Thorsten Quaeschning - Autokino Session / Ballhaus Session
 

Thorsten Quaeschning - Autokino Session / Ballhaus Session
Protanopia (2020)

(2 Stücke, 76:26 Minuten Spielzeit)

Ein weiteres Album mit Livemusik von Thorsten Quaeschning (Tangerine Dream, Picture Palace Music) wurde in 2020 unter dem Titel „Autokino Session / Ballhaus Session“ auf Thorstens Bandcamp-Seite und auch in physischer Form auf CD veröffentlicht. Die mir vorliegende CD, die in einem vierseitigen Papersleeve veröffentlicht wurde, beinhaltet zwei Konzertmitschnitte. Die Vorder- und Rückseite zeigen jeweils ein eigenes Cover für die beiden Sessions.

Die 38:04minütige „Autokino Session“ entstand bei einem Liveauftritt am 06.06.2020 im bayrischen Ingolstadt im Rahmen des Bayern 3 Auto-Live-Sommers. Der Mitschnitt der „Ballhaus Session“, der sich ebenfalls auf der CD befindet, wurde am 26.01.2019 beim „Edgar Froese Memorial Day“, der im Berliner Ballhaus Rixdorf stattfand, aufgenommen. Die „Ballhaus Session“ hat eine Spielzeit von 38:25 Minuten. In beiden Fällen trat Thorsten Solo an Synthesizer, E-Gitarre und Piano auf. Die beiden Sessions sind in jeweils neun Parts unterteilt, die einzeln auf der CD angewählt werden können. Ich empfehle die Sessions als einen ganzen Track durchzuhören.

 

 


Die CD beginnt allerdings zunächst mit der „Ballhaus Session“ zu Ehren von Edgar Froese. Mit einer dumpfen Fläche beginnt die Session, auf die sich nach wenigen Momenten herrliche, flächige Harmonien ausbreiten. Das Ganze wirkt sehr beruhigend. Nach einigen Momenten kommen dann Pianotupfer auf, die diese relaxte Stimmung unterstützen. Diese leicht melancholische Stimmung sorgt aber für eine wohlige Atmosphäre und hat etwas von einer liebevollen Erinnerung.

Im zweiten Part kommen dann zarte Memotron-Harmonien auf, die von einer druckvollen Fläche nach gut 20 Sekunden durchbrochen wird. Während diese im Hintergrund weiter schwebt, spielt Thorsten einige Solostimmen auf dem Memotron darüber. Das hat etwas hymnisches, Soundtrack artiges. Danach werden wieder leisere Töne angeschlagen. Im dritten Part kommen dann helle, leicht flirrende Synthieklangfarben auf. Beim Hören habe ich das Gefühl zu schweben und durch eine Wolkendecke in den strahlenden Himmel durchzubrechen. Nach einigen Momenten kommen dann Rhythmusmuster auf und verleihen der Musik mehr Dynamik. Nun entspinnt sich ein faszinierender Track in dem die Memotronsounds direkt ins Herz gehen. Durch den forcierten Sequenzerrhythmus bekommt der Track dann weitere fesselnde, hypnotische Elemente. Das ist einfach perfekt gemacht. Thorsten nimmt stilistische Merkmale der frühen Tangerine Dream auf und formt sie so um, dass daraus etwas ganz Eigenes und Neues entsteht. Durch Variationen in der Rhythmik und den Harmonien ist diese Session sehr abwechslungsreich und fesselt über die komplette Länge. Eine gelungene Hommage an den großen Pionier der elektronischen Musik.

Ab Track zehn geht es dann mit der „Autokino Session“ weiter. Diese beginnt mit tollen Harmoniebögen, deren Sound so luftig/leicht durch den Raum schwebt, dass sofort wieder Gänsehaut erzeugt wird. In diese relaxte Stimmung spielt Thorsten dann einen sehr schönen Pianopart, der nach wenigen Momenten von einer unter die Haut gehenden Memotron-Harmonie umspült wird. Nach nicht ganz drei Minuten kommt dann der Sequenzer mit ins Spiel und der Sound ist jetzt in den 90’er bzw. 00-Jahren von Tangerine Dream sowie den atmosphärischen Tracks von Thorstens Projekt Picture Palace Music angesiedelt. Traumhafte Harmonie- und Melodielinien lassen die Gedanken fliegen. Thorsten entwickelt die Musik der Session immer weiter fort, so kommt im vierten Part der Session (Track 13 der CD) ein treibender, tribalartiger Beat auf, bei dem nun das Tangerine Dream-Gefilde verlassen wird. Im nächsten Part kommen dann noch Synthiechöre hinzu. Wow, was für ein Sound. Es gibt nicht einen schwachen Moment in dieser Session.

Thorsten Quaeschning führt seit dem Tod von Edgar Froese die Geschicke von Tangerine Dream. Wer seine neuen Kompositionen und Improvisationen kennt/hört, der kann nur zu dem Schluss kommen, dass es derzeit keinen anderen Elektronikmusiker gibt, der Edgar’s Qualitäten so gekonnt und in eigenständiger Art und Weise fortführt. Das zeigt sich auch auf dem Album „Autokino Session / Ballhaus Session“ sehr deutlich. Thorsten nimmt stilistische Merkmale der frühen Tangerine Dream auf und formt sie so um, dass daraus etwas ganz Eigenes und Neues entsteht. Das gehört – wie auch die Tangerine Dream Sessions der aktuellen TD-Besetzung - zum Besten, was derzeit in der Elektronikmusik auf dem Markt ist.

Stephan Schelle, März 2021

 
   

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