Steve Dinsdale – On The Other Side
 

Steve Dinsdale – On The Other Side
A Northern Echoe Effort (2010)
(8 Stücke, 47:46 Minuten Spielzeit)

Steve Dinsdale ist den Freunden der Elektronikmusik ein Begriff, hört er doch der bekannten britischen Elektronikformation Radio Massacre International (kurz RMI) an. Nur zum Spaß hat er seit einigen Jahren Solo Material eingespielt, dass ihm einen Auftritt beim 2012’er E-Day im niederländischen Oirschot einbrachte. Im Jahr 2010 ist mit „On The Other Side“ sein zweites  Solowerk erschienen, das ich am Rande des E-Day von ihm erhielt.

 


Spezialisieren sich RMI auf’s Improvisieren und liegen damit unter anderem in der Tradition der Frühphase von Tangerine Dream, so hat Steve einen völlig anderen Ansatz. Seine Stücke sind zum einen viel kürzer als die von RMI und zum anderen hat er sie strukturiert und durchkomponiert. Und trotzdem kann er seine Wurzeln nicht ganz verleugnen, denn ab und an kommen mal Klänge in seinen Solostücken zum Vorschein, die dann doch die Nähe zu RMI’s Musik aufzeigen.

Insgesamt acht Stücke enthält die CD, deren letzte vier Tracks vier Parts von „On The Other Side“ darstellen. Los geht es aber erst einmal mit „Egyptian Reggae“. Ein komischer Titel für diesen Track? Mag sein, aber der Track ist schon recht außergewöhnlich. Schon die Rhythmusstruktur, die Steve teilweise auf dem Schlagzeug eingespielt hat sowie der psychedelisch wirkende Sound lassen einen staunend zurück. Mit Reggae hat das nicht wirklich was zu tun, aber abgedreht und faszinierend ist das knapp dreiminütige Stück allemal.

Auch der nächste Track „Can Do“ hat eine ziemlich psychedelische Note und kommt stilistisch durchaus in die Nähe von Krautrock der Marke Can, wenn es auch nicht ganz so abgedreht ist wie die Musik der deutschen Band in den 70’ern. Es liegt Nahe dass Steve den Titel in Anspielung an die große Krautrockband gewählt hat. Wie ein Fiebertraum wirkt „Pandora“, das recht monoton dahinweht. Harmonisch ist das schon, aber von Melodie keine Spur, dazu ist es zu avantgardistisch.

Hypnotisch breitet sich „Consequences“ aus. Xylophonartige Sounds bestimmen den Rhythmus, auf denen Steve Harmonien, ja fast schon Melodien platziert. Der Track ist indisch angehaucht, was durch Sounds hervorgerufen wird, die nach Tablas klingen.

Der zweite Teil des Album besteht aus dem vierteiligen „In The Other Side“, dessen Stücke nahtlos ineinander übergehen. Der erste Part ist mit zehn Minuten der längste Track des Albums. Nostalgische Sounds, die nach Orgel klingen, vermengen sich mit modernen Sequenzermustern. Hier kommt dann zum ersten Mal Elektronikmusik der traditionellen Art zum Vorschein, die auch ein wenig an RMI & Co. erinnert. Bei diesem Track geht Steve nicht so radikal und avantgardistisch wie bei den ersten vier Stücken zu Werke.

„Part II“ versprüht dann eine ganz andere Stimmung. Durch die Tonwiederholungen klingt es monoton und doch auch wieder eher nach Theater- oder Ballettmusik. Im Gesamtkontext hat es was von einer Überbrückung. Bei „Part III“ habe ich das Gefühl in einer Grotte zu stehen, vor mir ein unterirdischer See, in den sich Wassertropfen ergießen. Darauf setzt Steve zarte Synthieklänge, die wie Klangtupfer wirken. Sie werden von Flächen begleitet. Ich schreit gemächlich durch die Grotte weiter ins Erdinnere. Beendet wird das Ganze dann mit „Part IV“, das schwebend und stoisch wirkt. An einigen Stellen wird dies durch liebliche Synthieklänge unterbrochen. Ich habe das Gefühl, als würde ich den Weg durch das Erdinnere fortsetzen.

Steve Dinsdale zeigt auf seinem Soloalbum „On The Other Side“ ein etwas anderes Gesicht, als er es mit seiner Formation RMI bisher nach außen trug. Mal geht er avantgardistisch zur Sache, wie in den ersten Tracks, dann wiederum kommen Klänge im Stil der Frühphase TDs zum Vorschein und einige Momente später erstellt er atmosphärische, schwebende Klanglandschaften. „On The Other Side“ ist kein Album, das mal eben neben bei verkonsumiert werden will. Der Hörer muss sich die einzelnen Stücke erst einmal erarbeiten, dann aber kommen spannende Momente hervor, die jenseits der normalen Hörgewohnheiten liegen.

Stephan Schelle, Mai 2012

 
   

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