Baltes And Zäyn – Blue Sunset
Echozone / BOB-MEDIA (2022)

(11 Stücke, 54:24 Minuten Spielzeit)

Der deutsche Elektronikmusiker Steve Baltes, der schon mit großen Namen wie Harald Großkopf (N-Tribe, Holo Syndrome), Manuel Göttsching (Ashra, Ash Ra Tempel), Stefan Erbe (Baltes&Erbe), Wolfgang Flür (Ex-Kraftwerk) und Axel Heilhecker (Sunya Beat) zusammengespielt hat, besitzt auch eine Electropop-Seite, die er mit Projekten wie Arctic Sunrise oder wie hier mit Baltes And Zäyn auslebt. Im Jahr 2022 erschien das gemeinsame Album „Blue Sunset“.


Auf der Bandcampseite ist folgendes zu dem Projekt dokumentiert: Vor einem Kunstwerk gibt es eine Vision. Im Fall des „Blue Sunset“-Albums ist es die gemeinsame Liebe zu Science-Fiction- und Horrorfilmen und -büchern, Anime und Kaiju-Ega, die die Phantasie der Musiker Steve Baltes und Lucian Zäyn in ihrer Kindheit beflügelte und inspirierte. Obwohl der eine in der Nähe von Köln aufwuchs und der andere in Manila, eine halbe Welt entfernt, waren beide von erstaunlich ähnlichen Themen fasziniert. Es waren Anime, Star Trek, Star Wars, Ultraman, Godzilla-Filme und die britischen Hammer Film Productions und Roger Corman Horrorfilme. Es ist keine Überraschung, dass sie später im Leben (mit „Bladerunner“ in der Hinterhand) eine Vorliebe für aktuellere kulturelle Phänomene wie Neon Genesis: Evangelion und die HBO-Serie Lovecraft Country entwickelten. Blue Sunset schwelgt und sonnt sich im Glanz dieser Werke, die als überschwängliche Fan-Fiction neu erfunden, erweitert und neu interpretiert werden.

Bei diesen Gemeinsamkeiten für Science Fiction und Anime ist es dann auch kein Wunder, dass das Coverartwork des sechsseitigen Papersleves im futuristischen Comicstil gehalten ist. Es wurde extra für diese Produktion gezeichnet. Und auch die Songs haben diese futuristischen und fantasymäßigen Themen als Grundlage.

„Blue Sunset“ ist ein Konzeptalbum, das die große Tradition von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ der Beatles oder „The Lamb lies down on Broadway“ von Genesis würdigt, ein schillerndes Panoptikum der olympischen Höhen und stygischen Tiefen der Menschlichkeit und Unmenschlichkeit des Menschen - eine Erkundung der menschlichen Natur; abwechselnd zärtlich, vernichtend, bitter, bissig satirisch, aber immer direkt aus dem Herzen.

Um die Inhalte noch deutlicher zu machen, hier die Bandcamp-Informationen zu den einzelnen Songs:

Die ersten beiden Stücke über Evangelion („Godshatter“, „Apocalyptech“) zeigen die persönliche, emotionale Apokalypse eines Mecha-Kriegerkindes, Shinji, vor dem Hintergrund des göttlichen und technologischen Armageddon, das von seinem Vater Gendo inszeniert wird, der von anfänglich edlen Bestrebungen angetrieben wird, die schließlich pervertiert werden.

Das zweite Stück („A Song of your Name“), ein zartes Loblied auf den wehmütig-schönen Animé Your Name über eine todesverachtende, zarte junge Liebe, sorgt für etwas Auflockerung. Evangelion kehrt mit „The Dark Design“ zurück, das eine mögliche ultimative Höllenlandschaft von Gendos apokalyptischer Apotheose der Menschheit aufgreift.

Danach gibt es etwas komische Erleichterung durch einen ausgelassenen, cinematischen, gitarrengetriebenen Song über Kaiju-Terror à la Pacific Rim, „Back! Zurück! Kaiju Attack!“ Die Dunkelheit vertieft sich mit „The Colour out of Space“, inspiriert von H.P. Lovecrafts fesselnder Geschichte, ein passender Auftakt zu den vier Lovecraft Country-Songs, von denen jeder einer hervorragend umgesetzten weiblichen Figur der Serie gewidmet ist und die Botschaft von Hoffnung, Kraft und Heldentum im Angesicht des kosmischen Horrors vermittelt, der für die Grausamkeit von Rassenvorurteilen und Ungerechtigkeit im wirklichen Leben steht. In Lovecraft Country wird das kosmische Grauen besiegt, und die Protagonisten bereisen das Multiversum - im wörtlichen und im übertragenen Sinne.

