Grobschnitt - Grobschnitt-Story Vol. 6
(2006)

Gerade rechtzeitig zum 8. Grobschnitt-Fantreffen in Betzdorf hat Eroc die „Grobschnitt Story Vol. 6“ fertig gestellt und hatte sie an diesem Tag, dem 20.05.2006, pressfrisch im Gepäck. Nun, was soll denn da noch kommen, was man bisher noch nicht kannte. Eine ganze Menge muss ich gestehen. Und ich frage mich schon lange, wo Eroc diese Schätze immer wieder ausgräbt. Sein Archiv an Mitschnitten scheint grenzenlos zu sein. Auf der neuesten CD machen wir eine Zeitreise von 1971 bis ins Jahr 1982, kurz vor dem Ausscheiden von Eroc. Und klanglich hat er sich noch mal wieder übertroffen, aber fangen wir vorne an.
 

 
 


CD 1 ist den Anfangstagen der Band gewidmet, denn sie bietet acht Tracks aus den Jahren 1971 bis 1973. Die CD beginnt mit einer Demo-Version von „Wonderful Music“, das auf dem Debütalbum erstmals erschien und mit seinen Flötenklängen ein wenig an Jethro Tull erinnert. Als sechsten Track hat Eroc dann noch einen Alternativen Mix des Stückes auf die CD gebannt, der durch einen elektronischeren und spacigen Sound aufwartet. Als zweites kommt „About My Town“ in einer mehr als zwölfminütigen Version. Das Stück kennt man bereits von dem Album „Eroc 3“. Wurde es dort nur angerissen, entfaltet es auf der Story seine ganze Bandbreite. Ein tolles Stück, das Elemente aus Psychedelic, Prog, Rock und Blues aufweist. Bei diesem Stück wird sehr deutlich, welche Kraft die beiden Schlagzeuger Eroc und Felix dem Sound verliehen. Das hat schon was, das mich zeitweise an Santana erinnert. Vom Klang her hat Eroc das Stück so gut aufbereitet, dass man das Gefühl hat, man säße mitten zwischen den Musikern. Dann kommt mit „The Days Of Us“ ein bisher unveröffentlichter Titel, der sich qualitativ nahtlos an den Vorgänger anschließt. Hier haben die Groben soundmäßig etwas von den frühen Pink Floyd (etwas zur „Meddle“-Zeit).

Dann kommt mit „Die Sinfonie“ eine 20minütige Version von „Symphony“, das wir ebenfalls vom Debütalbum kennen. Aber diese Version, die im Proberaum (THG Aula in Hagen) mitgeschnitten wurde, hat es wirklich in sich. Langsam und bedächtig beginnt das Stück um dann in einen wahren Hasardeurritt zu münden. Stakkatoartig spielen Eroc und Felix ihr Schlagwerk. Das geht wie Maschinengewehrsalven auf den Hörer nieder, einfach famos. Auch das im Mittelteil enthaltene Schlagzeugsolo lässt einem fast den Atem stocken, auf das dann eine sehr ruhige Passage folgt, in der die Gitarren das Sagen haben. Kann es denn da noch eine Steigerung geben? Ja, es kann, denn mit „Die Maschine“ kommt ein absolutes Highlight dieser CD. Ihr kennt „Die Maschine“ nicht? Doch, denn das Stück ist auf dem Debütalbum als „Am Ölberg“ des Stückes „Sun Trip“ erschienen. Nur in dieser live aufgenommenen Version hat man es noch nie gehört, Grobschnitt spielen es an diesem Tag etwas schneller und druckvoller als auf dem Studioalbum. Lupo spricht einen abgewandelten Text, und dabei johlt und kreischt er, als wenn er total den Verstand verloren hätte. Diesen 13 Minuten kann man sich wahrlich nicht entziehen. Auch hier sind deutlich die beiden Schlagzeuge rauszuhören. Der Hasardeurritt von „Die Sinfonie“ findet hier noch mal eine Steigerung, einfach genial.

Als ich die beiden Stücke „Die Sinfonie“ und „Die Maschine“ zum ersten Mal hörte, war ich gerade vom Betzdorf-Treffen auf dem Weg nach Hause. Diese Stücke faszinierten mich dermaßen und sorgten bei mir für anhaltende Gänsehaut, dass ich mich zwingen musste auf den Verkehr zu achten. Wow, was für Aufnahmen!!!!! Allein für diese beiden Stücke lohnt sich die Anschaffung der CD.

