Gabriel Agudo – Tales & Thunders
Eigenproduktion / https://gabrielagudomusic.com (2023)

(8 Stücke, 46:06 Minuten Spielzeit)

Im Jahr 2020 veröffentlichte der aus Argentinien stammende Sänger, Multiinstrumentalist, Songschreiber und Produzent Gabriel Agudo sein Debütalbum „New Life“. Damals noch nur unter seinem Vornamen Gabriel. Im Herbst 2023 ist der Nachfolger „Tales & Thunders“ erschienen. Im April 2023 legte er einen furiosen Gig beim Artrockfestival in Reichenbach hin, bei dem er auch schon sechs Stücke des neuen Albums im Gepäck hatte. Es hat aber noch einige Monate bis zur Fertigstellung des neuen Werkes gedauert.


Agudo hat neben dem Gesang auf dem Album fast alle Instrumente eingespielt. Als Gäste waren lediglich Dave Foster (Gitarrensolo beim Stück „Voyager“), Derek Sherinian (Keyboardsolo beim Stück „Nosferatu“) und Steve Rothery (Gitarrensolo, Bass und Schlagzeug beim Stück „Even To The Edge Of Doom“ beteiligt.

Gabriel Agudo hat im wahrsten Sinne des Wortes ein phantastisches Album eingespielt. Er sagt selbst darüber: Es geht um diese Momente, in denen das Leben zu einer Achterbahn der Fantasie und endlosen Möglichkeiten wird. Sie wissen, wovon ich spreche, oder? Diese acht Geschichten haben mich an Orte gebracht, die ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Jede Geschichte war eine Eintrittskarte zu einem epischen Abenteuer im weiten Reich meiner Fantasie. Vielen Dank also, dass Sie mich auf diesem wilden Ritt begleiten, bei dem wir im Donner tanzen werden. Es ist eine Reise zurück zu den Wundern der Kindheit, dem Geheimnis des Unbekannten, zurück in das Land der Fantasie, wo Träume fliegen und Sterne sich vor Staunen verneigen!

Es geht beim 5:07minütigen Opener „Voyager“ gleich mit einer Reise ins Weltall los, mit der Agudo eine Hommage an die Pioniere der Weltraumforschung erweist, mit besonderem Augenmerk auf Neil Armstrong, dem ersten Menschen, der den Mond betrat. Da hört man dann zu Beginn auch gleich die Stimme aus dem Kontrollzentrum, die für den Start der Rakete den Countdown zählt. Dann durchschneiden Gitarrensounds diese Stimmung. Sobald das Schlagwerk einsetzt entwickelt sich ein knackiger Rocksong, bei dem die Gitarren ein wenig an Led Zeppelin erinnern und Agudo den Song mit einer dreckigen Gesangsart, die teils verzerrt wurde, garniert. Das ist eine Spur rockiger als auf dem Debütalbum. Der Progressive Rock, in dem sich Agudo seit Jahren bewegt wird hier um rockigere Elemente erweitert. Und Dave Foster haut ein recht knackiges Gitarrensolo raus, bei dem er ziemlich an den Saiten abgeht.

Im zweiten Song, dem 4:52minütigen „A Last Chance“ hat Agudo die Auswirkungen der Covid 19-Pandemie mit ihren Herausforderungen und Nöten Einzelner wie auch von Gemeinschaften als Grundlage genutzt, um darüber nachzudenken, wie wir Menschen und das eigene aber auch vor allem das gemeinsame Leben besser machen können. Es ist ein Weckruf, unsere Prioritäten neu zu bewerten und die einfachen Freuden des Lebens zu schätzen, die Bedeutung von menschlicher Verbundenheit und Empathie, die Zerbrechlichkeit unserer Existenz und die Notwendigkeit von Einigkeit und Mitgefühl angesichts von Krisen mit der Chance auf positive Veränderungen und das Streben nach einer besseren Zukunft. Leider sehen die Zeiten aber derzeit nicht so rosig aus, denn die Krisen verschärfen sich auf verschiedenen Ebenen immer weiter. Agudo hat dies in einen Neo-Progsong verpackt, bei dem er gesanglich sowohl von der Tonlage als auch vom Gesangsstil an die Musik von Tim Bowness erinnert. Ein sanfter, sehr melodiöser Song, der in der Mitte durch Donner und einer gesprochenen Passage über die Covid 19-Pandemie unterbrochen wird.

Mit dem Song „Nosferatu“ kommt ein Song über den aus der Literatur und Film berühmten Vampir. Allerdings transformiert Agudo dies auf unsere eigenen Schwächen. Der Song befasst sich mit den dunklen Seiten des menschlichen Daseins, da der Vampir sich mit den Grenzen und Schwächen der Menschheit auseinandersetzt, die er hinter sich gelassen hat. Der Song fängt den Reiz und die Verlockung der Macht des Vampirs ein, der sich in der Nacht auf die Pirsch begibt und seine übernatürlichen Fähigkeiten nutzt, um seine Beute anzulocken. Düstere Klänge und ein Schrei, wie bei einem Horrorfilm, leiten in den 7:24minütigen Rocksong ein. Nach wenigen Momenten geht es Hardrock mäßig los mit treibendem Schlagwerk und kraftvollen Gitarrenklängen, um dann recht proggig weitergeführt zu werden. Den Bass spielt Agudo dabei sehr funky. Derek Sherinian hat ein irrwitziges Keyboardsolo eingespielt, bei dem er an den Tasten wie ein Derwisch agiert. Ein klasse Song.

