Heroina - Heroina

Heroina - Heroina
Sireena Records / Broken Silence Distribution (1990 / 2011)
(11 Stücke, 67:34 Minuten Spielzeit)

Das deutsche Trio Heroina machte Anfang der 90’er Jahre des letzten Jahrhunderts eines der aufregendsten Alben. Die Musiker nahmen sich bekannte Titel von R.E.M., Patti Smith, Prince, Sex Pistols, Stranglers und Edith Piaf vor und interpretierten sie nach eigenen Vorstellungen. Dabei entstand eines der tanzbarsten Alben, das damals aus deutschen Landen frisch auf den Tisch kam. Indierock goes Dancefloor! Das Rezept ging auf: Kaum eine Tanzdiele, die nicht Heroina präsentierte, übrigens auch im Ausland.


Die markante Stimme des inzwischen verstorbenen Ex-Die Erde-Sängers Tobias Gruben harmonisierte aufs Beste mit den Soundeinfällen der beiden Mitstreiter M. Arfmann (Kastrierte Philosophen, Turtle Bay County Club) und Gün Yan Sen alias Günther Janssen (Donna Regina).

Gün Yan Sen erinnert sich:

An einem Sonntag im April des Jahres 1990 kamen Tobias Gruben und Matthias Arfmann aus Hamburg nach Köln, um Gesang zu einem Backing beizusteuern, das ich zum großen Teil schon vorbereitet hatte. Es ging um Patti Smiths „Dancing Barefoot“, Tobias sang die Haupt-, Matthias die zweite Stimme. Es wurde ein langer Tag mit Pausen beim Mexikaner in Deutz sowie im Rose Club und der Station. Irgendwann war auch ein Name für unser Projekt gefunden: ursprünglich „Heroine“ (aus dem „Dancin Barefoot“-Text), später Heroina.

Nachdem das erste Heroina-Stück so leicht und mühelos im Kasten war, fiel die Entscheidung über eine Fortsetzung des Projektes nicht schwer. Wir alle hatten unsere ‚eigentliche Hauptband’: Tobias Die Erde, Matthias Kastrierte Philosophen und bei mir ging es seinerzeit mit Donna Regina los. Wenn es überhaupt ein Programm für Heroina gab, dann dieses: ausschließlich Coverversionen, alles schnell aufnehmen, abwechselnde Besetzungen.

Die jeweils kurzen Aufnahme-Sessions verteilten sich über mehrere Monate. Verschiedene Gastmusiker wie Emilio „The Hidden Gentleman“ Winschetti, Katrin Achinger und Rüdiger Klose (beide Kastrierte Philosophen) kamen und gingen, der harte Heroina-Kern blieb dabei immer das Trio Arfmann/Gruben/Janssen. Im Herbst 1990 war alles fertig, Lothar Gärtner veröffentlichte das erste (und einzige) Heroina-Album auf seinem Label Strange Ways, das damals noch in den Kinderschuhen steckte. Zu Live-Konzerten kam es nie, Heroina blieb ein reines Studio-Projekt, eine Spielwiese im Verborgenen.

Ende Oktober 2011 erscheint das Album mit einigen Bonustiteln nun bei Sireena Records. Es enthält die sechs Coverversionen sowie ein eigenes Stück, die allesamt auf der Original-LP veröffentlicht waren. Darüber hinaus spendierte Sireena der CD-Version noch vier alternative Versionen von vier Albumtracks.

Los geht es mit dem Stranglers-Stück „Skin Deep“, das sich ziemlich nah am Original orientiert, allerdings einige psychedelische Klangfarben enthält. Vor allem die Gitarrenparts unterscheiden sich vom Original. Hier ist allerdings noch keine richtige Tanznummer zu erkennen.

Düster klingt R.E.M.’s Midtemponummer „The One I Love“, das in dieser Version wesentlich rockiger klingt und durch funkige Keyboardeinstreuungen eine neue Note bekommt. Ein neues Gewand hat „Submission“, das im Original von den Sex Pistols stammt, bekommen. Hier klingen Heroina eine Spur nach Talking Heads. Eine Nummer, die ich mir gut auf einer Tanzfläche vorstellen kann, auch wenn es eher von einem ruhigen Rhythmus getragen wird.

Das außergewöhnlichste Stück des Albums ist die Version von Edith Piaf’s „Dans Ma Rue“, das in seiner balladesken Art und in Französisch gesungen, wie ein Fremdkörper auf dem Album wirkt. Dazu bringt das Stück es auch noch auf eine Spielzeit von neun Minuten, für mich ist es damit zu langatmig ausgefallen.

Dagegen hat „Dancing Barefoot“ von Patti Smith einen ganz besonderen Reiz und stellt für mich das Highlight des Albums dar. Ein langes Intro leitet in diesen fesselnden Titel ein und dann geht es hypnotisch ab. Es folgt der Prince-Song „The Cross“, bei dem der Anfangsrhythmus an Peter Gabriel’s „Biko“ erinnert. Auch in diesem Stück wählen Heroina eine düstere Variante. Der Gesang erinnert eine Spur an Bands wie die Simple Minds. Eine gute Coverversion, wie ich finde. Der Song entwickelt sich über neun Minuten langsam aber stetig.

Das eigene Stück „Legalize Cross“ ist eigentlich keine richtige Eigenkomposition, führt sie doch den Song „The Cross“ als Instrumentalpart fort. Als Bonustitel liegen noch „The One I Love“ in der Swamprider Version, „Skin Deep“ in der Ship Version, „Dancing Barefoot“ in der Instrumentalversion und „The Cross“ in der Radio Version vor. Gerade die Alternativversionen sind es, die den Stücken noch mal mehr Klangfarbe und Dynamik verleihen.

Heroina hat interessante Coverversionen bekannter Stücke herausgebracht, die jetzt erstmals auf CD erscheinen. Die Qualität der einzelnen Stücke ist unterschiedlich, wobei mich das Album nicht wirklich vom Hocker reißt. Interessierte sollten Probehören und selber entscheiden, ob sie diese Versionen brauchen.

Stephan Schelle, September 2011

   

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