Dies vier Lieder „Orithyia Blue Glides along the Diamond Frontier“, „Wonder Woman“, „Dee, Christina and her Eternity of Firsts“ und „Ruby, Uninterrupted“ sind das Herzstück von Blue Sunset. Hippolyta und Diana (Dee) aus den ersten beiden Liedern sind Mutter und Tochter im Amerika der frühen fünfziger Jahre, benannt nach der Wonder Woman (Diana Prince) und der Amazonenkönigin (Hippolyta, ihre Mutter) aus den Pulp-Comics. Dee, eine begabte Zeichnerin, vergöttert ihre Mutter, die sie als raumfahrende Comic-Heldin Orithyia Blue neu erfindet. Hippolyta stößt auf eine magische Multiversum-Maschine, die es ihr ermöglicht, als echte Orithyia Blue durch die Kontinente zu reisen, und verlässt später ihre Abenteuer, um zu ihrer Tochter zurückzukehren. In ihrer Abwesenheit wird Dee von Rassisten verfolgt und buchstäblich magisch verflucht, denen sie sich furchtlos entgegenstellt, wie es kein Kind je tun sollte. Christina aus dem dritten Lied widersetzt sich ihrem weißen, sexistischen Vater, einem Zauberer, dessen Familie die Magie vor Generationen von ihren afrikanischen Sklaven gestohlen hat, indem sie selbst Magie lernt. Auf ihrer unerbittlichen Suche nach Unsterblichkeit lernt sie Ruby, eine afroamerikanische Bluessängerin, kennen und umwirbt sie, indem sie sich zunächst als der blonde und männliche William verkleidet. Christina und Ruby verlieben sich schließlich in ihr wahres Ich, während sie weiterhin Magie einsetzen, um Geschlecht und Rasse zu tauschen und sich als Frauen in einer sexistischen und bigotten Ära zu behaupten. Ruby wird von Christina getötet, als Ruby sie verrät, um ihre Familie zu retten. Dee, die sich von ihrem magischen Fluch erholt und einen mechanischen Arm erhalten hat, tötet Christina aus Rache für das Blutopfer ihrer Cousine.

Der letzte Song, „The Lights of Castle Frankenstein“, ein weiteres satirisches, augenzwinkerndes Stück, schließt das Album auf humoristische Weise ab.

Während Lucian Zäyn den Gesang beisteuerte, hat Steve Baltes die elektronischen Sounds erstellt. Darüber hinaus waren aber auch noch einige Gastmusiker/innen beteiligt. Musikalisch wandeln die Songs im Electropop. Zäyn singt die Songs mit einem Akzent in englischer Sprache und einigen japanischen Einwürfen. Im Opener kommt er damit der Stimme von Norbert Krühler nahe, der zahlreiche Shamall-Alben eingespielt hat.

Das sanfte „A Song Of Your Name“ ist eine schöne, eingängige Popnummer. Danach wird es im Song „The Dark Design“ wieder druckvoller und technoider. In „Back! Zurück! Kaiju Attack!“ kommen dann auch leichte Wave und Gothic-Sounds auf, die vor allem zum Ende hin in einem rockigen Gitarrensolo von Christos Kollias münden. „Orithyia Blue Glides along the Diamond Frontier“ wandelt auf futuristischen Spuren und klingt stellenweise nach Bands der Marke Alphaville.

„Blue Sunset“ des Musikprojektes von Baltes And Zäyn ist ein futuristisches Electropopalbum das die Genres Science Fiction, Horror, Comic und japanische Anime feiert. Eingängige Melodien treffen auf kraftvolle, manchmal auch technoide Beats. Die Gesangsstimme von Zäyn ist dabei etwas gewöhnungsbedürftig. Ansonsten ein gutes Album.

Stephan Schelle, Februar 2025

   

CD-Kritiken-Menue