Eine Hommage an das indigene Volk der Sioux Lakota hat Agudo dann in dem 5:36minütigen Song „The Way Of Shaman“ verpackt. Der Song widmet sich ihrer Kultur, ihrer Verbindung zur Erde und die mystische Welt der Schamanen. Er beleuchtet ihre tiefe Weisheit, ihre Ehrfurcht vor der Natur und ihren Kampf gegen die Ungerechtigkeiten, die ihnen widerfahren sind. Am Anfang kommt ein von einem Indigenen gesprochener Text, der das Ganze unterstützt. Agudo hat den Song dann auch mit Perkussion und Sounds ausgestattet, die an das indianische Stammesvolk erinnern. Sein Gesang wirkt dabei eine Spur wie Peter Gabriel. Im Mittelteil setzt Donner ein und es kommen gar rituelle Stammesgesänge auf, die dann in einen wilden, treibenden Part übergehen.

„Endless Night“ ist ein Lied, das den herzzerreißenden Moment einfängt, wenn man nach einer schmerzhaften Trennung sein Zuhause verlassen muss. Der Song zeichnet ein lebhaftes Bild davon, wie man ziellos durch die tiefe Nacht fährt, mit nur ein paar Habseligkeiten im Gepäck, während das Gewicht von Herzschmerz und Ungewissheit schwer auf der Seele lastet. Der Song ist eine kraftvolle Ode an den Schmerz einer verlorenen Liebe und die Reise der Heilung. In diesem 4:40minütigen Song wird es dann auch ein wenig melancholisch. Agudo nutzt dabei wieder die Art wie Tim Bowness zu singen, in dessen Stimme ja auch immer eine gewisse Melancholie schwebt. Auch die Trompetenklänge klingen nachdenklich sowie ein wenig traurig und jazzig.

Das 7:08minütige „Dark Father“ ist ein Instrumental. Es ist eine musikalische Hommage an einen der kultigsten Schurken der Galaxis. Es ist ein persönlicher Marsch, der dem Dunklen Lord selbst gewidmet ist und durch die Musik das Wesen dieses komplexen Charakters widerspiegelt - seinen inneren Kampf, seine tragische Reise vom Licht zur Dunkelheit und seine gebieterische Präsenz als Herr der Finsternis. Ich bin tief eingetaucht in Themen wie Macht, Erlösung und den ultimativen Kampf zwischen Gut und Böse. Als leidenschaftlicher Fan ist dies meine persönliche Hommage an diese rätselhafte und mächtige Figur. Als Star Wars-Fan hat Agudo sich der komplexen Figur des Darth Vader gewidmet und diese in Klänge gewandelt. Einiges klingt spacig, dann wieder düster, sogar sakral und Soundtrackartig und wird mehrfach von härteren Klängen, die eine Art Symphonicmetal darstellen, durchbrochen.

Wer kennt nicht die berühmte „Area 51“. In diesem Song hat sich Agudo dieser Geheimnisumwobenen Militärbasis gewidmet, in dem angeblich an einem Alien herum experimentiert wird. Der Song zeichnet ein lebendiges Bild von der Grausamkeit und Unmenschlichkeit, die in unserer Welt existieren können, und erforscht gleichzeitig die Komplexität von Macht, Angst und Vorurteilen. Als der Außerirdische entkommt, reflektiert er über die dunkelsten und großartigsten Seiten der Menschheit und den unbezwingbaren Geist des Überlebens. Eine fesselnde Erinnerung an unsere Fähigkeit zur Grausamkeit und zum Mitgefühl. Futuristische Sounds und ein Alarmsignal leiten in diesen Song ein. Dann kommt eine recht heftige Gitarren- und Keyboardpassage, die wie eine Attacke wirkt. Nach wenigen Momenten setzt aber der Gesang ein und transformiert das Ganze in einen treibenden Rocksong. Das Ganze wirkt dabei wie gehetzt und auf der Flucht.

Kein Geringerer als Marillion-Gitarrist Steve Rothery war an dem Endsong, dem 6:46minütigen „Even To The Edge Of Doom“ beteiligt, der diesen maßgeblich beeinflusst. Der Song wurde von Shakespeares ikonischer Geschichte von Romeo und Julia inspiriert. Er fängt die bittersüße Essenz wahrer Liebe ein, die sogar die Grenzen des Todes überschreitet. Er zeichnet ein lebendiges Bild von der Leidenschaft, Aufopferung und Hingabe, die Romeo und Julia verkörpern, und erforscht gleichzeitig die Komplexität von Schicksal, Bestimmung und der zerbrechlichen Natur der menschlichen Existenz. Der Song wird von einem Text aus dem Roman eingeleitet, der von Keyboardflächen untermalt wird. Dann kommen perlende Keyboardklänge auf und vermischen sich mit dem unverwechselbaren Gitarrenklängen Rothery’s die im weiteren Verlauf um treibendes Schlagzeug ergänzt werden. Der Song ist eines der Highlights des Albums und sorgt für Gänsehaut.

Gabriel Agudo legt nach seinem beeindruckenden Debüt „New Life“ aus dem Jahr 2020 mit „Tales & Thunders“ ein starkes Zweitwerk nach. Musikalisch geht er dabei noch abwechslungsreicher vor, als auf seinem Debüt.

Stephan Schelle, November 2023

   

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