Als Johnny dann aber weit nach Mitternacht die Bühne entern sollte,
fragte der Tourmanager bei Rüchel nach, ob er auch zwei Stunden spielen
dürfe. Zum Glück hatten die Macher damals so viel Spielraum, um ihm
diesen Wunsch zu erfüllen, denn so konnte Johnny Winter in dieser Nacht
mit langen Soli aufwarten und den Auftritt unvergesslich machen.
Aufgrund der Zeit, die ihm zur
Verfügung stand ließ Johnny beispielsweise den „Mississipi Blues“ auf
mehr als 17 Minuten anwachsen und auch Bobby Torello ließ sein
Schlagzeugsolo auf satte zehn Minuten ausarten, bei dem er aber auch von
beiden Musikern zu Beginn und am Ende unterstützt wurde. Torello agiert
hinter seinem Schlagzeug wie das Tier aus der Muppet Show und verlässt
auch schon mal seinen Sitz um sein Schlagwerk zu umrunden oder auf dem
Boden und den Boxen zu trommeln. Während des Schlagzeugsolos ist eine
Klarinette zu hören, die von Pattie Smith gespielt wird. Sie wollte
unbedingt mit Johnny zusammen jammen, doch der war so in seinen Blues
vertieft, dass er sie nicht am Bühnerand wahrnahm. Bei dem Solo
schleicht sie sich aber kurz auf die Bühne.
Neben Bluesnummern sorgte Winter auch
mit druckvollem Rock’n’Roll bei Stücken wie Chuck Berry’s „Johnny B.
Goode“ und dem Rolling Stones Klassiker „Jumpin’ Jack Flash“ dafür, dass
die Zuschauer nicht einschliefen.
Das Bild ist dem Alter entsprechend
etwas milchig und pixelig, was aber aufgrund des wirklich guten Sounds
und dem hervorragenden Konzert zu verschmerzen ist. Johnny bot Bluesrock
vom feinsten. Den Opener „Hideaway“ von Freddie King streckte er gleich
mal auf elf Minuten Länge und baute hier auch mal eben unter anderem
eine Passage von „Peter Gunn“ ein und das so perfekt, als gehörte es in
dieses Stück. Und schon vom ersten Ton an fasziniert dieser Auftritt,
heute genauso wie Ende der 70’er. Beispielsweise ist „Walking By Myself“
in einer unwiderstehlichen und treibenden Version dargeboten worden, die
auch heute noch ihresgleichen sucht. Sehenswert ist auch, wenn Johnny
und Jon die Instrumente beim „Rockabilly Boogie“ tauschen und während
des Tracks Johnny durch Jons Arme greift und die E-Gitarre spielt,
während Jon mit beiden Händen hinter sich (um Johnny Hüfte) an den Bass
greift, den Johnny umhängen hat, und den Rhythmuspart spielt. Beide sind
dabei fast im Blindflug unterwegs und doch spielen sie einen perfekten
Boogie.
Auch wenn Johnny an der Gitarre klar
das Zepter in der Hand hält, so geht er doch so manches Zwiegespräch mit
Bass und Schlagzeug ein. Jon und Bobby bringen sich so perfekt in den
Gesamtsound ein, so dass die drei wie eine Einheit wirken.
mig hat mit diesem Auftritt ein
wirkliches Zeitdokument festgehalten und wiederveröffentlicht, dass
jeder Rock- und vor allem Rockpalast-Fan in seiner Sammlung haben
sollte.
Stephan Schelle,
Februar 2011