Bernd Kistenmacher - Antimatter
 

Bernd Kistenmacher - Antimatter
MellowJet Records (2012)
(12 Stücke, 73:17 Minuten Spielzeit)

Der Berliner Elektronikmusiker Bernd Kistenmacher hatte sich im Jahr 2009 eindrucksvoll aus einer mehrjährigen Pause mit dem Album „Celestial Movements“ (ein Soundtrack für die Sterne) zurück gemeldet. Mit der CD startete er seine „Trilogie des Universums“, die nach dem 2010er Album „Into The Deep“ (einer musikalischen Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens) im Januar 2012 mit dem Album „Antimatter“ ihre Vollendung findet.

 


Die ersten beiden Alben haben eine bestimmte Richtung vorgegeben: vom Großen zum Kleinen, und vom „Hier und Jetzt“ zum Ursprung allen Seins. Der Urknall im Labor ist das musikalische Thema von „Antimatter“. Und das Labor ist nicht irgendeines, sondern der LHC, der Large Hadron Collider. Diese „größte Maschine der Welt“ wurde gebaut, um die Frage nach unserer Herkunft zu beantworten. Was passiert eine Piko-Sekunde nach dem Urknall? Was passierte davor? Kann man diesen Moment im Labor nachstellen?

Wem das Thema bekannt vorkommt, dem sei gesagt, dass sich im Jahr 2009 auch schon Erik Seifert mit Antimaterie und dem LHC der CERN (Europäische Organisation für Kernforschung mit Sitz in Bern) widmete.

Aber nicht nur diesen Fragen geht Bernd nach, sondern er fügt auch noch weitere, Artverwandte hinzu, so berücksichtigt er in seinen Kompositionen immer auch menschliche Aspekte. Wie gehen wir miteinander um, wenn wir „aufeinanderprallen“? Ergänzen wir uns oder existieren wir nur, um einander auszulöschen? „Antimatter“ kann keine Antworten darauf geben, sondern will nur auf die Energien deuten, die uns Menschen beherrschen.

Um das Thema besser umsetzen zu können hat sich Bernd Unterstützung bei dem Physiker Rolf Landau (Cern) geholt. Bernd eröffnet in dem ersten Track „Preparations“ sein Album mit einem einfachen Ton - er klingt nach einer Sinuskurve - auf den dann die Synthiesounds gesetzt werden. Das klingt zunächst wirklich sehr technisch und nach einer großen Maschine. Dabei kann ich mir das LHC sehr gut vorstellen, in dem sich die Teilchen hyperschnell bewegen. Diesen ersten Ton bindet Bernd immer mal wieder ein und er beschließt auch im Abschlusstitel „Where Is Higgs?“ die CD.

Dazwischen liegen aber mehr als 60 Minuten spannende, teils symphonisch wirkende Elektronikmusik. Allerdings sind die Stücke alle nahtlos miteinander verbunden, so dass man eigentlich von einem einzigen Longtrack mit mehreren Kapiteln sprechen kann. Meine Empfehlung geht auch dahin sich das Werk im Ganzen anzuhören, denn nur so breitet es seine volle Wirkung aus.

Recht symphonisch mit vielen Streichern geht es in „Rising“ zu. Danach folgt mit dem achtminütigen „Caverns Of Knowledge“ der erste längere Track des Albums. Hier geht es Bernd zunächst auch noch sehr symphonisch zu Werke. Die Synthiestimme die sich auf die Streicher legt nimmt den Hörer sofort gefangen. Ein traumhafter Track, der mir sehr gut gefällt, der aber seine Struktur im weiteren Verlauf ändert und auch Anleihen an die „Berliner Schule“ á la Tangerine Dream aufweist.

Es folgt mit „Injection“ ein Zwischenspiel, das atmosphärische Klänge aufweist und wie eine Brücke zum nächsten Longtrack „Acceleration“ wirkt. „Acceleration“ ist mit seinen treibenden, pulsierenden Sounds für mich das Highlight des Albums. Dieser Track hat etwas unglaublich fesselndes und betörendes. Dagegen wirkt „Filling The Emptiness“ schon fast hausbacken, denn die Klänge verhallen im weiten Raum. Dann kommt eine romantisch verträumte Pianopassage hinzu.

Nach diesem ruhigen Stück geht es dann wieder pulsierend weiter im Track „They Call It Soap!“. Ist der pulsierende Rhythmus zu Beginn noch recht verhalten, nimmt er aber nach einigen Minuten an Dynamik und Lautstärke zu und Bernd spielt eine für ihn typische Harmoniefolge dazu. Auch dieser Track gehört für mich zu den Highlights des Albums. Das ist Musik, in die ich mich fallen lassen kann und die doch einen hohen Spannungsbogen aufrecht hält. Zum Ende des Tracks werden einige Samples eingespielt, die aus dem großen Labor zu stammen scheinen.

Dann kommt das wunderbare „On The Shoulders Of ATLAS“, das einfach nur traumhaft durch den Raum zieht. Zunächst noch recht spartanisch, wechselt es im weiteren Verlauf zu einem sehr hymnischen und voluminösen Part, der auch Erinnerungen an den großen Griechen Vangelis zulässt. Noch so ein toller Track. Stimmungen werden dann in „What's The Matter?“ erzeugt, die den Hörer in einer fragenden Emotion zurücklassen.

Mit „Large Hadron Collider“ hat Bernd dann noch so einen treibenden und faszinierenden Track auf das Album gepackt. Und im Stück „Where Is Higgs?“, das ein asiatisches Flair verbreitet (erinnert mich in einigen Passagen ein wenig an den Soundtrack „Black Rain“) endet es, wie es begonnen hat, mit dem gleichen Ton, der auch schon in die CD einleitete. Und so schließt sich dann der Kreis.

Mit „Antimatter“ hat Bernd Kistenmacher wieder ein außergewöhnliches und sehr gutes Album hingelegt. Ein Werk, das ich den Freunden der elektronischen Musik sehr empfehlen kann.

Stephan Schelle, Januar 2012

 
   

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