ICU – Now And Here
Weltenblau (1995 / 2025)

(12 Stücke, 61:49 Minuten Spielzeit)

In den 1990'er Jahren war die deutsche Neo-Progressive Rockband ICU (gesprochen wie das englische: „I see you“) zwar recht bekannt, ist aber an mir total vorbei gegangen. Aufmerksam wurde ich erstmals im Jahr 2023 auf die Band, als ihr damaliger Gitarrist Thomas Glönkler sein drittes Soloalbum „Tiefenland“ veröffentlichte und ich mehr über ihn erfahren wollte.


Ende der 90'er Jahre hatte sich die Band nach drei Studioalben und zahlreichen Konzerten, von denen es auch einige Tonaufnahmen gibt, aufgelöst. Thomas Glönkler hält die Fahne der Band immer noch hoch und bietet die Alben als CDRs über Bandcamp in speziellen Editionen an. Das zweite Album „Here And Now“, das ursprünglich 1995 herausgebracht wurde, hat bei Glönkler immer wieder Anfragen von Progfans hervorgerufen, da es in der Szene doch sehr geschätzt wird. Es handelt sich um ein Konzeptalbum, das sich thematisch mit unserem menschlichen Dasein in Auseinandersetzung mit unserer inneren Natur beschäftigt.

Durch einen glücklichen Zufall wurde ein DAT mit dem Originalmix, der als verschollen galt, wieder gefunden. Thomas Glönkler hat das Album mit diesem Mix am 17.10.2025 neu auf CD herausgebracht. Die CD erscheint in einem vierseitigen Digipak mit einem ausfaltbaren, 16seitigen Booklet. Darüber hinaus ist im Innenteil des Digipak noch ein Download-Code beigefügt, mit dem man umfangreiches Material erhält (zwei komplette Livemitschnitte des Albums von 1995, den 1995 veröffentlichten Mix, 64 Minuten weitere Liveaufnahmen, Demos, Raritäten, Bildergalerie, Videofootage von den Aufnahmesessions des Albums aus November 1994).

Aufgenommen wurde das Album in der Besetzung Eva-Maria Baumann (Flöte, Backgroundgesang), Hartwig Dieterich (Bass), Thomas Glönkler (Gitarre), Ralf Großmann (Gesang, Rhythmusgitarre), Steffen Herrmann (Keyboards) und Joachim Lauber (Schlagzeug).

Die Geschichte hinter dem neuen Mix: November 1994: Der Original-Mix von „Now and Here“, den Toningenieur Angelo d'Angelico und die Band für die Veröffentlichung vorbereitet hatten, wurde nach heftigen internen Streitigkeiten verworfen. Stattdessen wurde in aller Eile ein alternativer Mix des Albums erstellt, der Anfang 1995 veröffentlicht wurde. Schnell wurde jedoch klar, dass die veröffentlichte Version von „Now and Here“ das Album nicht optimal wiedergab. Lange Zeit glaubte die Band, der Originalmix sei verloren. Es existierte nur noch eine Kopie auf einer Audiokassette, die jedoch von minderer Qualität und unvollständig war. Die originale digitale Kopie (DAT) war nicht mehr auffindbar und galt als verschollen. Dieses DAT tauchte unter glücklichen Umständen im Sommer 2024 wieder auf und war erstaunlicher-weise vollständig abspielbar. Pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum gelang es nun, den Originalmix im Studio zu überarbeiten und neu zu mastern. Er bietet einen anderen Ansatz und ist in vielerlei Hinsicht klanglich reicher und atmosphärischer als der Mix von 1995. Nach 30 Jahren erscheint das Album nun endlich in der von der Band ursprünglich vorgesehenen Fassung.

Sieben Stücke, die unter anderem in zwei bis drei Parts unterteilt sind, ergeben insgesamt ein Dutzend Stücke auf dem Album. Es beginnt mit „One Life“, das in drei Parts unterteilt ist. Der erste Part, „Spirit Of Nature“, beginnt mit aus dem Off kommenden Keyboardsounds. Dann setzen Gitarrenklänge ein und nach einer Minute kommt noch eine Flöte hinzu, was schon recht proggig wirkt und an 70're-Jahre-Bands erinnert, wie zum Beispiel Genesis & Co. Ein lieblicher und sehr melodiöser Beginn. Nach zweieinhalb Minuten startet Ralf Großmann seinen Gesangspart, der angenehm ins Ohr geht. Im letzten Drittel wird es dann gar hymnisch/symphonisch.

