Blanko
 

Anathema - We're Here Because We're Here
kscope (2010)
(10 Stücke, 58:02 Minuten Spielzeit)

Ganze sieben Jahre hat es gedauert, bis nach dem fantastischen Album „A Natural Disaster” endlich ein neues Studioalbum der Briten erscheinen konnte. Sieben Jahre voller Unwägbarkeiten, Unsicherheiten. Aber es ist der Band hoch anzurechnen, dass sie den Mut nicht verloren hat. Eine ganze Zeitlang waren sie sogar ohne Plattenvertrag und sind jetzt bei kscope (Porcupine Tree, Steven Wilson, The Pineapple Thieves) gelandet. Steven Wilson ist auch nicht so ganz unbeteiligt an der „Wiederauferstehung“ der Band: Anathema haben PT auf sehr vielen Konzerten supportet und das Album wurde von Wilson höchstpersönlich abgemischt. Er selbst bezeichnet das Album als „mit das Beste, an dem ich jemals mitwirken durfte“.


Um es kurz zu machen: Anathema machen dort weiter, wo sie mit „AND“ aufgehört haben: eingängige, aber nie langweilige Melodien, melancholische Texte, die aber zu keinem Zeitpunkt „runterziehen“, einfach schöne Lieder, manchmal dramatisch, oft aber auch verträumt, ja fast verzaubernd (in Ermangelung eines anderen Begriffs). Das mag für den einen oder die andere, die Anathema aus früheren Zeiten kannte, ernüchternd klingen. Ja, die Zeiten des Doom oder Black Metal sind vorbei. Aber eben nicht erst seit diesem Album. Wer sich also auf die neuen alten Anathema einlassen und in den Melodien verlieren kann, wird begeistert sein.

Mein erster Eindruck war: „We're Here Because We're Here” weiß bereits beim ersten Hören zu begeistern und verlangt nach immer weiteren Durchläufen. Der Opener „Thin Air“ kommt zunächst träumerisch-sphärisch daher und entwickelt sich zu einem schweißtreibenden, schnellen Rockstück, das ein wenig an „Pulled Under At 2000 Metres A Second“ erinnert. „Summernight Horizon“ beginnt mit einem dramatischen Piano-Lauf und baut eine schier unerträgliche Spannung auf, die nur ein wenig zurückgenommen wird und letztlich das ganze Stück dominiert.

Mit „Dreaming Light“ wird dann eine Phase der sehr ruhigen Töne eingeleitet. Vincent Cavanagh singt hier betörend schön mit seiner fragilen Stimme, begleitet vom London Session Orchestra – ein Traum von einer Ballade! Eine unwiderstehliche Hookline vom Piano eröffnet danach „Everything“. Diesen Song gab es bereits vor mehr als zwei Jahren zum Download als Appetithappen für das neue Album. Und offensichtlich war er bereits damals fast perfekt produziert. Sehr viele Unterschiede zum Demo konnte ich jedenfalls nicht feststellen. Obwohl nur die Hookline immer wieder leicht verändert wird, ist dieses Stück aus meiner Sicht ein absolutes Highlight unter vielen starken Songs – Anspieltipp!

Auch „Angels Walk Among Us“ gab es bereits vorab zu hören. Es bildet die musikalische Brücke zu den beiden vorangegangen Werken Anathemas. Ein Song, der traurig-melancholisch beginnt und sich dann immer weiter steigert. Als Zwischenspiel folgt „Presence“, der immer noch die Melodie des vorangegangenen Songs hat, aber aus einem gesprochenen Text besteht (der im Übrigen sehr interessant ist!). Mit „A Simple Mistake“ folgt der längste Song des Albums (8:10). Auch dieser beginnt zunächst fast minimalistisch, nimmt sich immer wieder zurück, ehe ein gegenlaufender Gesang für einen spannenden Kontrapunkt sorgt und dann in der zweiten Hälfte ein weiterer Spannungsbogen aufgebaut wird, der ziemlich hart aufgelöst wird.

„Get Off, Get Out“ bricht dann mit den vorherigen Songs. Dieses Stück wirkt eher wie ein Fremdkörper im Album und scheint recht jung zu sein. Langweilig ist er dennoch nicht, eher eine Art „Hallo wach“-Song. Und er erinnert wirklich sehr an die jüngeren Porcupine Tree Sachen. Was bei dem Einfluss von Steven Wilson nun nicht allzu sehr verwundern sollte. Der Übergang in den vorletzten Song, „Universal“, ist nicht gerade fließend, der Stimmungswechsel ist enorm. Ein gehauchter Text, wiederum untermalt vom London Session Orchestra, leitet den Song ein. Danach folgt ein musikalisches Bekenntnis, das den Titel erklärt, dass aber nicht Gegenstand dieser ohnehin schon viel zu langen Rezension werden soll. Lest und genießt diesen Text einfach selbst! „Hindsight“ schließt ein in jeder Hinsicht bemerkenswertes Album ab. Ja, „Hindsight“ war auch der Titel des 2008 erschienenen semi-akustischen Albums – was dieser Song damit eventuell zu tun haben könnte, solltet ihr mal besser selbst herausfinden.

Die Konzerte von Anathema sind übrigens lange nicht so durchgehend melodisch wie die neueren Alben es vermuten lassen. Die Band verkennt ihre Wurzeln nie, und jedes Konzert ist eine Reise durch die Schaffensperioden dieser Ausnahmeband. Dazu kommen die Cavanagh-Brüder noch unglaublich authentisch und sympathisch rüber. Ja, ich gebe zu, ich bin Fan von Anathema. Es hat aber nicht viel gebraucht, um das zu werden, die Jungs sind einfach unglaublich klasse!

Zur Ausstattung: Neben dem (bei neuen Alben eigentlich schon selbstverständlichen) CD-Text wartet die Limited Edition mit zwei  5.1 Mixes und zwei Stereo-Mixes des gesamten Albums auf. Die Aufmachung ist zu dem sehr schön: das Booklet ist in die Mitte der beiden CD Cases geheftet. Die CD/DVD-Ausgabe ist für nur wenig mehr (drei Euro) erhältlich und für alle Audiophilen ein Pflichtkauf!

Hubertus Becker, Juni 2010

   

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