Single Celled Organism – Event Horizon
Timezone Records (2023)

(9 Stücke, 59:44 Minuten Spielzeit)

Single Celled Organism, das Artrockprojekt von Multiinstrumentalist, Komponist und Produzent Jens Lueck geht am 03.03.2023 in die dritte Runde. Auf dem dritten Album „Event Horizon“ wird die Geschichte von Dr. Abbott Barnaby und dem so genannten „TV-Girl“ (Tella) fortgeführt. Die Story der vorangegangenen Alben „Splinter In The Eye“ und „Percipio Ergo Sum“ werden damit nahtlos weitererzählt.


Die Story sowie die Songtexte sind im beigefügten, achtseitigen Booklet in englischer Sprache abgedruckt. Jens Lueck hat aber für die deutschen Fans auch wieder auf seiner Homepage www.singlecelledorganism.com/de/the-story/ die Texte in deutscher Sprache hinterlegt. Ein toller Service, wie ich finde.

Im Zentrum der Geschichte steht die Begegnung der beiden ungleichen Protagonisten, während derer Barnaby all seine Vorsätze über Bord wirft und Tella mit der Wahrheit konfrontiert – mit schwerwiegenden Folgen: Ihre mühsam erarbeitete innere Stabilität und ihre Hoffnung auf inneren Frieden werden mit einem Schlag zerstört und sie gerät völlig aus der Bahn.

Das Album thematisiert am Beispiel der beiden Hauptcharaktere den Ereignishorizont – nicht im physikalischen Sinn, sondern in Bezug auf die menschliche Psyche und die individuellen Vorstellungsgrenzen. In Zeiten von Klimakrise, Verschwörungstheorien und dem Angriff Russlands auf die Ukraine wird überdeutlich, wie wichtig es ist, die Grenzen des Denkens zu verschieben, die eigene Wohlfühlsphäre zu verlassen und das jeweilige Gegenüber sowie das globale Miteinander im Blick zu behalten.

Die CD-Version, die mir vorlag, erscheint im Jewelcase und enthält neun Stücke mit Laufzeiten von 2:57 bis 9:06 Minuten Spielzeit. Die Songs sind aber so geschickt aneinandergefügt, dass der Eindruck eines komplexen, gut 60minütigen Tracks entsteht. Das, sowie eingeschoben Samples wie Einschänken einer Flüssigkeit, Schritte, Klopfen an eine Tür, zersplitterndes Glas etc. unterstreichen den Konzeptcharakter und lassen vor dem inneren Auge beim Hören Bilder entstehen.

Musikalisch wird auf „Event Horizon“ wieder erstklassiger Artrock geboten der ein ums andere Mal an Bands wie Pink Floyd oder auch RPWL erinnert, trotzdem aber eine eigene Handschrift aufweist.

Schon die ersten Klänge vom 9:06minütigen Opener „Memories In A Box“ sorgen für ein wohliges Gefühl, denn Johnny Beck (Sylvan) spielt hier einen Gitarrenpart, der in der Schnittmenge von David Gilmour und Kalle Wallner wandelt. Jens bestreitet hier den Hauptgesang, während Isgaard sich immer wieder mit unter die Haut gehenden Gesangseinschüben einbringt. Jens spielt in diesem Stück Bass, Keyboards, Schlagzeug und einige E-Gitarrenparts. Im letzten Viertel wird es dann druckvoller, neoproggiger und auch eine retromäßige Orgelpassage findet sich in diesem Teil. Der Song mit seiner eingehenden Melodie, einigen Breaks und akzentuiert gespielten Instrumenten sorgt schon zu Beginn für Gänsehaut. Und diese Qualität zieht sich durch das komplette Album.

Das Einschänken eines Getränkes und ein Schlürfen sind der nahtlose Übergang zum nächsten Stück, dem 5:16minütigen „Changes Are Coming (The Companion)“. Der Song ist eine wunderbar einfühlsame Ballade. Johnny Beck hat hier ein weiteres wunderbares Gitarrensolo beigesteuert. Melodieführung und der zum Ende hin aufkommende Backgroundgesang von Adriana Glavas lassen „Dark Side Of The Moon“-Feeling aufkommen.

Rockiger zeigt sich dann das 7:43minütige „Thoughts“. Ein grandioses Song, bei dem Jens Lueck nicht nur das Stück am Schlagzeug vorantreibt, sondern daran auch einige Akzente setzt. Dieses Stück bereichert Ingo Salzmann an der Gitarre mit einem tollen Solo.

Mit dem Klopfen an eine Tür und Isgaards Stimme „Come in, it’s open“ startet dann das 7:14minütige „The Encounter“. In diesem Song übernimmt Isgaard einen größeren Gesangspart, den sie sich mit Jens Lueck teilt. Die beiden gehen hier in einen Dialog. Und dann kommt im Mittel wieder so ein Gänsehaut treibendes Gitarrensolo, bei dem Johnny Beck seine Gitarre förmlich zum Singen bringt.

Im fünfminütigen „Shifted“ verliert Tella den Boden unter den Füßen. Ihr komplettes Weltbild gerät aus den Fugen. Unterschiedlichste Gefühle verdichten sich zu unendlichem Schmerz. Isgaard setzt dies in dem melancholischen, sanften Song mit ihrer Stimme gefühlvoll um. Mit dem 2:57minütigen „Distorted Night“ befindet sich dann noch ein Instrumentaltrack auf dem Album, der sich sehr druckvoll zeigt. Eine wunderbare Akustikgitarrenpassage und perlende Keyboardklänge läuten dann das Titelstück ein, mit dem das Album endet. Der Gesang erinnert wieder ein wenig an RPWL. Im letzten Viertel wird es dann wieder sehr druckvoll und ekstatisch. Ein klasse Track, der mit der Dynamik und wechselnden Stimmungen spielt.

Jens Lueck führt auf „Event Horizon“ die Story von „Splinter In The Eye“ und „Percipio Ergo Sum“ weiter und bettet dies in eine klanglich herausragende Produktion. Musikalisch wandelt er mit seinem Projekt im Art-/Prog-/ und Neo-Progrock-Bereich. Ein einzelnes Stück hervorzuheben verbietet sich förmlich, da alle Stücke eine gleichmäßig hohe Qualität aufweisen. Das Werk gehört für mich zu den besten Alben, die diese Sparte zu bieten hat.

Stephan Schelle, Februar 2023

   

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