text spricht. Die im Hintergrund zu hörenden medizinischen Geräte vermitteln den Eindruck, dass das TV Girl in dem Bunkerkrankenhaus aus ihrer Ohnmacht erwacht. Das ist sehr gut musikalisch umgesetzt. Nach nicht ganz anderthalb Minuten startet der Song dann richtig im Prog-/Artrock-Stil durch. Sowohl atmosphärisch wie auch druckvoll zeigt sich dieser erste Track und leitet perfekt in das neue Album.

Leicht beatlesk beginnt dann das nächste Stück „The Final Door“, das sich nahtlos an den Opener anschließt. Schnell kommen aber rockige Rhythmen und Gitarrenriffs auf. Ein wenig erinnert dieser Song an die Band Sylvan, was kein wunder ist, hat Jens doch einige Alben der norddeutschen Band produziert. Dieses Mal sorgt Johnny Beck (Sylvan) für ein tolles Gitarrensolo in dem er sich teilweise mit Jens an den Keyboards duelliert.

Etwas ruhiger und floydig lässt es Jens dann im Stück „I’d Like To See“ angehen. Stimmsamples eröffnen dann „Ride On A Ray“, in dem Ingo Salzmann ein herrliches Gitarrensolo beisteuert. Ein klasse Song. Sanft klingt das Album dann mit dem letzten Song „Inhale The Dark“ aus, bei dem Isgaard’s Stimme zart und zerbrechlich klingt.

Nicht nur die Story des Konzeptwerkes „Splinter In The Eye“ wird vom Vorgänger übernommen, auch die musikalische Klasse und sehr gute Produktion wird erneut geboten. Die Songs strotzen nur so vor herrlichen Melodien und tollen Soli. Jens Lück festigt mit diesem grandiosen Album seinen Platz in der oberen Riege der deutschen Artrock-/Progrock-Szene.

Stephan Schelle, April 2021

   

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