Phil Shoenfelt – Cassandra Lied
Sireena Records / Broken Silence (2019)

(15 Stück, 76:12 Minuten Spielzeit)

Der britische Sänger/Gitarrist/Songwriter/Produzent Phil Shoenfelt, der heute in Prag lebt, gründete 1981 in New York die Post-Punk-Band Khmer Rouge, die regelmäßig im legendären CBGB’s auftrat, sowie als Tour-Support spielte - in den USA für Künstler und Bands wie The Clash, Alan Vega, Nico, Billy Idol und The Gun Club, und in England Mitte der 1980er für The Fall. 


Phils Solo-Debut wurde von Tony Cohen produziert und von Mark E. Smith auf Cog Sinister veröffentlicht, Supports für Nick Cave & The Bad Seeds und Crime & The City Solution folgten Anfang der 1990er Jahre. 1996 gründete er Phil Shoenfelt & Southern Cross (Prag), sowie die Band Fatal Shore und später Dim Locator (beide mit Homebase Berlin). Bis heute hat er mehr als 30 CDs/LPs/EPs/Singles veröffentlicht, ist ebenfalls auf vielen Compilations von Indie-Labels (UK/DE/USA/CZ/E/GR) zu finden und ist Autor der Noir-Romane Junkie Love und Stripped.

Am 10.01.2020 erscheint das neueste Werk des britischen Künstlers unter dem Titel „Cassandra Lied“. Enthalten sind 14 Songs sowie als Bonustrack eine Coverversion von David Bowie’s „The Man Who Sold The World“. Neben dem Gesang hat Phil auch die meisten Gitarren-, Bass- und Keyboardparts eingespielt. Darüber hinaus haben aber auch zahlreiche weitere Musiker an der Produktion mitgewirkt.

Phils neues Soloalbum Cassandra Lied wurde zwischen August 2018 und November 2019 in Prag aufgenommen. An diesem Projekt beteiligten sich mehrere namhafte Musiker, darunter Co-Produzent und Bandkollege Chris Hughes (Drummer bei These Immortal Souls, Mick Harvey, Hugo Race, Alexander Hacke) und Lapsteel-Gitarrist Kristof Hahn von Swans.

Cassandra Lied ist eine einschneidende Abkehr von Phils früheren Werken und hat eine lyrische Tiefe, die mit der von Rockpoeten wie Leonard Cohen, Lou Reed, Patti Smith und Nick Cave vergleichbar ist. Dabei steht die Musik selbst dem vielschichtigen und atmosphärischen Ansatz von Künstlern wie Brian Eno, David Bowie und Tony Visconti näher als dem der traditionellen Rockmusik. Weitere Einflüsse auf diesem Album sind Post-Punk-Bands wie Joy Division aber auch Krautrock-Bands wie Neu und La Düsseldorf.

Das Album bietet eine große Bandbreite an musikalischen Stilen. So finden sich Einflüsse von 1950er Rockabilly, Folk, Rock, Punk und Psychedelia, Post-Punk, Indie und Progressive-Electronic in den einzelnen Songs wieder. Aus diesem Grund lässt sich das Album auch keinem bestimmten Stil oder einer Musikrichtung zuordnen.

Auch thematisch lässt sich das Album nicht eindeutig in eine Schublade einordnen. Mit mehrdeutigen Texten, weit entfernt vom Standard-Pop, wird hier nichts endgültig festgelegt oder öffentlich beurteilt; auch ein Song wie „Just A Man“ kann in vielerlei Hinsichten - von „Also sprach Zarathustra“ und dem Tibetanischen Totenbuch bis hin zu #MeToo und Black Mirror - interpretiert werden. Selbst der Titel „Cassandra Lied“ steckt voller Doppeldeutigkeit und lässt Raum für eine Vielzahl von Interpretationen.

Leicht krautig beginnt das Album im Song „Ghost Song“ mit Gitarren und Schlagwerk, die an Neu! & Co. erinnern. Darauf setzt Phil dann seinen Gesang, der einen Hauch von sanftem Billy Idol bei mir wachruft. Diese Kombination passt aber erstaunlich gut. Auch die zeitlupenartige Instrumentierung und der stoische Schlagzeugrhythmus in „I Hate Myself Today“ passen in die Krautrockphase und besitzen auch ein gewisses Bowie-Flair.

Der nächste Song „Shadowland“ ist dann mehr im poppigen Punk verortet und besitzt eine eingängige Melodieführung. Das Saxophon gibt dem Track noch einmal eine besondere Note. Leichten Psychedelia, Rock und US-Folk vermischt Phil dann in „Just A Man“, das auch durchaus ins Umfeld von Bands wie The Electric Family passen würde.

Treibenden Punkrock bietet dann „Resurrection Day“, während „Fly Away“ sich als atmosphärische Ballade zeigt. Eine Spur Rockabilly mischt Phil dann in den nächsten Song „Complicated“. Etwas kitschig kommt dann allerdings „Cathy Says“ daher, das stellenweise wie eine zeitlupenartige Version von Abba’s „Honey Honey“ wirkt. Diese Beispiele zeigen die Vielseitigkeit des Albums.

Der Bowie-Song „The Man Who Sold The World“, der als Bonus ans Ende der CD gestellt ist, bekommt durch Phil’s Gesang eine besondere Note, die aber bei Weitem nicht an das Original heranreicht.

Auch wenn sich das Album sehr vielschichtig zeigt, was die musikalische Ausrichtung betrifft, so ist es doch vor allem Phil’s Stimme, die das Album zusammenhält. Ein insgesamt gelungenes Werk des britischen Musikers.

Stephan Schelle, Januar 2020

   

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