Hattler – The Kite

Hattler – The Kite
Bassball Recordings / Broken Silence (2013)
(13 Stücke, 61:21 Minuten Spielzeit)

Hellmut Hattler hat gerade erst seine Band Kraan in den Ruhestand versetzt, da legt er mt „The Kite“ sein neuestes Soloalbum vor. Es ist mittlerweile sein siebtes Solowerk und das sprüht nur so vor Ideenreichtum und groovt, dass die Schwarte kracht. Drei Jahre hat sich Hellmut Hattler, der seine Soloscheiben unter seinem Nachnamen veröffentlicht, Zeit für das neueste Werk gelassen. Die Zeit hat sich gelohnt, denn die 12 Stücke (das 13. ist ein Reprise des Openers) sprühen nur so vor Energie und üben eine ungeheure Faszination aus.


Neben all seinen Verpflichtungen (Kraan, Siyoun’Hell, Tab Two) steht doch sein Baby Hattler im Mittelpunkt seines musikalischen Schaffens, bereits seit dem Jahr 2000 ist dieses Projekt seine allerpersönlichste Spielwiese: Zusammen mit musikalisch gleichgesinnten Freigeistern wie Peter Musebrink, Fola Dada, Oli Rubow und Torsten de Winkel entstanden sechs international erfolgreiche Alben, in denen er gezielt an der Auflösung von Grenzen arbeitete – der Grenze zwischen Zeitlosigkeit und Hipness, zwischen analog und digital, zwischen Bassgroove und Melodiebogen.

Die einzelnen Stücke verbreiten eine schwerelose Entspanntheit, der man sich nicht entziehen kann. Dabei vermischt Hattler Popmusik mit Jazzelementen und einem unwiderstehlichen Groove, den er aus seinem Bass hervorzaubert. „Diese Platte fühlt sich für mich an wie ein Freispiel“, bestätigt Hellmut Hattler den Höreindruck. Nach über 40 erfolgreichen Jahren im Musikgeschäft muss er niemandem mehr etwas beweisen. „Ich habe alles weggelassen, was irgendwie ‚drüber’ ist, ich brauche kein Imponiergehabe mehr“, sagt er.

Und in der Tat hat man das Gefühl, als wäre die Musik auf „The Kite“ für Hattler wie eine Befreiung. Schon im Titelstück, das die CD eröffnet, brennt er ein Feuerwerk an Rhythmik und tollen Melodien ab, das allein den Kauf der Scheibe rechtfertigt. Sobald sein fetter Bass, der zwischen Rhythmusgerät und Melodiegeber fungiert im Opener startet, ist man hilflos in dieser hypnotischen Melange gefangen. Wenn dann noch Fola Dada mit ihrer einfühlsamen Stimme dem Song das richtige Popfeeling gibt, ist es um den Hörer geschehen. Für mich ist das der perfekte Popsong, der darüber hinaus intelligente Strukturen aufweist. Wenn das nicht abgeht, dann weiß ich es auch nicht.

Im folgenden Instrumental „Wider“ ändert sich dann die Stimmung in Richtung Jazzrock, ohne aber diesen herrlichen Groove zu unterbinden. Vor allem Joo Kraus’ Trompetenspiel verleiht dem Stück diese jazzige Note. Aber der Track bietet weit mehr, denn auch atmosphärische Keyboards sorgen für eine relaxte Stimmung. Im nächsten Song „Sliding In Slomo“ darf dann wieder Fola Dada ihre wunderbare Stimme einsetzen, die dieses Mal tiefer ausgeprägt ist. Auch dies ist ein klasse Popsong, der mich streckenweise an Schiller & Co. erinnert, allerdings wesentlich mehr organischen Rhythmus aufweist. Und mit „Ballhaus Rubeau“ gibt es dann wieder einen instrumentalen Jazztrack. In diesem gehen Hattler am Bass und Kraus an der Trompete sowie Torsten de Winkel an der Gitarre und Oli Rubow am Schlagzeug einen treibenden Dialog ein.

Wem bei dem Stück „C64“ die „Brotkiste“ (Homecomputer) aus den 80’er Jahren mit seinem markanten Computersound in den Sinn kommt, der liegt bei diesem Stil falsch. Bei „C64“ handelt es sich um einen wunderbaren Popsong bei dem mich Fola Dada’s Gesang sehr stark an Kim Sanders erinnert. Ein sehr einfühlsamer Song, der sich unter die Haut schiebt. Auch „Fine Days“ ist eine mitreißende Popnummer, die von Fola gesungen wird. Hier mischt Hattler Alternativerock (Gitarren) mit tollen Popmelodien.

„Nirvana Club“ besticht durch einen tanzbaren Rhythmus und wunderbar sanfte und atmosphärische Gitarrenmotive von Torsten de Winkel. Nach dem Song „Patient (Like The Water)“ kommt mit „Moola Bulla Jive“ ein recht vertrackter Instrumentaltitel, der vor allem durch seinen Rhythmus besticht. Hier kommt dann auch wieder eine leicht jazzige Note zum Vorschein. In „Tag 2“ ist es dann wieder die Trompete von Joo Kraus, die die Atmosphäre bestimmt. Nach dem sehr perkussiven „Vibecontrol“ (mit arabisch anmutenden Sounds) kommt ein kurzes Reprise vom Highlight des Albums, nämlich dem Titeltrack. Das Ende stellt dann „Naivety Suite“ dar, das eine sehr schöne Melodie mit perkussivem Rhythmus verbindet.

Mit „The Kite“ hat Hellmut Hattler ein Hammeralbum auf den Markt gebracht, dessen Faszination man sich nicht verschließen kann. Zahlreiche tolle Songs und herrlich rhythmisch-jazzige Instrumentals bilden den Kern dieses tollen Albums. Achtung Suchtgefahr!!!

Stephan Schelle, August 2013

   

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