Anyone's Daughter - Trio Tour (CD + DVD)
Tempus Fugit (2006)

In den späten 70ern und frühen 80ern waren sie, neben Grobschnitt, ein Flaggschiff anspruchsvoller Rockmusik aus deutschen Landen: „Anyone’s Daughter“. Auf höchstem künstlerischen Niveau strickten sie Epen um den sagenumwobenen Schönling „Adonis“, setzten den Zug der Hobbits nach Moria in eine druckvolle Rocknummer um und schufen mit der Adaption des Hesse-Märchens „Piktors Verwandlungen“ einen anerkannten Klassiker, der zum Jubeljahr des Dichters (2002) sogar wieder neu aufgelegt und aufgeführt wurde. Obwohl dieses Event, wie in Radiomitschnitten deutlich zu hören ist, begeistert gefeiert wurde, blieb der Reunion der Band eine Anerkennung auf breiterer Ebene leider verwehrt.

 
 

Die Studioalben „Danger World“ und „Wrong“, die mit „Nina“ sogar einen bescheidenen Radiohit enthielten, kamen bereits vor einigen Jahren auf den Markt. Sie präsentierten die Band in etwas modernerem Gewand und verändertem Line-up, boten aber gewohnt ausgefeilte Songs und Arrangements im typischen und doch weiterentwickelten „Anyone’s Daughter“-Stil. Leider fanden diese überzeugenden Comeback-Versuche und die Tourneen nicht die erwünschte und erhoffte Resonanz.

Andere Bands hätten an dieser Stelle vielleicht aufgegeben, aber „Anyone’s Daughter“ ist offensichtlich das Projekt, in das die Musiker ihr Herzblut einfließen lassen und das ihnen besonders wichtig ist. So touren die Töchter weiterhin und sind,  wie schon im vergangenen Jahrtausend, immer für eine Überraschung gut.

Im Jahr 2006 waren sie als Trio unterwegs und veröffentlichten nun eine limitierte Live-CD/DVD mit Highlights dieser ungewöhnlichen Konzerte. „Ungewöhnlich“ schon allein deshalb, weil man sich den diffizilen, komplexen Bandsound nur schwerlich in einer abgespeckten Dreierbesetzung vorstellen konnte: die üblichen „Daughter“-Songs nutzen alle Möglichkeiten einer progressiven Rockband von leisen und lyrischen Klängen bis zu gewaltigen, bombastischen Tönen. Da lag die skeptische Vermutung nahe, dass bei der „Trio Tour“ lediglich eine Auswahl einfach gestrickter Schmusesongs aus dem Repertoire der Gruppe in kuscheliger „unplugged“-Manier zu hören sein würde.


Anyone's Daughter live in Knittlingen 2005 - Foto: Jürgen Lang

Doch weit gefehlt: Das Trio Matthias Ulmer (keys), Uwe Karpa (git) und André Carswell (voc) präsentieren die Songs in neuem Gewand. Die Beschränkung auf drei Musiker klingt in keiner Minute unvollständig oder gar flach, sondern wie gewohnt sehr dicht. Ein Sound, von dem andere Bands selbst in voller Besetzung nur träumen. Tragendes Element der Songs ist die Magie von Matthias Ulmers Keyboards, die sowohl in begleitenden wie auch solistischen Passagen immer den richtigen Ton anstimmen und auch schon mal Szenenapplaus ernten. Das Gitarrenspiel von Uwe Karpa steht dem in nichts nach: beseelte Soli, knackige Riffs und Licks, größtenteils in bester „Acoustic“-Manier - hier brilliert ein Vollblutmusiker und trifft zielsicher immer die gewünschte Nuance. Das Zusammenspiel der beiden Instrumentalisten kann als „traumwandlerisch“ bezeichnet werden. Neben kürzeren kompakten Nummern wie „Nina“ machen sie auch vor komplexeren Liedern nicht halt, verwandeln ein irisches Traditional in ein atemberaubendes Instrumentalduell und wagen sich auch an die voluminösen Klanggebilde aufwendig gestrickter „Anyone’s Daughter“-Songs heran, trotz kammermusikalischer Kleinbesetzung in einer Weise, die man nur als tief beeindruckend bezeichnen kann. Natürlich darf da auch mal eine Drum-Machine zur Unterstützung ran, wie auch Uwe Karpa zur E-Gitarre greift.

Sänger André Carswell ist nicht nur die perfekte Ergänzung der beiden Solisten, seine ungeheuer wandlungsfähige Stimme verleiht den Kompositionen weiteren Glanz. Der in Deutschland lebende Vokalist beherrscht die Kunst, jedem Lied  zusätzliches Leben einzuhauchen, jede Stimmung gefühlvoll umzusetzen - ein Virtuose der Stimmbänder! Im Opener schmalzt er fast herzzerreißend wie Bing Crosby, wird dann aber von den typischen „Daughters“-Harmonien in die Gefilde der Rockmusik zurück geführt. In „Nina“ zeigt er ebenso eindrucksvoll, dass er auch Rocksongs mit „Eagles“-Touch singen kann. Seine Intonation verleiht den Stücken zusätzliches Volumen, ist weich und ausfüllend zugleich, kann shouten, gefühlvoll schmeicheln und, wenn’s sein muss, auch mal rappen.

Darüberhinaus bringt Carswell auch seinen ganzen Charme mit ein, was besonders bei den verschmitzten Ansagen zu einigen Songs auch auf der Scheibe hörbar wird. Augenzwinkernd weist er bei dem einzigen deutschsprachigen Lied im Programm, „Der Plan“ auf seinen „Ami-Dialekt“ hin.


Anyone's Daughter live in Knittlingen 2005 - Foto: Jürgen Lang

Diese hübschen Elemente vermitteln eine wunderbare Live-Atmosphäre, der organische Sound der Aufnahme und das homogene Zusammenspiel der drei männlichen „Töchter“ tun hier ihr Übriges.

Das Repertoire setzt sich größtenteils aus Stücken der beiden vorangegangenen Studio-CDs zusammen, aber auch Klassiker aus „Adonis“ und „Neue Sterne“ haben ihren Platz auf dieser eindrucksvollen CD.

Die DVD ist leider mit ca. 18 min. Spielzeit etwas kurz geraten. Dennoch vermittelt sie einen schönen Eindruck der Atmosphäre, welche bei den Trio Konzerten herrschte. Die Bilder sind schön geschnitten und zeigen, mit welcher Freude die Drei am Werk waren. 

Anspieltipp: „I’ll Never Walk This Road Again”, ”Helios Reloaded” und “Miscellaneous”. Dieses Werk ist nicht nur Hardcore-Fans von “Anyone’s Daughter” zu empfehlen, sondern jedem, dessen Herz für anspruchsvollen Progrock schlägt. Allerdings sollte sich der Musikliebhaber beeilen: die Auflage, der „Trio Tour“ ist strikt auf 2000 Exemplare limitiert. In einem schönen Pappschuber ist die CD/DVD nur über Mailorder zu beziehen.

Günther Klößinger, Januar 2007

 
   

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