Moonbooter - Reminiscence
 

Moonbooter - Reminiscence
MellowJet Records (2022)
(
11 Stücke, 74:24 Minuten Spielzeit)

Die meisten Menschen machen in ihrem Leben eine Phase durch, in der sie sich und ihre Lebenssituation hinterfragen. Das führt oft dazu, dass sie eine Auszeit von ihrem bisherigen Leben benötigen, um sich ggf. neu zu orientieren und neue Kraft zu gewinnen. Diese Phase machte auch der Elektronikmusiker Bernd Scholl aus der Eiffel, besser bekannt als Moonbooter durch, nachdem er im Oktober 2020 die Arbeit an seinem Album „Beyond the Neonlights“ beendete.

 

 


Gut ein halbes Jahr ließ er die Tasten Ruhen und nahm sich eine Auszeit von der Musikproduktion. Ausgerechnet in diese Zeit fiel dann auch noch die Corona-Epidemie, die der Musikbranche so geschadet und auch an den Nerven der Menschen gezehrt hat. Bernd beschreibt es auf seiner Internetseite folgendermaßen: In dieser Zeit habe ich viel über das Leben nachgedacht. Auch habe ich intensiv meine eigene Musik der letzten Jahrzehnte gehört. Diese Erfahrung war neu und wertvoll. Aber eigene Musik machen war, wie gesagt, tabu. Zwischendurch plagten mich richtige Sorgen, dass ich irgendetwas in mir selbst unwiederbringlich verloren hätte. Das passiert vielen. Zum Glück kam es anders. Anfang April schaltete ich dann zum ersten Mal nach fast einem halben Jahr meine Synths mit dem Ziel ein, an neuen musikalischen Ideen zu arbeiten. Eine Idee folgte auf die nächste. Nach ein paar Tagen kam mir die Idee eine Art Essenz meines bisherigen musikalischen Schaffens als Konzept für das nächste Album zu verwenden.

Allerdings sind die elf Stücke, deren Laufzeiten zwischen 4:09 und 9:25 Minuten Spielzeit liegen, keine Remixe bereits bestehender Tracks von Moonbooter. Vielmehr hat Bernd sich an Sounds und Ideen seiner eigenen musikalischen Vergangenheit orientiert und komplett neue Stücke komponiert und eingespielt. Das bedeutet, dass man sich zum einen sofort bei den Stücken zu Hause fühlt und doch komplett neues Material bekommt. Die Stücke sind so gut zusammengestellt, das sie meist nahtlos ineinander übergehen.

Bernd beurteilt die neuen Songs wie folgt: „Reminiscence“ enthält romantische, epische, sentimentale, kitschige, verrückte, euphorische und traurige Stimmungen und spiegelt somit mein musikalisches Schaffen der letzten Jahre sehr gut wieder. Dem kann ich aber in einem Punkt nicht zustimmen, denn Kitsch findet man in den Stücken keineswegs. Allerdings sind die Stücke wieder von herrlichen Melodien und rhythmischen Passagen, wie man sie von Moonbooter mag und von ihm kennt, durchzogen.

Bernd hat bei seiner neuen Produktion zunächst wieder Wert auf live eingespielte Melodien gelegt und diese sowie bewegte Modulationen direkt aufgenommen. Wenn ein Sound aus einem Plugin passte dann war das genauso gut wie ein selbst programmierter Klang aus dem Analogsynth. Zu viele Köche verderben den Brei. Nach diesem Motto beließ ich Klänge zunächst so, wie sie waren. Die Idee eines Songs sowie Arrangement und Abwechslung standen im Vordergrund. Die Songs sollten mehr Raum und auch Zeit erhalten. Beim finalen Mix tauschte ich dann viele Klänge aus und konzentrierte mich dabei bewusst auf wenige, aber richtig gute Synthesizer und Effekte. Auch kamen beim finalen Mix wieder neue Ideen dazu. Beinahe die Hälfte der Spuren löschte ich rigoros. Nur so konnten die Songs atmen ohne dabei an Komplexität zu verlieren. Beim Mastering ließ ich auch mal ein paar dB mehr Pegel zu als üblich. Auch das hat dem Sound nicht geschadet.

Nachdem dann die Stücke eingespielt waren, traf das Schicksal Bernd und seine Familie noch einmal recht hart, denn er war von der Flutkatastrophe im Sommer 2021 betroffen. Aus diesem Grund musste die Produktion seines Albums, die anderer Künstler und auch der Verkauf der Alben über seinen Labelshop gut 14 Monate still stehen, da es wichtigere Aufgaben zu bewältigen gab. Die sind jetzt abgeschlossen und so erschien das neue Moonbooter-Album zusammen mit dem ersten Liveauftritt von Bernd nach gut drei Jahren am 05.11.2022 im Planetarium Bochum.

Auffällig war für mich noch das Coverartwork, das vier Silhouetten von Personen zeigt, die gebeugt gehen. Meine erste Interpretation war, dass Bernd hier die schwierige Zeit mit Corona und der anschließenden Flutkatastrophe verarbeitet. Es könnte auch ein Hinweis auf ein düsteres und sehr melancholisches Album sein, dachte ich mir. Bernd dazu: Das Artwork kann man unterschiedlich interpretieren: Meine Idee war es unterschiedlich gestimmte Menschen zu zeigen die nach links, also „zurück gehen“ und zwar dorthin, wo sie bereits schon einmal waren. Auf diesem Weg werden sie von meiner Musik, symbolisiert durch den Wellenform-Kreis darüber, begleitet. Nachdem das Artwork fertig und ein paar Tage vergangen waren, entdeckte ich eine zweite Intention: In dieser gehen die Menschen mit gesenktem Haupt ebenfalls wieder zurück, nur dieses Mal zu einer unerwünschten Normalität. Über ihnen thront eine „Bedrohung“, der sie sich machtlos unterworfen fühlen. Es ist schon seltsam, wie das Unterbewusstsein manchmal ein Ergebnis beeinflussen kann. Wie auch immer, beide Interpretationen spiegeln die Zeit wieder in der die Musik entstand.