Die Beduinen werden auf „Sahara“ losgelassen. Hier zeigt uns Eroc die Urversion des Stückes, bei dem die Eingangsworte fehlen und der Gesang ist teils eine ganze Spur tiefer gesungen, als auf „Ballermann“. Diese Version klingt insgesamt ein wenig roher als die auf „Ballermann“ enthaltene. Dann beschließt „Das unbekannte Superstück“ aus dem Jahr 1973 die erste CD. Wir hören ein Rauschen und im Hintergrund klingt ganz leise eine Melodie heraus. Das soll ein Superstück sein? Ich komme mir erstmal etwas veralbert vor, doch nach wenigen Augenblicken ertönt Erocs Stimme und er erklärt, dass dies ein Beispiel für die Beschaffenheit der ursprünglichen Aufnahme war, als Eroc sie wieder gefunden hat. Das Ergebnis seiner intensiven Arbeit folgt dann in den nächsten zehn Minuten. Und wie ihr euch denken könnt, haben die es absolut in sich. Dieses Stück, das 1973 entstanden und bei einigen Konzerten gespielt wurde, ist nur einmal aufgenommen worden. Eroc hat dann das Band irrtümlich gelöscht. Nur unter Verwendung heutiger modernster Technik und der Tatsache, dass das Band nicht wieder überspielt wurde, ist es zu verdanken, dass es jetzt das Licht des CD-Lasers erblickt. Santana-ähnlich beginnt dieser famose Track, der leider nur in Mono wieder hergestellt werden konnte, aber das tut dem Feeling keinen Abbruch. Herrlich die funkigen Gitarren oder die Keyboards von Mist. Eine Perle, die Eroc da gehoben hat.

Kommen wir zu CD 2, die mit „Wade In The Water“ und „Steppin’ Stones“ zwei bisher unveröffentlichte Stücke aus dem Jahr 1974 bietet. Auch diese beiden Stücke zeigen deutlich, dass Grobschnitt ihre besten Jahre in den 70’ern hatte. Da wird ordentlich gejammt und auch mal an der Gitarre rumgefrickelt. Die CD trägt ja den Untertitel „Rockpommel’s Land and elswhere …“. Also muss nun die restaurierte Version vom wohl besten Album der Band kommen. Mit „Textierung RPL“ gibt uns Erke einen Einblick in die musikalische Entwicklung und Aufnahme des Albums. Auf ca. 2,5 Minuten hören wir Wildschwein und Eroc im Studio. Der Text steht noch nicht und Willi singt nur „Nana …“. Man erfährt, dass die Band ihr größtes Augenmerk auf die Musikalität legte. Dann folgt mit „Ernie’s Reise“, „Severity Town“ und „Anywhere“ die erste Hälfte des Albums. Leider fehlt das Titelstück, die Erklärung liefert Eroc aber ausführlich im Booklet. Das zweite Band ist bei Conny Plank in Verwahrung geblieben und in dem Vermächtnis, das unzählige Bänder beinhaltet quasi untergegangen. Aber diese Remixe der 77’er Aufnahmen haben ein Klangvolumen und eine Atmosphäre, die einen die Schuhe auszieht.

„First Day Of May“ aus dem Jahr 1979 folgt als nächstes. Dieser Titel stellt eine Vorversion von „May Day“, das auf dem Album „Merry Go Round“ erschienen ist, dar. Diese Instrumentalversion klingt aber noch roher und ungeschliffener. Und noch eine sehr schöne Demo-Version, dieses Mal von „Space Rider“, das von der LP „Illegal“ stammt, bekommen wir hier rein Instrumental zu hören. Allerdings setzen Wildschwein und Toni schon ihre Stimme ein, allerdings noch ohne Text. Das Ganze hat, durch Gesang und Akustikgitarre, was von einer Unplugged-Session. „Überfall“ aus dem Jahr 1980 beginnt mit Heavy-Metal-Riffs. ich kann mich nicht erinnern, dass Grobschnitt schon mal so hart geklungen haben. Dazu singt sich Toni die Seele aus dem Laib. Tolles Teil.

Kommen wir nun zu meiner Ausstiegs-LP „Razzia“. Damals, im Jahr 1982, konnte ich mit dem NDW-Stil, der Einzug in die Grobschnitt-Musik hielt, wenig anfangen. „Wir wollen sterben“ liegt auf dieser CD in der Urversion vor. Durch den ausschließlichen Einsatz des Drumcomputers, zu dem gesungen wird, klingt die Aufnahme sehr eintönig und deprimierend. Mit „Lass’ doch endlich die Sau raus“ aus der „Razzia“-Phase endet dieser unglaubliche Teil der Grobschnitt-Story.

Das 16seitige Booklet glänzt wieder durch reichlich Fotos und vor allem durch die sehr informativen Texte von Eroc, die einen Einblick in die Entstehung der Stücke und die Restauration geben. Diese CD gehört neben „Illegal Live“ zu den besten Veröffentlichungen der Serie.

Fazit: Eroc hat noch mal eine Menge an Superstücken aus seinem Archiv gekramt. Es wird zum Glück mit dieser Veröffentlichung nicht langweilig den Groben zuzuhören. Anhand dieser Beispiele sollten die anderen Musiker auch ihre „Giftschränke“ öffnen und Eroc Alternativ-Versionen, die in den Übungsräumen mitgeschnitten wurden, zwecks Restauration zur Verfügung stellen.

Nach dieser Veröffentlichung frage ich mich, was kann da denn noch kommen?

Stephan Schelle, Mai 2006

 
   

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