Nahtlos geht es in den zweiten Part „The Spirit Of Man“ über. Hier erinnert die Band an britische Neo-Prog-Acts. Spieluhr ähnliche Klänge gleiten nahtlos in den dritten Part „Magic Eyes“ über. Ein zunächst sanfter Song, der in der Mitte dann aber fast explodiert. Hier rockt die Band richtig ab.

Mit Orgelklängen geht es dann im Song „Another Life“ weiter. Das hat auch ein gewisses 70'er Jahre-Flair. Nach anderthalb Minuten ändert sich das Bild und es wird rockig. Eva-Maria Baumann bringt hier neben Ralf Großmann auch einige Gesangsparts hinzu, was ganz gut passt. In diesem Longplayer von mehr als elf Minuten kommt neben Prog vor allem auch melodischer Rock der 70'er Jahre mit ins Spiel. Auch erinnern einige Passagen an Bands wie Marillion.

Sanfte Gitarren und flächige Keyboardsounds eröffnen das Stück „The Same Old Way“, das mit einer sehr schönen Flötenmelodie eine idyllische Atmosphäre heraufbeschwört und sich zu einer herrlichen Ballade entwickelt. „Two Step Ahead Of Time“ ist in zwei Parts unterteilt. Es beginnt mit dem anderthalbminütigen Instrumental „F.M. 1916“ und geht mit „Dolphin's Ride“, das mit einem markanten Bassmotiv startet, weiter. Der Song zeigt sich als dynamischer Neo-Progsong, bei dem Ralf Großmanns Stimme teilweise verfremdet wurde und in den Hintergrund gemischt ist. Das ist gut gemachter, zeitloser Neo-Prog.

Auch „A Pair Of Hands“ beginnt mit markanten Basslicks in die sich Keyboardklänge mischen. Nach einigen Momenten nimmt das Stück an Dynamik und Fahrt auf und es entwickelt sich ein weiterer herrlicher Neo-Progsong.

„Challenge Of The Unknown“ ist in drei Parts unterteilt und beginnt mit „In The Dark“ recht mysteriös/sphärisch. Es dauert fast zwei Minuten bis sich dann eine Melodielinie herauskristallisiert und wenige Momente später ein an Marillion erinnernder Sound manifestiert. Die Band spielt hier mit der Dynamik und wechselt zwischen ruhigen und druckvollen Parts. Und auch einige Klänge im zweiten Part „Greater Unknown“ erinnern ein wenig an Marillion & Co., haben aber mehr Drive und Dynamik. Den dritten Part, das instrumentale „Now And Here“, eröffnet erneut der Bass. Aber schon nach wenigen Momenten kommt ein großes Soundvolumen auf, das sich dann mit sanften, proggigen Parts abwechselt. Einfach nur schön. Mit dem herrlichen „In Every Stranger's Eyes“ endet das Album dann. Das Stück wandelt ebenfalls zwischen atmosphärischen und rockig/dynamischen Parts. Zum Ende hin kommen noch Klänge auf, die an Walgesänge erinnern.

Die Wiederveröffentlichung von „Here And Now“ der deutschen Neo-Prog-Band ICU ist ein wahrer Glücksfall. Obwohl die Band damals in einigen Kreisen schon bekannt war, ist sie trotzdem ziemlich unter dem Radar geflogen. Jetzt kann man endlich dieses hervorragende Album, das sich nicht vor größeren Namen der Szene verstecken muss, endlich in bestem Soundgewand genießen. Ich bin mir sicher, dass viele Progfans diese Band für sich (wieder-)entdecken werden. Und das umfangreiche Bonusmaterial, das per Download zur Verfügung gestellt wird, ist zudem unschlagbar. Absolute Empfehlung.

Stephan Schelle, November 2025

   

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