Kommen wir aber zur Musik, die alles andere als düster und traurig ist. Das Album beginnt mit dem Titel „Me In The Mirror“. Hier scheint Bernd auf sich und sein Leben zurückzublicken. Der Beginn dieses Stückes ist dann auch in den ersten Momenten durch eine Pianomelodie etwas melancholisch und nachdenklich gehalten. Dann entwickelt sich das Ganze aber zu einem sehr schönen, unter die Haut gehenden Stück, das Soundtrackcharakter aufweist. Die Pianomelodie wird von Flächen untermauert und gewinnt immer mehr an Dynamik (was schon klassische Ausmaße annimmt). Sobald dann die Rhythmusmuster hinzugefügt werden ist man im Moonbooter-Kosmos gefangen, so wie man es von seinen bisherigen Veröffentlichungen gewohnt ist. Bernd hat dabei wieder in einem unglaublich fetten Klang produziert, der unter Kopfhörer oder einer guten Anlage so richtig zur Geltung kommt. Blickt Bernd zu Beginn des Stückes noch skeptisch in den Spiegel, so gewinnt er doch im Verlauf des Stückes immer mehr an Selbstbewusstsein und Stärke. Schön, dass er so vital wieder zurück ist.

Weiter geht es mit dem siebenminütigen „Time Traveler“, bei dem zu Beginn auch einige spacige Sounds aufkommen, die an den verstorbenen Vangelis erinnern. Nach gut anderthalb Minuten kommen rhythmische Elemente auf und eine unwiderstehliche Melodie sorgt für Gänsehaut. Moderne Sounds und Rhythmen treffen hier auf Klänge der 80er/90’er.

Im dritten Track, dem 9:25minütigen „Who Am I?“ stellt sich Bernd die Frage, wer er ist. Das beginnt mit perlenden Synthklängen mit leicht futuristischem Einschlag. Nach wenigen Momenten wird es aber monumental und voluminös. Dann kommen noch fette E-Drum-Rhythmen auf und bieten neben tollen Sounds und Melodielinien gar einen leicht rockigen Touch. Hier zeigt sich Moonbooters Vielseitigkeit.

Im 7:15minütigen „Motherland“, das zunächst leichtes Jarre-Feeling verströmt, kommen für Moonbooter ungewöhnliche Worldmusic-Klänge auf, denn er verarbeitet in diesem Track einen afrikanischen Kinderchor. Ähnliches hatte Bernd bereits auf seinem 2006’er Album „Devided“ im Stück „Live In Peace“ gemacht. Das Ganze hat darüber hinaus Popappeal. Mit Sprachsamples, die mit Echoeffekten unterlegt sind, beginnt dann das achtminütige „Tribute To Climax“. Ein treibendes Stück mit fettem Beat, das viel Kraft verströmt. Da kann ich nur empfehlen, die Boxen festzuhalten. Einige Keyboardmuster erinnern sogar an den Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz.

Mit dem 7:10minütigen „Mystic Sunset“ wird es dann etwas gemächlicher, aber nicht minder druckvoll. Etwas düstere Sounds leiten in diesen Track bei dem die helleren Klänge wie Lichtstrahlen wirken. Bernd lässt dem Stück im Verlauf immer mehr Dynamik angedeihen, was einen hohen Spannungsbogen zur Folge hat.

Das sechsminütige „Remember The Neon Lights“ startet ebenfalls mit perlenden Keyboardklängen, das hymnische Sounds mit einem herrlichen Beat verbindet. An die achte Position hat Bernd „Me In The Mirror Reprise“ gestellt, mit dem er nochmals kraftvoll in den Spiegel blickt und eine Menge Hoffnung und Euphorie ausstrahlt.

Sehr rhythmisch, mit pumpenden Beats geht es dann im 5:36minütigen „Extraordinary“ weiter. Hier baut Bernd dann auch noch einige Trompetenklänge ein. Das Ding geht richtig gut ab und ist perfekt für die Tanzfläche konzipiert. Da bleibt kein Fuß ruhig stehen. Das 6:31minütige „The Reticence Of Dreams“ fährt dann die bpm-Rate etwas runter, besticht aber durch einen fetten Beat. Der Track glänzt durch wunderbare Harmoniebögen und Melodielinien, die sich um den dynamischen Rhythmus schlängeln. Mit dem 6:20minütigen „Good Bye My Friend“ beschließt Bernd dann sein randvolles Album. Sakrale Klänge leiten in diesen Abschlusstrack ein, der wieder ein wenig Melancholie verströmt, aber auch das Herz erwärmt. Eine kleine Prise Schiller hat Bernd zudem in diesen Track eingebaut.

Bernd Scholl aka Moonbooter hat sich seine bisherige Musik genauer angeschaut/-gehört und die Quintessenz für neue Stücke daraus destilliert. Herausgekommen ist ein Album mit neuer, vitaler Musik, die so typisch für Moonbooter ist und doch neue Wege beschreitet. Für Freunde melodischer, rhythmischer Elektronikmusik ist „Reminiscence“ ein Must Have-Album.

Stephan Schelle, November 2022

 
   

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